Sie ist nicht ganz so weich wie die «echte» St.Galler Bratwurst. Und doch fühlt sie sich im Biss ähnlich an. Ausser, dass die Haut fehlt. Geschmacklich ist sie feiner und weniger salzig als das Original. Zudem enthält sie mehr Proteine. Die Rede ist von der neuen Bratwurst aus Erbsenprotein des Zürcher Start-ups Planted.
Pünktlich zur Grillsaison erhält das Kühlregal mit den Fleischersatzprodukten besonders viel Zuwachs. Der Lebensmittelkonzern Nestlé lanciert unter der Marke «Garden Gourmet» soeben eine vegane Pouletbrust. Der zur Coop-Gruppe gehörende Fleischverarbeiter Bell schickt gar drei neue Produkte aus Pflanzenproteinen ins Rennen: zwei Grillspiesse sowie ein Pseudo-Schweinesteak.
Zumindest, was die Auswahl anbelangt, steht einem fleischlosen Barbecue längst nichts mehr im Weg. Die meisten der zahlreichen neuen veganen Produkte richten sich an die stark wachsende Gruppe der Flexitarier.
Schon rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung isst regelmässig Fleischersatzprodukte, wie der «Plant Based Food Report 2023» von Coop zeigt. Als Grund wurde insbesondere bei den 16- bis 29-Jährigen am häufigsten der Umweltschutz genannt. Eine fleischärmere Ernährung könnte viel bewirken: 14.5 Prozent der Emissionen stammen gemäss dem Schweizer Treibhausgasinventar aus der Landwirtschaft; den allergrössten Teil verursacht mit 85 Prozent die Nutztierhaltung.
Ein wachsendes Bedürfnis der Kundschaft können die grossen Schweizer Fleischersatzproduzenten jedoch nicht oder nur teilweise erfüllen: die regionale Herkunft der Rohstoffe. Die Hauptzutat, das Pflanzenprotein in Pulverform, stammt fast ausschliesslich aus dem Ausland.
Nestlé gibt an, die überwiegende Mehrheit der Sojabohnen in den «Garden Gourmet»-Produkten in Europa einzukaufen. Planted, bekannt für seine Poulet-Alternative, bezieht das Erbsenprotein vor allem aus westeuropäischen Ländern. Noch. Beide kündigten an, sie wollen möglichst bald auf inländisches Protein umstellen.
Judith Wemmer, Leiterin der Produkteentwicklung bei Planted, sagt, mit der Umstellung wolle man nicht nur dem Konsumtrend folgen, sondern auch Schweizer Bäuerinnen und Bauern eine Alternative zur Tierfutteranbau bieten. Das Interesse ist da: «Wir bekommen viele Anfragen von Bauern», sagt Wemmer. Bis inländische Erbsen im grossen Stil zu Fleischersatzprodukten verarbeitet werden können, sei es aber noch ein weiter Weg.
Eine erste Hürde ist überwunden: Seit Anfang Jahr erhalten Bauern und Bäuerinnen Subventionen, wenn sie Gelberbsen, Ackerbohnen, Soja und andere Hülsenfrüchte für die Lebensmittelindustrie anbauen. Zuvor hatte sie der Bund nur entlöhnt, wenn die eiweissreichen Pflanzen in Futtertrögen landeten.
Aktuell testen Lebensmittelingenieure in den Versuchslaboren von Planted, wie gut sich das Mehl verschiedener Erbsensorten aus Schweizer Anbau zu Fleischersatz pressen lässt. Auch die Bell-Tochter Green Mountain startete im Sommer 2022 ein Pilotprojekt zusammen mit Schweizer Bauern. Die grosse Herausforderung sei nicht der Geschmack, sondern die Konsistenz, teilt das Start-up mit.
Die Beschaffenheit des Erbsenpulvers spielt dabei eine entscheidende Rolle. Beim Pulver handelt es sich nicht um ein normales Mehl: Für die Herstellung von Fleischersatz müssen die Erbsen beispielsweise geschält und der Proteinanteil von der Stärke abgetrennt werden
Dieser Zwischenschritt in der Produktionskette - die Verarbeitung der Rohware zum Proteinpulver - fehlt in der Schweiz noch. Für jede Pflanzenart, ja sogar Sorte, müsse gemeinsam mit den Sammelstellen und Mühlenbetreibenden ein neues Verfahren etabliert werden, erklärt Wemmer. Derzeit führe Planted viele Gespräche mit den verschiedenen Akteuren.
