Ein Drittel der Bevölkerung leidet an Einsamkeit. Das belegt der diese Woche publizierte Baselbieter Gesundheitsreport. Doch noch mehr als die hohe Zahl überrascht, welche Alterskategorie am meisten unter Einsamkeitsgefühlen leidet: Es sind die Jungen. Eine alleinerziehende Mutter lässt in diesem Beitrag in ihr Leben blicken – und Experten nehmen Stellung zu den Problemen, die das Alleinsein stellt.
Manchmal braucht es wenig, und dann ist das Gefühl da. Eben noch hat Florence mit ihrem Sohn dagesessen und Lieder gesungen. Bis sie keine mehr wusste. Und schon war da wieder diese Leere, diese Ohnmacht. «Es sind Attacken», sagt Florence. «Diese Momente, in denen ich einfach ins Leere starre. Ich heule vielleicht zwei Stunden. Bis mir langweilig wird. Dann gehe ich in die Küche und mache weiter.»
Die junge Frau sitzt auf dem Sofa in ihrer grosszügigen Wohnung. Florence wirkt zart mit ihrer hellen Haut und ihren grossen Augen. Sie heisst eigentlich nicht so, aber der richtige Name soll nicht in der Zeitung stehen.
Einsamkeit kann vieles sein, hat mit Scham zu tun, mit Schuldgefühlen und damit, andere nicht vor den Kopf stossen zu wollen. Vor allem aber kann es jeden treffen. Neueste Zahlen zeigen: Rund ein Drittel der Bevölkerung fühlt sich manchmal einsam, Frauen häufiger als Männer. In Städten ist das Problem grösser als auf dem Land.
Die Stimme von Florence ist ruhig, als sie ihre Geschichte der vergangenen Monate erzählt.
Nur kurze Zeit nach der Trennung von ihrem Partner merkte Florence: Sie war schwanger. Als ihr Sohn zur Welt kam, nahm sie fünf Monate Mutterschaftsurlaub. «Das war ein Fehler», sagt sie heute. Schnell begannen sich die Basler Wintertage zu gleichen. Aufstehen, fürs Kind sorgen, ins Bett gehen. Fertig.
Florence war isoliert. Dabei war das Alleinsein für sie lange kein Problem gewesen: Bis in die Schwangerschaft unternahm sie lange Reisen, war in Asien, Afrika, Amerika. Sie kam dabei gut ohne Begleitung aus.
Ihr Sohn turnt auf Florence herum, sie muss kurz lachen und streicht ihm über den Kopf. Er ist etwas mehr als ein Jahr alt.
«Es war keine reale Einsamkeit, ich war ja nicht alleine. Aber ich hatte niemandem, mit dem ich irgendwas teilen konnte.» Florence vergleicht das Gefühl mit einer Krankheit, «auch wenn das vielleicht völlig übertrieben klingt.»
Sie habe schon mit anderen Leuten sprechen können über ihre Gefühle. «Aber wenn wir ehrlich sind, betrifft es sie ja doch nicht.» Sie hätte jemanden gebraucht, der ihr etwas abnimmt, der mal übernimmt oder aufzeigt, wie es in Zukunft weitergehen könnte. «Dem halt auch mal ein Lied in den Sinn kommt, wenn mir die Ideen ausgehen.»
An Florence blieb alles hängen. In den schwersten Momenten wurde ihr das besonders bewusst. «Einmal musste ich mit meinem Kind ins Spital, es ging ihm schlecht.» Die ganze Zeit habe sie neben seinem Bett verbracht, weg konnte sie nie. In der Aufregung hatte sie nichts für sich eingepackt gehabt und sie wusste nicht, wen sie um einen Botendienst bitten sollte. Drei Tage trug sie die gleiche Unterhose, drei Tage waren die Augen schwarz wegen der Schminke.
Mit der Geburt fiel die ausgleichende Freizeit weg: Die Abende mit Freunden in einer Bar natürlich, aber auch nur ein kurzes Bad im Rhein. «Dabei fehlt mir das nicht einmal besonders. Ich vermisse es, mich auszutauschen und über Sorgen und Ängste zu reden.»
