Realität ist, dass reiche Menschen bis zu zehn Jahre länger leben als Arme. Fiktion ist, dass einige Hollywood-Produktionen es so weit treiben, dass Lebenszeit als die wichtigste Währung der Zukunft gilt.
In «In Time» (2011) handeln Menschen mit Lebensjahren. Die Oberschicht kann mehrere tausend Jahre alt werden, die Ärmsten haben nur noch ein paar Stunden oder Minuten übrig. Und in «Paradise» (2023) verkaufen die Armen ihre Lebenszeit an Reiche, die dadurch viele gesunde Jahre zusätzlich kaufen können.
Das sind beides nur Science-Fiction-Filme, aber auch in der realen Welt wird in diese Richtung viel geforscht. Longevity, zu Deutsch Langlebigkeit, heisst der milliardenschwere Markt, in den Superreiche weltweit investieren. Auch in der Schweiz wächst das Geschäft mit der Langlebigkeit. Einer der grössten Verfechter hierzulande ist der Baselbieter Multimillionär Tobias Reichmuth. «Mein Ziel ist es, 120 Jahre alt zu werden», sagt er im Gespräch mit watson.
watson trifft Reichmuth an seinem Firmensitz im Zuger Bahnhofsgebäude. Mit seinem Tesla ist er gerade aus St. Moritz angereist, wo er sich zurzeit ein Haus bauen lässt. Reichmuth ist bekannt als einer der 300 reichsten Schweizer (Bilanz). Sein Vermögen von geschätzt 150 Millionen Franken hat er als Gründer und Mitbegründer diverser Firmen gemacht.
Unter anderem von Crypto Finance, einem Vermögensverwalter für Krypto-Asset-Fonds, den er 2021 an die deutsche Börse verkauft hat. Aber auch als Gründer der Susi Partners AG, einem Fondsmanager, der institutionelles Kapital im Wert von rund zwei Milliarden Franken verwaltet, das in nachhaltige Energieinfrastruktur investiert wird. Einem breiteren Publikum ist er vermutlich bekannt als Investor in der Schweizer Sendung «Die Höhle der Löwen».
Für weniger Aufmerksamkeit gesorgt hat bisher sein jüngstes Projekt, von dem er sich verspricht, dass es «The Next Big Thing» wird: die Langlebigkeit. Reichmuth hat damit in der Schweiz einiges vor. Nicht nur arbeitet er mit viel Zeit und Geld daran, seine eigenen fünf Start-ups in diesem Bereich zu etablieren, er möchte die Schweiz nach dem Vorbild des «Crypto Valleys» auch zum internationalen «Longevity-Valley» entwickeln. Bereits jetzt versammeln sich jedes Jahr im September die prominentesten Figuren der Langlebigkeits-Bubble in Gstaad, um ihre Produkte internationalen Investoren zu präsentieren. Gegründet wurde der Event unter anderem auch von Tobias Reichmuth. Doch woher kommt dieses Interesse?
«Alt zu werden, ist kein unausweichliches Übel, sondern eine Krankheit. Und gegen Krankheiten tut man ja was», sagt er. Tobias Reichmuth ist kein Fan der Alterung, sondern er versucht sie aufzuhalten: «Laut meinem Pass bin ich 45 Jahre alt, aber mein Körper ist biologisch gemessen 38 Jahre und im Kopf bin ich 30 Jahre.» Er sei daran, sein Körper noch auf 35 Jahre zu verjüngen – ganz ohne chirurgische Eingriffe. Botox oder Faceliftings bezeichnet er als «fahrlässig».
Reichmuth geht es darum, seine «gesunden Lebensjahre zu verlängern». Denn: «Die Krankheit der Alterung bringt weitere Symptomkrankheiten mit wie Krebs, Parkinson oder Alzheimer.» Das wolle er verhindern. Der Millionär glaubt an den wissenschaftlichen Fortschritt: «Forscher haben herausgefunden, dass wir altern, weil mit der Zellteilung etwas schiefläuft. Jeden Tag teilen sich unsere Zellen millionenfach. Würden sie sich perfekt kopieren, würden wir nicht altern, hätten keine Falten und keine altersbedingten Krankheiten.»
Mit der Reprogrammierung der Zellverjüngung werde man dieses «Problem» irgendwann lösen können. Reichmuth sagt: «Wir werden in der Lage sein, die Alterung zu verlangsamen, sie sogar aufzuheben, bis hin zur Verjüngung. Das ist nicht Science-Fiction, das ist Science.» Sein Ziel sei es deshalb, «120 Jahre lang gesund zu leben». Und wie will er das erreichen?
Reichmuth setzt auf einen Mix zwischen einer gesunden Lebensweise und neuen Nahrungsergänzungsmitteln. Das ist auch sein Geschäftsmodell. Im Juni öffnet seine erste Klinik namens Ayun, geplant ist eine ganze Kette. Dort sollen Menschen Gen- und diverse andere Tests machen können. Basierend auf den Ergebnissen werde zusammen mit Ärzten und Coaches eine persönliche Interventions- und Ernährungsstrategie erstellt. Vor Ort könne man sich dann mehreren personalisierten Therapien unterziehen, wie etwa einer Rotlicht- oder Kryotherapie. Das Ziel sei es, dass die Klienten einmal pro Woche in die Ayun-Klinik kommen würden, sagt Reichmuth. «Es wird eine Art Langlebigkeits-Gym». Kosten werde das zwischen 190 und 700 Franken pro Monat.