Ein anderes Projekt hat zum Ziel, bereits diesen Herbst erstmals grössere Mengen Schweizer Pflanzenprotein auf den Markt zu bringen: So haben sich die Bauernorganisation IP-Suisse, die Getreidemühlegruppe Group Minoteries und das Food-Startup Feldkost ein Joint Venture gegründet. 175 IP-Bäuerinnen und Bauern haben im Frühjahr Ackerbohnen und Gelberbsen auf einer Fläche von insgesamt 400 Hektaren gesät.
IP garantiert ihnen einen fixen Abnahmepreis, ähnlich dem Preis für Schweizer Weizen. Reto Ryser, Projektleiter seitens IP-Suisse, sagt, für die meisten Teilnehmenden sei der Preis nicht das entscheidende Argument. Beliebt seien die Hülsenfrüchte, weil sie Stickstoff aus der Luft fixieren und so den Boden mit Nährstoffen versorgen. Der IP-Projektleiter sagt: «Ausserdem sehen auch die Bauern den Trend hin zu Fleischersatzprodukten und wollen sich beteiligen.»
Valérie Vincent ist Innovationsmanagerin bei Groupe Minoteries und kümmert sich um die Fabrikation des Proteinpulvers. Viele Arbeitsschritte seien der klassischen Müllerarbeit sehr ähnlich, sagt sie. Doch habe das Unternehmen neue Maschinen anschaffen müssen, darunter ein Schälapparat und eine spezielle Mühle.
Einen Teil des Pulvers wird das Waadtländer Unternehmen zu fixfertigem Pflanzenhack weiterverarbeiten. Auch dafür habe es eine Maschine, einen sogenannten Extruder, gebraucht, sagt Vincent. Der weitaus grössere Teil des Proteinkonzentrates soll jedoch an Lebensmittelproduzenten oder Detailhändler verkauft werden. Aktuell läuft die Suche nach Abnehmern.
Robert Finger, Agrarökonom an der ETH Zürich, sagt, den Fleischkonsum zu reduzieren, sei mittlerweile ein Ziel in den Klimastrategien vieler Länder - so auch in der Schweiz. Das Wort «Fleisch» kommt in der Strategie aber nicht vor. Stattdessen ist die Rede von einer «Anpassung der Konsum- und Produktionsmuster», um die Treibhausgasemissionen zu senken.
Es brauche eine ganzheitliche Ernährungsstrategie, welche auch die Rolle von pflanzlichen Proteinen als Alternative in Produktion und Konsum mitdenkt, sagt Finger.
Die Ausgangslage für den Anbau von Hülsenfrüchten will auch Judith Wemmer verbessern. Sie ist Präsidentin der Swiss Protein Association, dem 2021 gegründeten Verband der Fleischersatzproduzenten. Dem Verband gehören nebst Start-ups auch die Bell-Food-Gruppe und die Migros-Industrie an. Die vielen Subventionen für die Tierwirtschaft würden die Verbraucherpreise stark beeinflussen, sagt Wemmer.
Derzeit kostet die pflanzliche Bratwurst von Planted bis zu anderthalb mal mehr als das tierische Original. Stammt das Erbsenpulver künftig aus der Schweiz, dürfte sich das Produkt eher noch verteuern. Mit den neuen Subventionen für Hülsenfrüchte könnten die Rohstoffkosten nicht auf europäisches Niveau gesenkt werden, heisst es bei Bell-Tochter Green Mountain. «Ob der Markt bereit ist, einen Mehrpreis zu zahlen, wird sich zeigen.» (aargauerzeitung.ch)
Ich bin mir sicher, dass viele auch in Grauzonen leben und wenn es weniger Tierleid gibt, ist das doch grundlegend gut? Und wer will, isst einfach weiter Fleisch und ignoriert es.