Florence hat einige Freunde und auch eine Familie. Aber echte Anteilnahme spürte sie nicht. So kam es vor, dass sie sich mitten unter Leuten einsam fühlte. Vorwerfen mag sie das niemandem, und schon gar nicht möchte sie zur Belastung werden. Einsamkeit, das wird deutlich, ist für Florence auch Erschöpfung. «Ich kenne nicht so viele andere Alleinerziehende. Bei Familien ist es so, dass sie mich vielleicht auch nicht immer als drittes Rad am Wagen dabei haben wollen. Also bin ich an den Wochenenden oft alleine.»
Florence ist weder ein Einzel- noch ein Extremfall. Auch wenn mit dem Thema Einsamkeit viele das Bild einer älteren Person assoziieren, deren Bekannte wegsterben: Florence passt besser zum statistischen Durchschnitt.
Die aktuellsten Zahlen zur Thematik sind im Baselbieter Gesundheitsreport enthalten. Er ist diese Woche erschienen. Die Daten basieren auf der Schweizerischen Gesundheitsbefragung und wurden 2017 erhoben. Das Ausmass ist krass.
Wer alleine lebt, ist statistisch häufiger einsam. Einen grossen Anteil bilden Einelternhaushalte mit Kind, aber selbst Paare mit Kind und ohne gaben oft an, unter Vereinsamung zu leiden. Wobei die Leiterin der Baselbieter Gesundheitsförderung, Irène Renz, einschränkt: Im Baselbiet sei mit 888 Personen nur ein Minimum an Leuten befragt worden, was die Aussagekraft relativiere – bekanntlich war der Kanton im 2017 im Sparmodus. Trotzdem: Das Baselbiet steht besser da (33,8 Prozent) als der Schweizer Durchschnitt (38,6 Prozent).
In Basel-Stadt datieren die jüngsten Zahlen von 2012. Ein Vergleich ist nur bedingt möglich. Dennoch lässt sich sagen: Einsamkeit ist in der Stadt weiter verbreitet als auf dem Land. Von den befragten Frauen gaben 45 Prozent an, Einsamkeitsgefühle zu kennen. «Aus der Psychologie weiss man, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede geben kann, wann Menschen Einsamkeit verspüren», kommentiert Kantonsarzt Thomas Steffen.
Bei vielen Männern scheint die Gruppenzugehörigkeit am Arbeitsort oder im Verein wichtig zu sein, um sich nicht einsam zu fühlen. Frauen helfen enge zwischenmenschliche Kontakte besonders gegen Einsamkeitsgefühle. «Allerdings», fügt Steffen an, «muss man hier ausdrücklich vor geschlechterspezifischen Stereotypen warnen». Jeder Mensch verspüre das Phänomen Einsamkeit in seiner ureigenen Weise.
Gerne hätten wir noch eine andere Person vorgestellt, eine ältere Frau aus der Agglomeration. Bereitwillig hatte sie Auskunft gegeben, froh, mit jemandem reden zu können. Dann änderte sie schlagartig ihre Meinung. Ihre Familie hatte ihr dazu geraten. Niemand gibt gerne zu, dass sich jemand aus dem direkten Umfeld im Stich gelassen fühlt. Einsamkeit bleibt gerne unsichtbar.
Einen Blick für die Einsamkeit älterer Leute in der ganzen Region hat Michael Harr, Geschäftsleiter von Pro Senectute beider Basel. Er sagt: «Wir beraten und unterstützen rund 30000 ältere Menschen in beiden Basel. Da bekommen wir mit, dass sehr viele Leute einsam sind.» Das gehe so weit, dass Leute den Mahlzeitenservice in Anspruch nähmen. Nicht weil sie nicht kochen möchten. Sondern damit jemand vorbeikomme. Pro Senectute versucht, die verbreitete Einsamkeit mit einer ganzen Palette an Angeboten von Kursen über Mittagstische bis hin zu einem Digitalcafé in Basel und ab Herbst auch im Baselbiet abzufedern.
Die neuste Aktion: Pro Senectute beider Basel ruft zum Einsenden von Geschichten unter dem Titel «Gemeinsam statt einsam» auf (www.geschichtenteilerin.ch). Damit wolle man fürs Thema Einsamkeit sensibilisieren, ein generelles Rezept dagegen gebe es aber nicht.
