Als «mutig und historisch» wird das Urteil eines Waadtländer Einzelrichters von den Einen gelobt. Andere sind ab dem Entscheid «irritiert» und halten ihn für «einen Fehler».
Klar ist einzig: Seit Philippe Colelough am Montagnachmittag zwölf Klimaaktivisten vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen hat, ist sein Name der ganzen Schweiz – und über die Landesgrenzen hinaus – bekannt.
Doch wer ist der Richter, der in seinem Aufsehen erregenden Urteil davon sprach, dass «die Gefahr einer Klimakrise unmittelbar bevorsteht»? So zitierte ihn die Zeitung «Le Temps» am Dienstag.
Kritiker von Colelough monieren, er habe sich bei seinem Urteil von den Argumenten der Anwälte instrumentalisieren lassen, sein Entscheid sei ein politischer. Tatsächlich aber handelt es sich beim Richter nicht um ein Mitglied der Grünen, sondern um einen Freisinnigen. Dies bestätigte die Partei gegenüber dem französischsprachigen RTS.
Bisher sei er nicht als besonders umweltbewusster Richter aufgefallen. Im Gegenteil. Er sei bekannt dafür, dass er dem waadtländischen Establishment näher stehe als der linken Klimabewegungen, schreibt die Zeitung «Le Matin».
Seit 2015 ist Colelough Präsident am Bezirksgericht Lausanne tätig, davor war er am Kantonsgericht. Der 62-Jährige gilt als strenger Richter. 2008 leitete er das Gericht im Fall des dreifachen Mörders von Vevey und verurteilte den Mann, der seine Schwester, seine Mutter und deren Freundin getötet hatte, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. 2014 sorgte Colelough für Schlagzeilen, weil er mit einer anderen Richterin des Kantonsgerichts eine Liebesbeziehung führte. Er trat von seinem Amt zurück und wechselte zum Bezirksgericht.
Zu seinem am Montag gefällten Urteil will sich Colelough selbst nicht äussern. «Es ist nicht üblich, dass ein Richter seine Entscheidung kommentiert», schreibt er. Die Begründung könne in der Urteilserklärung nachgelesen werden. Diese ist üblicherweise zehn Tage nach Prozessende einsehbar.
Es ist ebendieses Urteil, das derzeit die Schweiz in zwei Lager spaltet. Kann der Artikel 17 des Strafgesetzbuchs «Rechtfertigender Notstand» im Fall der CS-Besetzung angewandt werden? Ist Richter Colelough seiner Zeit voraus und revolutioniert er mit seinem Urteil die bisherige Rechtsprechung? Oder wird die nächste Instanz seinen Entscheid rückgängig machen?
Am Montag las Colelough in seiner Urteilsbegründung: «Expertenaussagen zeigen, dass die derzeitige globale Erwärmung durch menschliche Emissionen verursacht wird, die zum Anstieg der Ozeane und zur Vertreibung von Millionen von Menschen führen könnte. Es wurde bescheinigt, dass jedes halbe Grad grosse Auswirkungen auf den Planeten hat. Und doch bewegen sich die Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommen nicht auf die festgelegten Ziele zu – die Schweiz erlebt bereits eine Erwärmung um zwei Grad.»
Zum Vordringen der Aktivisten in die Credit Suisse Filiale in Lausanne sagte der Richter: «Was die eingesetzten Mittel betrifft, so hätte die Versammlung von 20 Personen auf dem Bürgersteig selbst vor der Credit Suisse nicht die Wirkung gehabt, die dieser Prozess ausgelöst hat. Also war die Art und Weise, wie es gemacht wurde, der einzige Weg, der diese Auswirkung gehabt hätte. Ich sollte hinzufügen, dass die Demonstranten zuvor der Bank geschrieben hatten, ohne eine Antwort zu erhalten.»
Und zur Wahrung höherwertiger Interessen: «Schliesslich wirkt sich das Klima im Hinblick auf ein übergeordnetes Interesse auf Gesundheit und Leben aus, während die Geschädigte (Credit Suisse, Anm. d. Red.) nur daran gehindert wurde, ihre Räumlichkeiten wunschgemäss zu nutzen. Die Abwägung der Interessen fällt zugunsten der Angeklagten aus. Ich komme zum Schluss, dass die fragliche Handlung notwendig und verhältnismässig war.»
Nein, das tut er nicht! Das Urteil macht die bereits bestehende Spaltung sichtbar. Nicht mehr und nicht weniger.
- Eine Notstandssituation kommt nur bei unmittelbarer Gefährdung von Individualrechtsgütern (Leib, Leben, Ehre, Vermögen) in Frage. Inwiefern das Klima ein Individualrechtsgut sein soll, ist mir schleierhaft
- Die Wahrung berechtigter Interessen als RF-Grund ist einerseits auf Ausnahmefälle beschränkt und zweitens nur dann denkbar, wenn die Tat den einzig möglichen Weg darstellt um das verfolgte Ziel zu erreichen. Allerdings zeigen die unzähligen Klimademos, dass das Hinweisen auf die Gefahren des Klimawandels auch ohne Begehung von Straftaten möglich und effektiv ist