Am Sitz des Schweizer Fernsehens im Norden Zürichs sprechen die Angestellten von einem «Aufstand». Dass jemand wage, sich gegen die Geschäftsleitung aufzulehnen, sei erstaunlich. Und nun ist die Rebellion auch noch erfolgreich.
Um was geht es? Seit dem vergangenen November werden die Hauptausgabe der «Tagesschau» und die Sendung «10 vor 10» aus den neuen Studios des News- und Sportcenters ausgestrahlt. Der Umzug erfolgte mit einer Verspätung von drei Jahren. Es gelang den Zuständigen des Schweizer Fernsehens lange nicht, die neue Technologie störungsfrei in Betrieb zu nehmen. Die Reparaturarbeiten kosteten mehrere Millionen Franken.
«Als Nächstes wird ‹Gesichter und Geschichten› in der Studiolandschaft im Erdgeschoss einziehen», sagte Projektleiter Remo Vogt im vergangenen Herbst dem Branchenportal «Persönlich». Dazu kam es aber nicht. «G&G – Gesichter und Geschichten» hätte vom 20. März 2023 an im News- und Sportcenter produziert werden sollen. Die Sendung wird jedoch nach wie vor im Studio 11 am Leutschenbach aufgenommen.
SRF-Mitarbeiter erzählen, dass die Probeaufnahmen von «Gesichter und Geschichten» im neuen Studio miserabel verlaufen seien. Jemand spricht von einem «optischen Totschlag». Die Farbe Rot, welche das Dekor der «Tagesschau» und von «10 vor 10» dominiere, habe nicht abgemildert werden können. Das Dekor von «G&G» war bisher in Pastelltönen gehalten.
Da habe es der Redaktionsleiterin den Hut gelupft: Paola Biason erinnerte die Verantwortlichen des Schweizer Fernsehens daran, dass die Sendung erst vor zweieinhalb Jahren ihr Erscheinungsbild geändert habe. Mit dem Wechsel von «Glanz und Gloria» zu «Gesichter und Geschichten» wurde aus einem People- ein Gesellschaftsmagazin mit deutlich längerer Sendezeit, rund 20 Minuten. Dieses Vorabend-Format könne man nun gestalterisch nicht auf den Kopf stellen, habe Biason erklärt. Sie drang damit durch.
Die Auflehnung wird von einigen SRF-Mitarbeitern anerkennend kommentiert: «Endlich traut sich jemand, unüberlegte Entscheide unserer Geschäftsleitung nicht einfach hinzunehmen.» Eine Redaktorin meint, der Mut von Paola Biason sei erfreulich in einem Betrieb, in dem sich ein Duckmäusertum ausbreite. Mehrere Angestellte fragen sich: Warum kann man in einem hypermodernen Fernsehstudio die Farbgebung nicht anpassen, damit ein Gesellschaftsmagazin nicht wie eine Nachrichtensendung daherkommt?
In der technischen Abteilung ist der Ärger hingegen gross. Die Weigerung der Redaktionsleiterin, ins News- und Sportcenter umzuziehen, bedeutet einen neuen Rückschlag in einer bereits pannenreichen Geschichte. «G&G» als tägliches Format gehört in die neue Infrastruktur – das stand ausser Zweifel, bis die Probeaufnahmen Perplexität auslösten. Dass das Studio 11 nun weiter genutzt wird, verursacht Mehrkosten. Eigentlich sollten an diesem Ort Mitarbeiter ausgebildet werden.
Die neuen Studios wurden in den Medien zurückhaltend gewürdigt: zu kühl, zu kahl. Nun kommt ein weiteres Problem hinzu: Die Ausgaben der «Tagesschau» am Mittag und um 18 Uhr sowie «Schweiz aktuell» werden aus dem Newsroom im Obergeschoss ausgestrahlt. Dem Publikum soll Arbeitsatmosphäre vermittelt werden.
Die Moderatorinnen und Moderatoren fühlen sich aber gestört vom Lärm, den die Journalisten verursachen. Das Schweizer Fernsehen muss Sicherheitspersonal einsetzen; es verhindert, dass die Redaktoren zu nahe ans Moderationspult herankommen. Ein Mitarbeiter sagt, man werde diese Sendungen wohl ins Erdgeschoss verlegen, wenn sich die Moderatoren weiter beeinträchtigt fühlten.
Was sagt das Schweizer Fernsehen zu diesen Schwierigkeiten? Warum sendet «Gesichter und Geschichten» seit Mitte März nicht aus den neuen Studios?
«Im Probebetrieb haben wir festgestellt, dass die Anforderungen betreffend Gestaltung, Farbgebung und Licht grössere Anpassungen notwendig machen, sodass für die Sendungsmigration mehr Zeit benötigt wird», teilt SRF mit. Die Verantwortlichen haben den Plan, «G&G» zu verlegen, also noch nicht aufgegeben.
Das Schweizer Fernsehen verweist ausserdem auf bauliche Massnahmen, die den Moderatoren im Newsroom die Arbeit erleichtern sollen: Plakate informieren die Angestellten über die Sendezeiten, es wurden Drehlichter installiert, Personal der Securitas leitet Mitarbeitende zu weiter entfernten Treppenhäusern und Liften – und nun sollen rund um die Moderationsflächen auch noch Stelen installiert werden, die «das Ablenkungspotenzial minimieren.» Unklar ist, ob der ganze Aufwand die Moderatoren davon abhält, dass sie sich ihre alten Arbeitsstätten zurückwünschen. (aargauerzeitung.ch)