Es ist das Thema, das im Abstimmungskampf zur «Ehe für alle» am meisten zu reden gibt: der legale Zugang zur Samenspende in der Schweiz für verheiratete lesbische Paare. Heterosexuellen Ehepaaren steht diese Möglichkeit seit dem 1. Januar 2001 offen. Damals trat das Fortpflanzungsmedizingesetz in Kraft. Bis Ende 2020 kamen gemäss dem Bund 4234 auf diese Weise gezeugte Kinder zur Welt.
Bei den Diskussionen über den Zugang zur Samenspende für lesbische Paare werfen die Gegner verschiedene Argumente in die Waagschale: Es werde ein ethisch fragwürdiges «Recht auf Kinder» konstituiert. Oder man enthalte Kindern den Vater vor – zumindest bis zum 18. Lebensjahr. Denn mit Erreichen der Volljährigkeit gewährt das Gesetz Samenspenderkindern das Recht, die Identität des biologischen Vaters in Erfahrung zu bringen, inklusive Auskunft über dessen «äussere Erscheinung».
20 Jahre und neun Monate sind vergangen, seit die Samenspende für heterosexuelle Paare erlaubt ist. Sprich: Die ersten Kinder, welche mit Hilfe einer Samenspende gezeugt worden sind, sind gegen Ende 2019 volljährig geworden. Wie viele Kinder unterdessen theoretisch Anspruch darauf hätten, die Identität ihres biologischen Vaters zu erfahren, ist unklar. Dazu «seien keine Zahlen verfügbar», teilt das Bundesamt für Justiz auf Anfrage mit. Während es in den Jahren 2020 und 2019 knapp 600 Kinder waren, wurden in den Anfangsjahren der neuen Gesetzgebung jährlich rund ein Dutzend Samenspendenkinder gezeugt.
Klarheit herrscht hingegen bei einer anderen Zahl: Bis jetzt haben sich beim Bund erst zwei Samenspenderkinder nach der Identität ihres biologischen Vaters erkundigt, teilt das Bundesamt für Justiz mit. In beiden Fällen zeigten sich die Samenspender bereit, mit den von ihnen gezeugten jungen Erwachsenen Kontakt aufzunehmen.
Die geringe Anzahl Auskunftsbegehren wirft die Frage auf, wie viele Kinder von ihren Eltern überhaupt über die Tatsache informiert oder im Dunkeln gelassen werden, dass sie mit Hilfe einer Samenspende gezeugt worden sind. Beziffern lässt sich das nicht. Das Bundesamt für Justiz «vermutet durchaus, dass nicht alle Eltern ihre Kinder über deren Entstehung aufklären». Das Fortpflanzungsgesetz gewährt den Samenspendenkindern das Recht auf Abstammung. In der Rechtslehre herrscht die Meinung vor, dass die Eltern durch die im Zivilgesetzbuch verankerte Beistandspflicht verpflichtet sind, die Kinder darüber ins Bild zu setzen.
Bei Adoptionen schreibt das Gesetz den Eltern explizit vor, «das Kind entsprechend seinem Alter und seiner Reife über die Tatsache seiner Adoption in Kenntnis zu setzen». Auf Kontrollmechanismen oder gar Sanktionsmöglichkeiten, falls die Eltern dies unterlassen, hat der Gesetzgeber allerdings verzichtet.
Aus Samenspenden entstandene Kinder dürften häufiger als adoptierte Kinder von den Eltern nicht über ihre Abstammung aufgeklärt werden – denn eine Samenspende lässt sich eher verheimlichen. Im Gegensatz zur Adoption durchlebt die Mutter eine Schwangerschaft. Und eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ehemann der Mutter lässt sich auch einfacher bewerkstelligen als bei einer Adoption. Bei der Auswahl der gespendeten Samenzellen darf die äussere Ähnlichkeit des Spenders mit dem gesetzlichen und sozialen Vater berücksichtigt werden.
Sollte die «Ehe für alle» am 26. September angenommen werden, so wächst der Kreis der Paare, denen der Zugang zur Samenspende offensteht. Damit dürfte auch die Anzahl der durch Samenspenden gezeugten Kinder wachsen. Yv Nay ist Soziologe mit Spezialgebiet Regenbogenfamilien. Seit ungefähr 10 bis 15 Jahren lasse sich bei nicht gleichgeschlechtlichen Paaren ein verstärkter Kinderwunsch feststellen, sagt er. Genaue Zahlen, wie viele lesbische Paare aus der Schweiz diesen mittels Samenspende im Ausland erfüllen, sind nicht bekannt.
Im Februar veröffentlichte die Universität Bern im Auftrag des Bundes eine Studie zur Frage, wie viele Personen aus der Schweiz zwecks medizinisch unterstützter Fortpflanzung ins Ausland reisten. Von 516 dokumentierten Fällen machten Samenspende bloss 22 Fälle aus (gut 4 Prozent). Zehn Frauen waren lesbisch, elf alleinstehend, eine lebte in einer heterosexuellen Beziehung.
Die Studienautorinnen gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, «da viele alleinstehende Frauen und lesbische Paare nicht nur Schweizer, sondern auch ausländische medizinische Institutionen umgehen und Spermien entweder im Internet bestellen oder private Arrangements eingehen und die Insemination selbst durchführen». Für Yv Nay bedeutet ein «Ja zur Ehe» für alle auch, dass lesbische Frauen in der Schweiz einen sicheren Zugang zur Fortpflanzung erhalten - und keine teuren Auslandreisen in Kauf nehmen müssen.
Die Zahl der Kinder, die durch die «Ehe für alle» nichts über ihre Zeugung durch eine Samenspende wissen, dürfte nicht steigen. Gemäss Bundesamt für Justiz stellen junge Erwachsene in der Regel dann ein Auskunftsbegehren zur Identität des biologischen Vaters, wenn sie von ihren Eltern über die Samenspende in Kenntnis gesetzt werden. «Bei Frauenpaaren wird dies in Zukunft nicht mehr erforderlich sein, da offensichtlich ist, dass eine Drittperson als Samenspender mitgewirkt hat.» (bzbasel.ch)
Trotzdem werde ich ja stimmen, es kann einfach nicht sein, das der Staat nicht alle Beziehungen zwischen erwachsenen und entscheidungsfähigen Menschen gleich behandelt.