Eine Million Tonnen CO2 pro Jahr: Bund ermöglicht Gaskraftwerk
Zehn Jahre nach dem Pariser Klima-Abkommen ist die Hoffnung auf eine grosse Wende gestorben. Vor rund einer Woche erklärte UNO-Generalsekretär António Guterres, dass die Welt das Ziel einer Erderwärmung von 1,5 Grad in den nächsten Jahren verpassen wird. Die Folgen zeigen sich auch in der Schweiz: Diese erwärmt sich aktuell doppelt so schnell wie der Durchschnitt der Länder.
Auch deshalb reiste der Bundesrat 2021 zur Klimakonferenz von Glasgow. Guy Parmelin (SVP), damals Bundespräsident, ergriff das Wort und verlangte: «Die langfristigen Ziele müssen in kurzfristige Massnahmen übersetzt werden. Ich rufe darum alle Länder dazu auf, ehrgeizige Klimaziele für 2030 zu unterbreiten.» In der Folge verpflichtete sich die Schweiz dazu, fossile Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern auslaufen zu lassen. Rechtlich bindend ist diese Absicht allerdings nicht.
Wenig später sagte das Schweizer Stimmvolk ja zum Klimaschutzgesetz und der inländischen Dekarbonisierung bis 2050. Von einer Verantwortung im Ausland ist allerdings wenig übrig geblieben.
Vor wenigen Tagen gab die Schweizerische Exportrisikoversicherung (Serv) bekannt, ein Gaskraftwerk in Songon (Elfenbeinküste) zu unterstützen. Als Erster berichtete darüber der Blog «Swiss Climate Rambles». Der ökologische Schaden, den das Kraftwerk verursachen wird, ist enorm. Jährlich wird es 1'112'068 Millionen Tonnen CO in die Luft pumpen. Das wäre in etwa, als würde das Schweizer Reservekraftwerk Birr im Dauerbetrieb laufen.
Kinderarbeit als Begleitrisiko
In einem Begleitbericht, den die Serv selber publiziert hat, ist die Rede von zahlreichen Auswirkungen auf die Umwelt – aber auch auf die Menschen. So bestehe unter anderem ein grösseres Risiko für Kinderarbeit. US-Behörden haben erhoben, dass in der Elfenbeinküste jedes vierte Kind zwischen 5 und 14 Jahren arbeiten muss.
Pikant: Die Serv ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt in der Zuständigkeit des Staatssekretariats für Wirtschaft. Und dessen oberster Chef wiederum heisst Guy Parmelin.
Die Versicherung verfolgt zwei Ziele: den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Schweiz und das Fördern der Exportwirtschaft. Den Grossteil der rund 350 Kunden der Serv machen KMU aus. Für diese übernimmt die Versicherung Risiken, wie sie in der Privatwirtschaft niemand tragen würde: Revolutionen, Kriege oder anderweitig höhere Gewalt. Im Gegenzug bezahlen die Unternehmen eine Prämie. «Dank der Dienstleistungen der Serv kommen in der Schweiz jährlich Exporte in Milliardenhöhe zustande», rühmt sich die Dienststelle auf der eigenen Webseite.
Im Fall des Projekts in Songon versichert die Serv die Schweizer Exporte des Unternehmens GE Global Parts & Products: Zwei Gasturbinen, zwei Generatoren und deren Zubehör sowie alle Zusatzausrüstungen. In einer Stellungnahme schreibt die Versicherung dazu: «Gaskraftwerke bleiben für die Energieerbringung und den wirtschaftlichen Fortschritt in Entwicklungs- und Schwellenländern oft wichtig, weshalb eine Abwägung von möglichen Zielkonflikten mit dem Förderauftrag der Serv nötig ist.»
2009: Dem öffentlichen Druck erlegen
Schon mehrere Male geriet die Serv wegen ihrer Rolle in unrühmlichen Projekten in die Schlagzeilen. Am bekanntesten darunter ist der Illisu-Staudamm in der Türkei. Für diese mussten archäologische Stätten geflutet werden. 2009 gab die Serv grossem öffentlichen Druck nach und zog sich aus dem Projekt des türkischen Machthabers Recep Tayyip Erdoğan zurück.
Dass die Klima-Abkommen ein Problem für die Geschäftstätigkeit der Exportversicherung darstellte, erkannte sie früh. Im Mai 2024 änderte die Serv deshalb die eigenen Richtlinien. Die Versicherung fossiler Energieprojekte sollen derzufolge möglich sein, sofern sie im Einklang stünden mit «Wirtschafts-, aussen-, handels- und entwicklungspolitischen Interessen der Schweiz». Wie diese genau aussehen, ist nicht definiert.
Im Parlament setzte dies bald danach Kritik ab. Auf einen Vorstoss von SP-Nationalrätin Claudia Friedl reagierte auch der Bundesrat mit dem Satz: Er erwarte für Strategieperiode 2024-2027, «dass die Serv im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine nachhaltige Unternehmensstrategie umsetzt und die Dekarbonisierung unterstützt.» An der Praxis geändert hat sich seither aber nichts.
Das Projekt in Songon steht auf einer sogenannten A-Liste der Serv. Diese umfasst Vorhaben mit «potenziell bedeutenden negativen Umwelt- oder Menschenrechtsauswirkungen», wie es auf der Webseite heisst. Nach der Publikation bleiben 30 Tage, dann wird eine Versicherungspolice definitiv abgeschlossen. Es handelt sich aber eher um eine theoretische Frist – die Abwägung der Zielkonflikte hat das Serv bereits vorgenommen. (aargauerzeitung.ch)