Harr: «Einsamkeit ist ein sehr grosses und ein sehr persönliches Problem, das in städtischen Gebieten verbreiteter ist als im ländlichen Raum.» Zudem werde die Einsamkeit oft auch tabuisiert, weil sie als persönliches Versagen angesehen werde. Man werte die eigene Person als zu wenig attraktiv und zu wenig spannend.
Auch Irène Renz, Leiterin der Baselbieter Gesundheitsförderung, antwortet auf eine entsprechende Frage: «Ja, Einsamkeit und speziell Einsamkeit im Alter ist für den Kanton ein relevantes Thema. Und es nimmt an Bedeutung zu, weil auch die Zahl der älteren Menschen zunimmt.»
Davon zeuge die wachsende Anzahl Projekte, die sich an die Bevölkerung mit Alter 65 plus richte. Als neuestes Projekt erwähnt sie «Tavolata», bei dem unter Federführung des Ebenrain-Zentrums die Gründung von Tischgemeinschaften unterstützt werden. Dabei sollen in erster Linie Senioren gemeinsam gesund kochen und essen.
Und was ist mit dem überraschend hohen Anteil an jungen Einsamen? Renz erklärt sich das einerseits mit dem Druck, der durch die sozialen Medien wie Facebook entsteht: «Man fühlt sich einsam, wenn man zu wenige Likes erhält.» Andererseits stünden gerade alleinerziehende Mütter unter grossem Druck, alles alleine zu schaffen. Bei dieser enormen Beanspruchung sei es plausibel, dass sie sich mehr Kontakt wünschten.
In der Stadt richtet sich das Unterstützungsangebot ebenfalls mehrheitlich an eine ältere Bevölkerung. Auf Anfrage verweist das Gesundheitsdepartement auf Aktionstage wie «Alter und Gesundheit» oder «Lebensübergänge». Diese sprächen auch ein junges Publikum sehr an, sagt Kantonsarzt Steffen.
Auf die Frage, ob es auch spezifisch für jüngere Generationen Hilfe gibt, sagt er: «Wir bemühen uns, das Thema Psychische Gesundheit breit aufzunehmen, weshalb es zum Beispiel auch Angebote für Schulklassen gibt.»
Was ältere Leute und junge Mütter gemeinsam haben: Sie verfügen nicht über ein Arbeitsumfeld, in manchen Fällen wurden sie regelrecht aus diesem Netz herausgerissen.
Als Florence wieder zu arbeiten begann, ging es ihr besser. «Das soziale Umfeld im Büro ist gratis», sagt sie. Jetzt kommt die Ferienzeit, Florence bleibt in Basel. «Ich habe es mir ausgerechnet: Ich muss 42 Menüs kochen und jeden Tag ein Programm bieten.»
Florence geht oft in den Basler Zoo. «Das ärgert mich so. Ich treffe dort immer auf diese Frauengruppen und ich bin wieder alleine dort, zum siebenhunderttausendsten Mal, Gopferteckel.» Ganz plötzlich kann in solchen Momenten die Einsamkeit wieder zupacken. Florence hat in der Elternberatung einige andere Mütter kennen gelernt. Sie besucht solche Kurse wie auch das Babyschwimmen schon für ihren Sohn. Aber auch, um andere Leute kennenzulernen, denen es ähnlich geht, für den Austausch.
Mit 27 habe ich meinen Traum erfüllt und wurde Auslandtechniker. Ich habe so viele geile Sachen erlebt, aber halt auch den Anschluss in der Schweiz verpasst. Beste Kollegen haben geheiratet und Kinder bekommen. Auf einmal ist alles anders. Habe seit paar Monaten wieder einen Job in der Schweiz und hocke alleine rum.
Werde demnächst wieder einen Auslandsjob annehmen. Hier gibts nicht mehr viel für mich. Einsamkeit ist Scheisse!
am schlimmsten ist es, wenn man sich in die menge begibt (wie heute das zürifäscht), dass feuerwerk anschaut, und es sich so anfühlt als wäre man allen egal.
Alleinsein zu dürfen ist etwas vom schönsten auf der Welt.