Es läuft die 49. Minute in der Podiumsdiskussion, als die Moderatorin nachhakt und sich direkt an Brigitte Beck, CEO der Ruag Schweiz, wendet. Ob man nicht angesichts des Aggressionskriegs mit horrenden Menschenrechtsverletzungen über den eigenen Schatten springen müsse, fragt sie Beck direkt. Gemeint ist der Krieg in der Ukraine, der das Land in eine grosse Debatte um seine Neutralität gestürzt hat: Soll die Schweiz anderen Staaten die Weitergabe von Rüstungsgütern an Länder ermöglichen, die sich im Krieg befinden?
Brigitte Beck zögert nicht mit ihrer Antwort. Sie habe sich immer am Ausland gestört, sagt sie. Und dann: «Deutschland oder Spanien: Liefert doch dieses Zeug in die Ukraine. Sie verlangen von uns, dass wir unsere Gesetze brechen. Aber sie könnten… Was würden wir tun? Nichts.» Sie glaube nicht, dass es Konsequenzen hätte, «wenn sie diese Waffensysteme weiterliefern» würden. Gleichzeitig räumt Beck ein, dass sie es nicht genau wisse.
Diese Aussage lässt aufhorchen. Es ist bekannt, dass unter anderen Deutschland und Spanien Rüstungsgüter Schweizer Ursprungs in die Ukraine weitergeben wollen, beispielsweise Munition für den Flugabwehrkanonen-Panzer Gepard. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) stellt sich aber auf den Standpunkt: «Aufgrund des neutralitätsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots und des Kriegsmaterialgesetzes kann eine Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine nicht bewilligt werden.» Die Schweiz hat deshalb bisherigen Gesuchen aus dem Ausland eine Abfuhr erteilt.
Beck begründet indes ihre Haltung mit ökonomischen Überlegungen: «Wenn man der Industrie zu viele Knüppel in die Beine wirft, dann kommt das auf uns zurück», sagt sie einige Sätze später. Das Video der Veranstaltung ist öffentlich einsehbar auf der Plattform Vimeo.
Dass ausgerechnet Brigitte Beck, CEO des Technologiepartners der Schweizer Armee, öffentlich diese Gegenposition einnimmt, ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen befindet sich die Ruag Schweiz gänzlich im Besitz des Bundes. Zum anderen hat Brigitte Beck nur Tage vor dem beschriebenen Podium vom 2. Mai ein Interview mit dieser Zeitung verhindert, in dem sie in ähnlicher Weise Stellung genommen hatte. Das Interview erschien nicht, stattdessen hatte sich die Redaktion dazu entschlossen, die Vorgänge rundum transparent zu machen.
Inhaltlich drehte sich das Interview unter anderem um jene Inhalte, die auch das Podium zum Thema hatte: Neutralität. Beck sprach gegenüber CH Media beispielsweise davon, dass Ruag gerne 96 in Italien stationierte Leopard-1-Panzer der deutschen Firma Rheinmetall übergeben würde, um diese anschliessend in die Ukraine zu liefern. Was allerdings unter dem aktuellen Sanktionsregime nicht möglich ist.
Dergestalt Aussagen wollte Beck jedoch später nicht in der Zeitung lesen. In einer eigenen Version strich sie solche Passagen oder schrieb sie gänzlich um. Es wäre das erste Interview mit Beck gewesen, die seit ungefähr acht Monaten als CEO des Rüstungsunternehmens amtet.
Am von der Organisation «F-Info» organisierten Podium hingegen geht Brigitte Beck noch einen Schritt weiter. Als die Moderatorin sie darauf anspricht, ob sie auch einen Nato-Beitritt oder eine verstärkte Partnerschaft begrüssen würde, sagt sie: Es sei ihre persönliche Haltung, dass sie glaube, die Schweiz könne nicht überall abseits stehen. Dieses «isolierte Igeldasein» funktioniere nicht, die Schweiz sei auf Partnerschaften angewiesen.
Insbesondere mit ihren Aussagen zur Weitergabe von Rüstungsgütern steht Brigitte Beck in einem Widerspruch zum Bundesrat. Noch im März hatte dieser festgehalten, er wolle an der bisherigen Praxis festhalten. In einer Mitteilung schrieb die Landesregierung, der Bundesrat bestätige «seine ablehnende Haltung hinsichtlich einer Bewilligung der Wiederausfuhr von Kriegsmaterial». Anlässlich der Mitteilung hielt der Bundesrat fest: In den vergangenen zwölf Monaten habe er Anfragen aus Deutschland, Dänemark und Spanien für die Weitergabe von aus der Schweiz beschafftem Kriegsmaterial abschlägig beantwortet.
Auf Anfrage dieser Zeitung wollte das für die Ruag Schweiz zuständige Verteidigungsdepartement aber keine Stellung nehmen, sondern verweist direkt an das Rüstungsunternehmen. Zu Wort meldet sich dafür das Seco: Es sei klar, dass eine solche Missachtung der Gesetze Konsequenzen haben würde, sagt ein Sprecher auf Anfrage. «Welche, müsste im Einzelfall und aufgrund der Schwere beurteilt werden.» (aargauerzeitung.ch)