Die heisse Phase des Wahlkampfs hat definitiv begonnen. Ab heute landen 1'067'00 Exemplare des Klimablatts in den Briefkästen. Vielleicht auch bei dir. Zudem verteilt die Klimajugend die Zeitungen im ÖV und in ausgewählten Dörfern.
«Ein Haufen Jugendlicher hat sich den Arsch aufgerissen und hat es geschafft, eine Zeitung für eine Million Menschen zu machen», sagt Jan Burckhardt vom Klimablatt.
Geht es nach den Klimastreik-Aktivisten, ist dies nur der Anfang einer grossangelegten Informationsoffensive. Ihr Ziel: Sie wollen die Wahlbeteiligung am 20. Oktober auf über 50 Prozent anheben. Damit in Bundesbern in den nächsten vier Jahren ein klimafreundlicheres Parlament über die Zukunft der nächsten Generationen bestimmt.
Die Titelseite ist den Wahlen gewidmet: Mit einem emotionalen Einleitungstext versuchen die Klimastreiker, die Leserinnen und Leser zu packen. Auf den weiteren Seiten folgt ein Interview mit einer ETH-Klimaforscherin und Mini-Portraits von Bürgern. Weiter wird den Lesern aufgezeigt, wie sie vom Klimaschutz profitieren können.
Kern sind die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel. «Auf unserer Webseite kann man jede einzelne Quelle überprüfen. Transparenz ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit», sagt der 19-jährige Basler zu watson. Am Schluss folgt eine detaillierte Anleitung für die Stimmabgabe, ohne Parteien zu nennen. Einzig das publizierte Umweltranking dient als «Wahlhilfe».
Eine Gruppe von 18 Aktivisten der Klimastreik-Bewegung hat das Klimablatt innert nur drei Wochen aus dem Boden gestampft und das nötige Geld gesammelt. «Es haben uns weder eine PR-Agentur noch sonstige Profis unterstützt. Niemand von uns hatte richtige redaktionelle Erfahrung», sagt Kramer.
In der Klimablatt-Redaktion gab es heftige Diskussionen über die Inhalte. Denn alle Entscheidungen mussten im Konsens getroffen werden. «Es war eine nervenaufreibende Achterbahnfahrt. Wir haben uns schon mal die Köpfe eingeschlagen. Denn uns ist klar: Wir haben nur eine Chance, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen», so Kramer.
Der Löwenanteil des Geldes sammelten die Klimastreikenden via Crowdfunding. Innert weniger Tagen kamen von 1700 Unterstützerinnen und Unterstützern 150'000 Franken zusammen. Weiter hilft eine Umweltschutzorganisation dem Klimablatt mit einer Defizitgarantie aus. «Wir werden den Betrag zurückzahlen, wenn wir weitere Spenden erhalten haben», so Kramer. Dazu gibt es im Klimablatt einen Spendenaufruf.
In der ersten Auflage verschickt die Klimastreik-Bewegung die Klimablätter in jeden vierten Haushalt – insbesondere in ländliche Gebiete. Und zwar in drei Sprachen in alle Landesteile. Die Aktivisten vermuten, dass in den urbanen Zentren die Menschen eher über den Klimawandel Bescheid wissen und umweltfreundliche Parteien wählen.
Das Klimablatt ist als Brief eingestuft und landet somit auch in allen Briefkästen, die einen «Stopp Werbung»-Kleber haben.
Die Klimastreiker wollen das Blatt zudem am Montag vor der CO2-Debatte im Parlament verteilen.
Mit weiteren Spenden will die Klimastreik-Bewegung noch vor den Wahlen eine zweite Auflage des Klimablattes drucken und die Zeitungen an die restlichen 2,8 Millionen Schweizer Haushalte verschicken lassen. Weiter ist vorgesehen, im nächsten Frühling eine zweite Ausgabe des Klimablattes zu publizieren.
Zuerst aber feiern die Klimastreikenden am Sonntagabend ihr erstes Klimablatt mit einer kleinen Party. «Es ist ein kleines Wunder, dass wir es wirklich geschafft haben», bilanziert Kramer.
Macht es überhaupt noch Sinn, im Zeitalter von sozialen Medien auf eine altehrwürdige Print-Zeitung zu setzen? «Gedruckte Information ist immer noch populär», erklärt der Politologe und Kampagnenexperte Mark Balsiger.
So werde bei Untersuchungen das vielgeschmähte Abstimmungsbüchlein stets als das Mittel bezeichnet, das bei der Entscheidungsfindung am meisten Gewicht hat. «Genau deshalb ist es richtig von den Klimastreikern, mit dem Klimablatt auf gedruckte Information zu setzen.» Dies nicht zuletzt, weil die Generation der über 60-Jährigen gerne Infos in der Hand habe. Und doppelt so stark an Wahlen partizipiere wie die 25-Jährigen.
Und wesentlich konstruktiver als irgendwelche radikalen Aktionen - wozu ich die Störaktion im Bundeshaus aber bewusst nicht zähle.