Schweiz
Migration

2012: Als es noch nicht Eritreer, sondern Tunesier waren – und da hat man eine Lösung gefunden

Seither haben sich die Probleme mit tunesischen Asylbewerbern in der Schweiz gelegt: 2012 unterzeichnen Bundesrätin Simonetta Sommaruga und der tunesische Aussenminister Rafik Abdessalem die Migration ...
Seither haben sich die Probleme mit tunesischen Asylbewerbern in der Schweiz gelegt: 2012 unterzeichnen Bundesrätin Simonetta Sommaruga und der tunesische Aussenminister Rafik Abdessalem die Migrationspartnerschaft.
Bild: keystone

2012: Als es noch nicht Eritreer, sondern Tunesier waren – und da hat man eine Lösung gefunden

Eine Partnerschaft half innert wenigen Jahren, das Problem mit tunesischen Asylbewerbern zu entschärfen. Ein ideales Modell auch für den Umgang mit eritreischen Asylbewerbern? Langfristig ja, sagt der Bund.
17.02.2016, 05:3317.02.2016, 08:05
dennis bühler und lorenz honegger / Aargauer Zeitung

2012 sprachen alle von den Tunesiern. «Sind sie renitenter als andere Asylbewerber?», fragte die Boulevardzeitung «Blick» ihre Leser Anfang Jahr, und eine satte Mehrheit von 66 Prozent glaubte zu wissen: «Ja, Recht und Ordnung kennen viele nur vom Hörensagen.» Sechs Monate später, im Juli 2012, doppelte das Blatt mit der Frage nach, wie man sich die vielen Delikte erkläre. «Unsere Strafen und Gefängnisse machen den Tunesiern keinen Eindruck», antworteten 78 Prozent der Leser.

Zwar sind seither nur wenige Jahre vergangen. Doch die Tunesier, deren Staatspräsident Béji Caïd Essebsi morgen zum zweitägigen Staatsbesuch in der Schweiz eintrifft, sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Nicht nur, aber vor allem weil viel weniger in die Schweiz einreisen als damals. «Die Asylgesuche aus Tunesien sind von monatlich 320 im Jahr 2011 auf 326 für das ganze Jahr 2015 gesunken», sagt Eduard Gnesa, Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit. «Das ist eine drastische Abnahme.» Zudem seien die Vollzugspendenzen um zwei Drittel zurückgegangen.

Der Hauptgrund für die erfreuliche Entwicklung: die Migrationspartnerschaft, welche die Schweiz und Tunesien im Juni 2012 abschlossen haben und die im August 2014 in Kraft getreten ist.

Erst Dialog, dann Partnerschaft

«Eine Migrationspartnerschaft setzt einen Migrationsdialog und einen gemeinsamen Willen zur Zusammenarbeit voraus»
Eduard Gnesa

Ist eine solche Migrationspartnerschaft auch der Schlüssel im Umgang mit den eritreischen Asylbewerbern, die gegenwärtig für fast genauso viele Diskussionen sorgen wie die Tunesier vor vier Jahren? Hilft es, enger mit dem dubiosen Regime des ostafrikanischen Staates zu kooperieren, wie es die Teilnehmer der höchstumstrittenen Eritrea-Reise dem Bund schmackhaft machen wollen? Unisono fordern diese: «Eine Migrationspartnerschaft ist anzustreben»

Gnesa hat – langfristig betrachtet – Verständnis für die Forderung. Auch er hält die Migrationspartnerschaft mit Tunesien für ein mögliches Modell mit Eritrea. «Doch eine Migrationspartnerschaft setzt einen Migrationsdialog und einen gemeinsamen Willen zur Zusammenarbeit voraus», sagt er. Erst, wenn in migrationspolitischen Themen wie legaler Migration oder Menschenhandel ein Konsens gefunden sei, könne man eine Partnerschaft ins Auge fassen. Zudem setze diese voraus, dass abgewiesene Asylsuchende bei ihrer Rückkehr nicht gefährdet seien. «Das ist bei Eritrea zurzeit nicht der Fall.»

