Die Klimastreik-Bewegung hegt – wenig überraschend – keine Sympathien für einen allfälligen SVP-Bundesrat namens Albert Rösti. Der Berner Nationalrat stand jahrelang auf der Lohnliste der Lobbyorganisation Swissoil, dem Dachverband der Brennstoffhändler in der Schweiz.
Die radikalen Klimaprotestler wollten nicht, dass diese Verbandelung untergeht, sollte Rösti morgen in den Bundesrat gewählt werden. In einer Mitteilung schreibt das Komitee: «Kein Politiker verteidigt dieses fossile Wirtschaftssystem vehementer als Albert Rösti.» Ihr Plan war deshalb, zu einer kurzfristigen Demonstration auf dem Bundesplatz aufzurufen.
Rösti zu kritisieren, ist das eine: Der SVP-Politiker deklarierte zwar transparent sein Swissoil-Mandat – wenige Wochen vor der Bundesratskandidatur verschwand das Swissoil-Amt jedoch von Röstis persönlicher Webseite. Rösti tauchte unter und wollte auch Tage nach der watson-Recherche nicht reagieren. Protestieren ist was anderes – und vor allem während der Parlamentssession (fast) chancenlos.
Die Klimastreik-Organisation kassierte am Montag eine Abfuhr, als sie von der Stadt eine Demonstrationsbewilligung einholen wollte. In einer Medienmitteilung schimpfen die Verantwortlichen: «Die Polizei führt dabei ihre repressive Politik gegen Klimaschützer*innen im Dienste der Erdöllobby fort.»
Angepeilt wurde eine Bewilligung für zwei sogenannte «Spontankundgebungen». Diese kann kurzfristig erteilt werden als «unmittelbare Reaktion auf ein unvorhergesehenes Ereignis», wie es im Stadtberner Gesetz dazu heisst. Davon betroffen sind auch ausdrücklich Ereignisse im Bundeshaus, gegen die noch ausdrücklicher auf dem Bundesplatz demonstriert werden könne – «sofern sie den Parlamentsbetrieb nicht stören».
Die erste Kundgebung hätte im kleinen Rahmen von 8 bis 10 Uhr stattfinden sollen – also just während der Bundesratswahl. «Wir haben das Gesuch so gestellt, wie es das Gesetz verlangt, und wären mit gut zehn Leuten vorbeigekommen», sagt Jonas Kampus vom Klimastreik. Diese wurde ebenso wenig bewilligt wie eine zweite, grössere Kundgebung am Abend ab 18.15 Uhr, bei der 300 bis 600 Leute erwartet wurden.
Letztere Absage dürfte die Stadt Bern in Erklärungsnot bringen. Denn: Am Mittwochabend nach der Bundesratswahl war gar kein Parlamentsbetrieb angesetzt, der durch eine solche Kundgebung hätte gestört werden können.
Der zuständige Fachspezialist der Berner Orts- und Gewerbepolizei erklärte die Absage mit einem spitzfindigen Argument: Seinem Wortlaut nach hätte der Klimastreik nicht gegen ein «unvorhergesehenes Ereignis» demonstrieren wollen, da die Bundesratswahl schon länger bekannt sei. Im Mail, das watson vorliegt, heisst es: «Die Bundesratsersatzwahlen ist ein geplanter Anlass; sowie auch die Möglichkeiten über deren Ausgang.»
Die Argumentation ist heikel: Mit einer solchen Begründung hätte gegen gar keinen Parlamentsentscheid demonstriert werden können, da Abstimmungen im National- und Ständerat üblicherweise schon länger auf der Traktandenliste stehen. Auch ein Blick in die Historie zeigt, dass vor und gegen Bundesratswahlen regelmässig demonstriert wurde. 1993 demonstrierten hunderte wütende Frauen wegen der Nichtwahl von Christiane Brunner. 2007 standen ein bisschen weniger Menschen auf dem Bundesplatz, um gegen die Wahl von Christoph Blocher zu protestieren.
Die Medienmitteilung des Klimastreiks löste innerhalb weniger Minuten eine gewisse Nervosität in der Stadtverwaltung aus. Unter vorgehaltener Hand heisst es, dass der Entscheid «von oben» getroffen wurde. Das Klimastreik-Komitee erhielt noch während der Recherche einen Anruf, mit dem die Wogen hätten geglättet werden sollen. Zwar nicht mit der Aufhebung des Verbots, dafür aber mit der Möglichkeit, ein paar Tage später doch demonstrieren zu können.
Überraschung kam jedoch auf, als sich die Stadt Bern später offiziell gegenüber watson erklären wollte: «Formell gesehen haben wir gar kein Gesuch erhalten», heisst es plötzlich vom Polizeiinspektorat. Die amtliche Sicht der Dinge: «Wir haben lediglich eine Anfrage erhalten, zu der wir eine Einschätzung gegeben haben, gestützt auf das Kundgebungsreglement.»
Darin werde geregelt, was Spontankundgebungen erfüllen müssten: Sie müssten sich gegen ein «unvorhergesehenes Ereignis» richten. «Dazu gehören Bundesratswahlen und andere Parlamentsentscheidungen nicht, deren Ausgangsmöglichkeiten schon länger bekannt sind. Anders wäre die Situation etwa, wenn es morgen zu einer wilden Kandidatur kommt», so die Erklärung der Stadt.
Die Einschätzung hatte konkrete Folgen: Die angekündigte Spontankundgebung wurde nicht als «Spontankundgebung» bewertet – zudem teilte die Stadt mit, dass die Frist für ein «ordentliches Gesuch» abgelaufen sei. Die drohenden Konsequenzen: «Falls Sie die Kundgebungen ohne Bewilligung durchführen, muss mit strafrechtlichen Konsequenzen gerechnet werden, da die Voraussetzungen für eine Spontankundgebung bei beiden Anfragen nicht gegeben sind.»
Es soll ja nicht dagegen demonstriert werden, dass die Wahlen stattfinden, sondern dagegen, dass möglicherweise Herr Rösti gewählt wird.
...soweit zur formalen Diskussion, die inhaltliche ist eine andere.