Zur Therapie und der ärztlichen Betreuung hinzu komme die Wahl der passenden Nahrungsergänzungsmittel. Dafür hat Reichmuths Inkubator Maximon die Firma Avea gegründet. Auf der Website erhältlich ist etwa das «Longevity-Bundle», ein «All-in-one-Nahrungsergänzung für Langlebigkeit». Für rund 200 Franken im Monat. Tobias Reichmuth lebt bereits so, wie er es sich für künftige Kundinnen und Kunden wünscht. Pro Tag nehme er etwa 11 Pillen zu sich. Ganz so extrem, wie die bekannteste und umstrittenste Koryphäe im Longevity-Business, Bryan Johnson, sei er aber nicht.
Der Amerikaner Johnson hat schon oft für Schlagzeilen gesorgt. Dieser hat sich das Ziel gesetzt, ewig zu leben. Dafür lebt er kompromisslos und gibt pro Jahr zwei Millionen Dollar aus. Jeder Tag sieht bei ihm gleich aus. Er isst nur bis um 12 Uhr mittags feste Nahrung, nimmt dafür über 100 Pillen pro Tag ein und macht täglich mehrere Therapien und Work-outs. Tobias Reichmuth, der den Amerikaner durch die Konferenz in Gstaad persönlich kennt, bezeichnet ihn als «durchdacht, aber extrem.»
Abgesehen vom extremen Lebensstil, konnten sich bisher nur die reichsten 10’000 weltweit umfassende Longevity-Behandlungen leisten. Reichmuths Angebote sollen jedoch für eine breitere Masse zugänglich sein. «Langlebigkeit ist nicht nur den Superreichen vorbehalten. Unsere Preise sind im mittleren Segment und langfristig wird es noch erschwinglicher», sagt er. Aber alles, was innovativ und neu sei, koste am Anfang etwas mehr.
Dem Unternehmer geht es aber nicht nur um den wissenschaftlichen Fortschritt, er will damit auch Geld verdienen. «Zusammen mit anderen Geldgebern werden in den nächsten vier Jahren 100 Millionen Franken investiert», sagt er. Sein Ziel sei es aber nicht, damit Milliardär zu werden, – obwohl er nichts dagegen hätte – sondern den Menschen «viele zusätzliche gesunde Lebensjahre zu ermöglichen». Und was sollen sie mit dieser Zeit machen?
Tobias Reichmuth setzt sich öffentlich für die Renteninitative der Jungfreisinnigen ein, über die am 3. März abgestimmt wird. «Die Lebenserwartung steigt ständig. Man tut sich keinen Gefallen, wenn man früh in die Rente geht. Wer das macht, läuft eine grosse Gefahr, im Alter gelangweilt oder einsam zu sein. Das kann für die Gesundheit schwere Folgen haben», sagt Reichmuth. Solange man arbeite, bleibe man fit. Für ihn sei deshalb klar, dass man das «System umdenken» müsse. Die Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich auch im hohen Alter neu zu erfinden.
Der Millionär hat dafür einige Ideen. Er schlägt vor, dass Arbeitnehmende alle zehn Jahre ein Jahr erhalten sollen, in dem sie sich weiterbilden können. Als studierter Start-up-Gründer sei er zudem dafür, den Zugang zum Studium allen zu ermöglichen, die es wollen, aber sich nicht leisten können. Interessant fände er deshalb eine Erbschaftssteuer, die Erbschaften zu 50 Prozent besteuert.
«Eine hohe Erbschaftssteuer finde ich gut, wenn sie zweckgebunden ist, also ausschliesslich in die Bildung und Start-up Finanzierung investiert wird und über eine längere Frist bezahlt werden kann, damit keine Familienunternehmen kaputt gemacht werden». Gute Unternehmer, so Reichmuth, könnten mit ihrer Geschäftstätigkeit über etwa zehn Jahre die Steuer bezahlen. «Ansonsten ist es besser, sie würden ihr Unternehmen in fähigere Hände geben. So könnte man die Chancengleichheit, die Innovation und den Standort Schweiz fördern.»
Tobias Reichmuth ist reich und überzeugt von seinen Visionen. Wenn alles so kommt, wie er es will, wird er viel Zeit haben, diese in die Tat umzusetzen. Ausser die Zukunft macht ihm einen Strich durch die Rechnung, wie es im Film «In Time» heisst: «Der Geist kann verbraucht sein, auch wenn es der Körper nicht ist.»
Und dann noch bestimmen, wie sein Steuergeld gebraucht werden darf.
Ich habe keine Fragen mehr.
Die sind übrigens keine Millionäre, der Markt gibt also viel Arbeit und nicht unendlich viel Geld.
🙄