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ChatGPT bei Prüfungen im Studium: Eine Studentin packt aus

Teaser "was ich wirklich denke" studentin chat gpt
Was ich wirklich denke

«Prüfungen mit ChatGPT zu schreiben, ist okay» – Studentin packt aus

26.03.2023, 11:3926.03.2023, 12:17
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Was ist «Was ich wirklich denke»?
Wir gestehen: Bei der Idee für «Was ich wirklich denke» haben wir uns schamlos beim «Guardian»-Blog «What I'm really thinking» bedient. Wir mussten fast, denn die Idee dahinter passt wie die Faust aufs Auge auf unseren alten Claim «news unfucked». Es geht darum, Menschen, Experten, Betroffene anonym zu einem Thema zu Wort kommen zu lassen, ohne dass diese dabei Repressalien befürchten müssen. Roh und ungefiltert. Und wenn du dich selber als Betroffener zu einem bestimmten Thema äussern willst, dann melde dich bitte unter wasichdenke@watson.ch.

Die Namen unserer Gesprächspartner sind frei erfunden.
  • Carolina studiert im Master an einer Schweizer Uni.
  • Die letzten Semesterprüfungen hat sie mit ChatGPT 3 gelöst.
  • Ein schlechtes Gewissen hat sie keines. Vielmehr findet sie, die Universitäten sollten ihr Prüfungssystem überdenken.

Mein Umfeld machte mich auf ChatGPT aufmerksam, als ich mich über den Zeitdruck wegen der Semesterprüfungen beklagte. Ich arbeitete zu dieser Zeit viel und hatte fast keine Zeit zum Lernen.

Seit der Pandemie schreiben wir viele Prüfungen zwar vor Ort, aber am Laptop und Open Book. Heisst, Hilfsmittel wie Zusammenfassungen und das Internet dürfen benutzt werden.

Darum entschied ich mich, den Stoff so weit zu lernen, dass ich ihn verstehe, aber nicht auswendig kenne. Gar nichts zu machen, kam nicht infrage. Sonst hätte ich nicht abschätzen können, ob die Antworten vom Chat stimmen.

Das einzige Risiko war schlussendlich, dass sie die Seite im Netzwerk sperren. Das ist zum Glück nicht passiert. In meinem Fall wäre das aber auch nicht schlimm gewesen. Als Vorbereitung löste ich bereits die Prüfung aus dem Vorjahr mit der künstlichen Intelligenz. Diese wurde uns zum Lernen bereitgestellt.

Wir hatten 1,5 Stunden Zeit für die Prüfung – nach 20 Minuten war ich fertig.
Carolina

Weil sicher 80 Prozent der Fragen identisch zur diesjährigen Prüfung waren und ich die alte auf meinem Laptop gespeichert hatte, konnte ich fast alle Antworten kopieren. Den Rest löste ich mit ChatGPT vor Ort. Nach 20 Minuten war ich fertig und mir blieb noch mehr als eine Stunde.

Diese Zeit nutzte ich, um die Fragen nochmals zu überprüfen und zu ergänzen. Zudem muss man alle deutschen Doppel-s ersetzen. Falls ihr eure nächste Prüfung auch so schreiben wollt, vergesst das nicht. Sonst fallt ihr auf.

Wir durften Google benutzen. Ich war einfach so schlau, nach ChatGPT zu googeln.
Carolina

Angst, erwischt zu werden, hatte ich aber keine. Du siehst, wo die Aufsicht im Raum ist. Wenn sie bei dir steht, öffnest du den Chat nicht in diesem Moment. Grundsätzlich habe ich mich meiner Meinung nach an die Regeln gehalten. Wir durften Google benutzen. Ich war einfach so schlau, nach ChatGPT zu googeln.

Es betrügen sowieso viele Studierende. Sie spicken an Prüfungen oder lassen sich ihre Arbeiten von Ghostwritern schreiben. Das sind Dinge, die ich mein ganzes Studium lang nie gemacht habe. Und eben: Ich habe nicht gegen die Regeln verstossen.

Darum habe ich auch kein schlechtes Gewissen. Wenn eine Uni mehrmals eine fast identische Prüfung durchführt, diese auch noch an ihre Studierenden abgibt und nicht hinterfragt, ob der Modus noch zeitgemäss ist, fühle ich mich nicht schlecht, gewisse Mittel zu meinem Vorteil zu nutzen. Man geht doch mit der Zeit, nicht?

Das heutige Prüfungssystem ist ein Witz, es ist völlig veraltet.
Carolina

Das sollten auch die Hochschulen. Das heutige Prüfungssystem ist ein Witz, es ist völlig veraltet. Fakt ist, diese künstliche Intelligenz existiert und wird immer mehr in unsere Arbeitswelt integriert. Ich kenne Firmen, die arbeiten bereits damit.

Warum also lernen wir an einer Universität nicht, wie man damit umgeht? Dieser Chat liefert innert kürzester Zeit enorm viele Informationen. Da sollten wir doch lernen, diese einordnen und prüfen zu können.

Übrigens bin ich nicht die Einzige. Wer aus meinem Umfeld die Möglichkeit hatte, schrieb seine Prüfung mit ChatGPT. Die Ergebnisse waren herausragend. Ein Freund von mir erreichte zweimal die Note 6. Bei mir war es übrigens eine 5,5.

Das gilt auch für Arbeiten. Ich kenne Leute, die haben bis zu 40-seitige Semesterarbeiten damit geschrieben. Ich selbst nutze den Chat dort jeweils für kreative Inputs, für Ergänzungen und die Recherche. Aber auch dort: Am Schluss muss ich die Quellen selbst überprüfen. Darum finde ich auch nicht, dass ich durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz meinen Abschluss weniger verdient habe als andere.

Lange werden wir unsere Prüfungen ohnehin nicht so schreiben können. Der Dozent eines Bekannten meinte, aktuell würde die Universität Softwares beschaffen, um ChatGPT zu sperren. Falls dies nicht bis zu den nächsten Prüfungen gelingt, würden sie auf die Ehrlichkeit der Studierenden vertrauen.

Aufgezeichnet von: Sina Alpiger

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274 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Andij
26.03.2023 11:57registriert Juni 2018
Nach einem Studium sollte man in der Lage sein komplexe Zusammenhänge zu analysieren, zu verstehen und einzuordnen. Indem du Fragen von einem Chat lösen lässt, erreichst du das nicht. Deshalb 1) hast du den Sinn des Studiums nicht verstanden und 2) nein, den Universitätsabschluss verdienst du nicht.
Was denkst du, wird deine Ausbildung in der Arbeitswelt wert sein? Alle die schreiben und lesen können, können einen Bot bedienen, die richtigen Schlüsse ziehen evt nicht.
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Andi7
26.03.2023 11:51registriert November 2019
Umso mehr sagen Abschlüsse weniger über die Fähigkeiten der Person aus.
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Stoupe
26.03.2023 11:54registriert März 2014
Prüfungen einfach wieder auf Papier schreiben. Die Uni soll ein neues Prüfungssystem entwickeln; aber niemand gibt einen Vorschlag dazu.
Das hier ist einfach eine Ausrede für die eigene Faulheit.
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