Wie viel Geld die ORS Service AG verdient, beschäftigt seit Jahren Medien, das Parlament, den Bundesrat: Die Firma betreibt primär für die öffentliche Hand über 100 Asylunterkünfte mit fast 90'000 Schlafplätzen. Obwohl das Geld zu grossen Teilen vom Staat stammt, veröffentlichte ORS nie Gewinnzahlen. Die Firma gehört einer Beteiligungsgesellschaft in London. Die Schlagzeilen waren entsprechend: Von «verstecktem Profit auf dem Buckel von Flüchtlingen» oder «Profiteuren des Elends» war die Rede.
Nun hat die ORS ihre Zahlen veröffentlicht: Die Firma machte letztes Jahr einen operativen Gewinn von 1.3 Millionen Franken. Der Umsatz betrug 157.8 Millionen. Die Zahlen beziehen sich auf die Schweiz, Deutschland und Österreich. Sie stammen aus dem Geschäftsbericht, der kürzlich erstmals auf der ORS-Website aufgeschaltet wurde.
Die Publikation ist im Vergleich zu üblichen Geschäftsberichten dürftig. Das 48-seitige Dokument nennt lediglich auf zwölf Zeilen Finanzzahlen. Diese zeigen: In der Schweiz machte ORS letztes Jahr 99.8 Millionen Franken Umsatz. Die Gemeindemandate sind mit Abstand am wichtigsten. Sie sind für 40 Millionen Franken des Umsatzes verantwortlich. Kollektivunterkünfte für 29.8 Millionen. Die Aufträge durch das Staatssekretariat für Migration – unter anderem das Betreiben von Bundes-Asylzentren – machen 19.4 Millionen Franken aus.
Der Gewinn von 1.3 Millionen Franken ist überraschend tief. Die NZZ berichtete für 2016 über einen Gewinn von mindestens drei Millionen. Der Umsatz in der Schweiz sank von 125 Millionen Franken per 2016 (laut früheren Berichten) auf nun 99.8 Millionen. Der Grund für den Rückgang um 20 Prozent: Die Zahl der Asylgesuche sank zwischen 2015 und 2018 um zwei Drittel auf 15'000. Ein ORS-Sprecher sagt: «Während 2015 schnell und professionell Unterkünfte in Betrieb genommen werden mussten, stehen wir heute vor der Herausforderung, Kapazitäten nach unten anzupassen.»
Das hatte vor allem Auswirkungen auf die Mitarbeiter. Ende 2017 waren bei ORS Schweiz 1000 Personen angestellt. Heute sind es nur noch 700. Dieses Jahr wurden 20 Kündigungen ausgesprochen.
ORS geriet nicht nur wegen Entlassungen in die Schlagzeilen. Die Betreuung der Flüchtlinge wurde oft kritisiert. Im Februar 2016 etwa berichtete die «Basler Zeitung» über Protokolle, gemäss denen die ORS in einer Bundes-Unterkunft in Aesch BL nicht genügend Nahrung für Babys zur Verfügung gestellt habe. Die Vorwürfe wurden bestritten. In weiteren Fällen gab es heftige Kritik an Zuständen in den ORS-Unterkünften, die die Firma allesamt energisch zurückwies.
Angesprochen auf den rückläufigen Umsatz verweist der ORS-Sprecher darauf, dass die Firma trotz der rückläufigen Asylzahlen neue Mandate gewinnen konnte. Etwa im Kanton Bern, wo die ORS Teile eines 50-Millionen-Franken-Auftrags erhielt. Dieses Jahr laufen auch Mandate aus, weil Gemeinden andere Anbieter gewählt haben. Doch auch ORS wollte teils nicht mehr: «Aus unternehmerischer Verantwortung heraus hat die ORS von sich aus Gemeindemandate gekündigt, die sich stark defizitär entwickelt haben», sagt der Sprecher.
Richtig kritisch ist die Lage in Österreich. Dorthin expandierte ORS im Jahr 2012 und zog einen dicken Auftrag an Land. ORS betreute alle Asylsuchende, die in Obhut der Regierung standen. Doch als die rechtsnationale FPÖ den Innenminister stellte, ging sie gegen die «Asylindustrie» vor. Ab 1. Juli 2020 betreibt der Staat die Unterkünfte selber. ORS machte in Österreich letztes Jahr 51.2 Millionen Franken Umsatz. Laut dem Sprecher besteht dieser Betrag zu grossen Teilen aus dem Bundesauftrag. In Deutschland beschäftigt ORS mittlerweile 200 Mitarbeiter und machte 2018 einen Umsatz von 6.7 Millionen Franken. Die Firma hat in den letzten Monaten Mandate in mehreren Bundesländern gewonnen. ORS ist kürzlich auch nach Italien expandiert.
Sie ist nicht die einzige Anbieterin, die sich an die neuen Realitäten im Flüchtlingsbusiness anpassen muss. Die Asyl-Organisation-Zürich (AOZ) ist die grösste Konkurrentin. Sie gehört der Stadt Zürich und ist nicht gewinnorientiert. Bei der AOZ resultierte letztes Jahr ein Verlust von 1.7 Millionen Franken, 2016 war es noch ein Plus von rund einer halben Million. Der wichtigste Faktor dafür sei ein sehr starker Rückgang der Asylgesuchszahlen, insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen, sagt eine Sprecherin.
(Das SEM gehört zum EJPD)