Klar ist, dass der Bund seine fünf bestehenden Partnerschaften mit Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nigeria und Tunesien äusserst positiv bewertet. «Das sind Erfolgsgeschichten», sagt Gnesa. Einfache Rückübernahmeabkommen seien schwerer abzuschliessen, weil die betroffenen Länder oft selber schon Tausende oder Hunderttausende Flüchtlinge auf ihrem Territorium und somit wenig Anreiz hätten, Landsleute aus Europa zurückzunehmen. «Migrationspartnerschaften hingegen berücksichtigen die Interessen beider Staaten.»

Zu wenig Praktikumsplätze

So hat sich Tunesien bereit erklärt, hierzulande abgewiesene tunesische Asylbewerber zu empfangen. Im Gegenzug wird es von der Schweiz unter anderem beim Aufbau von Grenzschutzbehörden, bei Entwicklungsprojekten und der Ausbildung von Jugendlichen unterstützt. Bei Letzterer allerdings hat es lange geharzt. Vom ursprünglichen Ziel, pro Jahr 150 jungen tunesischen Berufsleuten in der Schweiz ein Praktikum zu ermöglichen, ist man weit entfernt. Momentan sucht Swisscontact, eine Stiftung für internationale Entwicklungszusammenarbeit, im Auftrag des Bundes nach Praktikumsplätzen. «Bis jetzt verfügen wir über rund 10 Zusagen und 20 vielversprechende Möglichkeiten», sagt eine Sprecherin.

Jetzt auf

Nigeria – das Negativbeispiel

«So entlastet der reiche Onkel aus Europa das Budget der Regierung, und diese setzt das zusätzlich zur Verfügung stehende Geld eventuell für wenig konstruktive Dinge ein: beispielsweise für Militärausgaben.»
Makr Herkenrath, Chef Alliance Sud

Während der Bund Migrationspartnerschaften für das Allheilmittel hält, ist Mark Herkenrath, Chef des Schweizer Entwicklungshilfe-Netzwerks Alliance Sud, skeptisch. «Oft werden Gelder, die zuvor in sinnvolle Entwicklungshilfe flossen, nach Abschluss des Partnerschaftsvertrages für Projekte eingesetzt, die der dortigen Regierung gefallen», sagt er. «So entlastet der reiche Onkel aus Europa das Budget der Regierung, und diese setzt das zusätzlich zur Verfügung stehende Geld eventuell für wenig konstruktive Dinge ein: beispielsweise für Militärausgaben.» Zudem habe sich nicht jede Partnerschaft so positiv ausgewirkt wie jene mit Tunesien. «Bei Nigeria etwa hat sie nicht geholfen, die Zuwanderung zu drosseln», sagt Mark Herkenrath. «Diese ist vielmehr noch gestiegen.»

