Die Zahlen sind katastrophal. Und Ex-Nationalbankchef Philipp Hildebrand muss sie verantworten. Das Kunsthaus Zürich, international in der Kritik durch die lange Zeit mangelhaft aufgearbeitete Bührle-Sammlung, hat sich offenbar durch den Erweiterungsbau auf massive Weise finanziell überhoben. Nachzulesen ist das im Jahresbericht 2023, den der Blackrock-Banker in seiner Funktion als Präsident des Trägervereins an der Generalversammlung des Kunsthauses Zürich am Montag bekannt geben wird.
Die Jahresrechnung schliesst mit einem Verlust von 1,58 Millionen Franken, einem Fehlbetrag, der rund 170'000 Franken grösser ist als noch 2022. Im Jahr 2021 betrug das Minus 482'000 Franken.
Infolgedessen ist auch das Vermögen des Zürcher Kunstgesellschaft weiter geschrumpft, der Minusbetrag 2022 belief sich auf 2,9 Millionen, im letzten Jahr auf nicht vorhandene 4,5 Millionen Franken. Wäre das Museum eine private Firma, müsste die Überschuldung dem Gericht gemeldet werden. Ein Fall von Konkurs.
Die Revisionsstelle weist den Umstand in ihrem Bericht regelkonform aus, schreibt dazu aber: «Die Verbindlichkeiten sind durch die Aktiven gedeckt, und der Vorstand hat deshalb von der Benachrichtigung des Gerichts abgesehen.» Das heisst: Sollte es wirklich eng werden, könnte das Museum, zumindest theoretisch, Bilder verkaufen.
Die Revisionsstelle liefert dem Haus denn auch gleich die Erklärung für die Ungemütlichkeiten. Verantwortlich dafür sind gemäss interner Einschätzungen «die Mehrkosten, die im Zusammenhang mit der Eröffnung der Kunsthaus-Erweiterung resultieren». Hildebrands Äusserungen dazu: «Ein neues Museum, das doppelt so gross ist wie das alte, bringt oft unerwartete Herausforderungen mit sich.»
Fakt ist: Trotz des prestigeträchtigen Chipperfieldbaus blieben im Betriebsjahr 2023 diverse Einnahmequellen unter den Erwartungen: Knapp 10 Prozent weniger Besucher als 2022 haben die beiden Häuser frequentiert. Knapp 30 Prozent weniger Interesse verbuchte das Ressort Kunstvermittlung (Führungen), und ein grösserer Posten fehlt zudem in den Kassen des Museumsshops.
Weniger Einnahmen einerseits stehen einem grösseren Betriebsaufwand andererseits gegenüber. Am deutlichsten angestiegen sind letztes Jahr die Personalkosten. Sie sind mit derzeit rund 17 Millionen Franken eine Million Franken höher als im Vorjahr.
Das fehlende Geld in der Kasse ist besonders dramatisch, weil seitens öffentlicher Hand so viel Bezuschussung - vor allem für die Berichtigung des Bührle-Debakel - wie noch nie in der Geschichte des Hauses in die Kasse gespült wurde. Letztes Jahr haben sowohl die Stadt als auch der Kanton Zürich ihre Subventionen erhöht. Der neue Subventionsvertrag mit der Stadt sah 2023 ein Plus von 300'000 Franken und damit eine Jahressubvention von 13,3 Millionen Franken vor. Der Kanton erhöhte seine Subvention um fast 100'000 Franken auf 730'000 Franken jährlich.
Doch just von Stadt und Kanton will Philipp Hildebrand noch mehr Geld fordern. In seinem Vorwort des Jahresberichtes skizzierte er diverse Lösungsvorschläge: Unter anderem ist ein neues Subventionsgesuch spruchreif, das bereits im Sommer gestellt werden soll. Denn die Zeit drängt in der Tat. Der Crash der Credit Suisse, dreissig Jahre lang Hauptsponsorin des Museums, hat das Haus erschüttert. Die Zusage der UBS, das Museum nicht fallenzulassen, gilt fatalerweise ausschliesslich bis Ende dieses Jahres. Eine Anschlusslösung steht augenscheinlich nicht am Horizont.
Die Hiobsbotschaft veröffentlicht hat am Montag als Erste die Onlineplattform «Inside Paradeplatz». Sie verwies auf die im Netz aufzufindenden Zahlen des Jahresberichts 2023. Das Museum selbst sagt auf Anfrage, dass der Bericht erst nach der Generalversammlung am Montag öffentlich bekannt gegeben werde. Man will den Ball flach halten und die Öffentlichkeit so lange im Ungewissen lassen.
Die Vogelstrauss-Politik der Museumsverantwortlichen ist nicht neu. Bereits bei der Aufarbeitung der Sammlung Bührle und in der Provenienzforschung betreffend die eigenen Sammlungsbestände handelte das Haus in der Vergangenheit stets reaktiv; man gab systematisch und wiederholt dem Druck nach, den die nationale und die internationale Kritik zu mobilisieren imstande war.
Mit der Einsetzung von Philipp Hildebrand und der Direktorin Ann Demeester schien sich das zu ändern. Und das muss es auch, denn der Goodwill in der Bevölkerung ist aufgebraucht. Für sie kommt es ohnehin noch ärger. Das fehlende Geld soll auch mit einem Abbau von Besucherangeboten wettgemacht werden.
Hildebrand skizziert in seinem Vorwort zur Jahresrechnung 2023, dass trotz einer «proaktiven Fundraising-Strategie» mit einschneidenden Massnahmen für das Publikum zu rechnen ist. Der reguläre Eintrittspreis von 24 Franken wird erhöht. Die verlängerte Öffnungszeit am Mittwoch bis 20 Uhr wird abgeschafft. Die privaten Führungen werden teurer. Zudem gibt es einen Preisaufschlag bei der Nutzung der Audioguides - ein Must für Einzelbesucher, um Hintergrundwissen abzurufen. (aargauerzeitung.ch/lyn)