Migration
Afrikanische Migranten sind oft gut ausgebildet – und sie lassen sich nicht aufhalten
67
Afrikanische Migranten sind oft gut ausgebildet – und sie lassen sich nicht aufhalten
Swiss Passagiere ohne Aussicht auf Entschädigung – das schreibt die Sonntagspresse
13
Swiss Passagiere ohne Aussicht auf Entschädigung – das schreibt die Sonntagspresse
Asyl-Bericht zeigt Mängel im Umgang mit Flüchtlingsfrauen
3
Asyl-Bericht zeigt Mängel im Umgang mit Flüchtlingsfrauen
Ein Tag im Leben der Schweiz – die Wahlreportage aus vier Gemeinden
2
Ein Tag im Leben der Schweiz – die Wahlreportage aus vier Gemeinden
von Christoph Bernet, Jara Helmi, Sarah Serafini, Camille Kündig
Erdogan droht Europa: «Wir werden 3,6 Millionen Flüchtlinge schicken»
148
Erdogan droht Europa: «Wir werden 3,6 Millionen Flüchtlinge schicken»
Landesverweis für einen Guineer laut Bundesgericht wegen guter Genesungschancen zulässig
3
Landesverweis für einen Guineer laut Bundesgericht wegen guter Genesungschancen zulässig
Keller-Sutter gibt Deutschland einen Korb
88
Keller-Sutter gibt Deutschland einen Korb
von Remo Hess, Luxemburg
Millionen-Gewinn im Flüchtlings-Business: Asylfirma ORS legt erstmals Zahlen offen
45
Millionen-Gewinn im Flüchtlings-Business: Asylfirma ORS legt erstmals Zahlen offen
von Leo Eiholzer
Apple-Chef kämpft für Mitarbeiter, denen die Abschiebung droht
Apple-Chef kämpft für Mitarbeiter, denen die Abschiebung droht
Wir haben 4 Gemeinden besucht – so unterschiedlich sind ihre Probleme
15
Wir haben 4 Gemeinden besucht – so unterschiedlich sind ihre Probleme
von Lea Senn, Christoph Bernet
Elend auf Lesbos: Einwohner und Flüchtlinge am Limit
52
Elend auf Lesbos: Einwohner und Flüchtlinge am Limit
von Alexia Angelopoulou
Griechische Regierung verschärft Politik nach Brand in Flüchtlingslager
6
Griechische Regierung verschärft Politik nach Brand in Flüchtlingslager
Mindestens zwei Tote bei Brand in Flüchtlingslager Moria auf Lesbos
3
Mindestens zwei Tote bei Brand in Flüchtlingslager Moria auf Lesbos
«Tomatenernte ist die schlimmste»: Migranten arbeiten wie Sklaven auf Italiens Feldern
54
«Tomatenernte ist die schlimmste»: Migranten arbeiten wie Sklaven auf Italiens Feldern
Vier EU-Staaten einigen sich im Streit über Bootsflüchtlinge
5
Vier EU-Staaten einigen sich im Streit über Bootsflüchtlinge
1 Jahr Haft für 234 Menschenleben: An diesem Mann soll ein Exempel statuiert werden
178
1 Jahr Haft für 234 Menschenleben: An diesem Mann soll ein Exempel statuiert werden
von Sarah Serafini
Emmen war eine «Einbürgerungshölle»: Jetzt hat ein Migrant einen SVP-Nationalrat besiegt
37
Emmen war eine «Einbürgerungshölle»: Jetzt hat ein Migrant einen SVP-Nationalrat besiegt
von Peter Blunschi
Idris ist mit 20 Jahren aus Eritrea in die Schweiz geflüchtet. Wie? Frag besser nicht!
82
Idris ist mit 20 Jahren aus Eritrea in die Schweiz geflüchtet. Wie? Frag besser nicht!
von Corsin manser
Der Spiderman von Paris – Chronik eines modernen Märchens
68
Der Spiderman von Paris – Chronik eines modernen Märchens
von Sarah Serafini
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
14 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wilhelm Dingo
17.02.2016 09:06registriert Dezember 2014
Ein gewichtiger Unterschied gibt es: Die Eritreer fallen nicht durch hohe Kriminalitätsraten auf. Bürger anderer Afrikanischer Länder aber schon. Angolaner, Nigerianer, Algerier, Kongolesen, Marokkaner und Tenuesier sind um eine vielfaches krimineller als andere Ausländergruppen. Ein Blick auf die Statistiken dazu reicht.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Wilhelm Dingo
17.02.2016 06:30registriert Dezember 2014
Migrationspartnerschaft=die Schweiz zahlt
00
Melden
Zum Kommentar
14
«Ich war halt noch jung»: FCZ-Spieler Denoon wegen Betrugs verurteilt
Das Bezirksgericht Bülach hat den nach Italien ausgeliehenen FCZ-Fussballer Daniel Denoon wegen gewerbsmässigen Betrugs schuldig gesprochen. Er betrog Galaxus mit einem Päckli-Trick um über 70'000 Franken.
Denoon wurde im abgekürzten Verfahren zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Der Richter bestätigte den zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten ausgehandelten Urteilsvorschlag nach einer kurzen Verhandlung am Dienstagnachmittag.
Zur Story