Mamoudou Gassama. Erst gestern war das ein unbekannter Name eines unbekannten Einwanderers aus Mali. Heute kennt ihn die ganze Welt. Denn: Gassama ist ein Held. Den Spiderman von Paris nennen sie ihn jetzt.
Dabei hätte Gassama, streng genommen, gar nicht tun dürfen, was ihn zum Helden machte. Ja, er hätte zu jenen Zeitpunkt gar nicht am Ort des Geschehens sein dürfen, er hätte nicht in Paris, nicht in Frankreich, nicht in Europa sein dürfen.
Denn Gassama ist ein Sans-Papiers, einer der ohne gültige Papiere heimlich eingereist war, ein «Illegaler», wie ihn manch ein Politiker nennen würde. Oder zumindest war er das bis zu jenem Moment, der sein Leben total auf den Kopf gestellt hat.
Gassama, 22-jährig, seit rund sechs Monaten in Frankreich, ist am Samstagabend unterwegs, um sich irgendwo den Champions League-Final zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool anzusehen. Er kommt an einem Häuserblock vorbei. Davor auf der Strasse haben sich Menschen angesammelt. Sie schauen nach oben, reden und schreien wild durcheinander.
Dort oben, im vierten Stock klammert sich ein kleines Kind an der Aussenseite eines Balkongeländers fest. Nachbarn versuchen vergeblich das Kind hochzuziehen. Gassama sieht die Szene, rennt los, springt und bekommt das Geländer des untersten Balkons zu fassen. Innerhalb von 30 Sekunden klettert er von Balkon zu Balkon bis in den vierten Stock. Schnell zieht er das Kind hoch und hebt es auf sicheren Boden zurück. Die Menge unter ihm johlt und jubelt.
Als Polizei und Feuerwehr eintreffen, ist alles schon vorbei. Die Sanität kümmert sich um den kleinen Buben, der abgesehen von einem abgerissenen Fingernagel mit einem Schock davon gekommen ist. Weil der Vater seinen Sohn unbeaufsichtigt liess, wird dieser festgenommen. Das Kind kommt in die Obhut des Jugendamtes.
Jemand hat die spektakuläre Rettungsaktion gefilmt und auf den sozialen Medien veröffentlicht. Mehrere Millionen Male wird das Video angeklickt und weiterverbreitet. Ein Held ist geboren.
#MamadouGassama is a true and selfless hero and is in tribute, my #MCM lol pic.twitter.com/HsTZFCJbA0
— Killa Kill'em (@killaatencio) 28. Mai 2018
Schliesslich erfährt auch Staatspräsident Emmanuel Macron von der Geschichte. Kurzerhand lädt er Gassama in den Elysée-Palast ein. Am Samstag noch ein Untergetauchter, einer, der sein Heimatland Mali vor langer Zeit verlassen hatte, wie er erzählt, der über Burkina-Faso, Niger und Libyen mit dem Boot nach Italien gelangte, ist am Montag nun unterwegs zum höchsten Mann im Land. Begleitet von Blitzlichtgewitter der Journalisten und Mikrofonen, die ihm ins Gesicht gehalten werden.
Doch Gassama ist kein Mann der grossen Worte. Er sagt lediglich: «Ich hörte viele Leute schreien. Ich bin losgerannt, um zu sehen, was ich machen kann. Ich kriegte einen Balkon zu fassen und bin dann einfach so hochgeklettert, Gott sei Dank habe ich ihn gerettet.»
Auch als Macron mehr über den Vorgang der Rettung wissen will, ihn fragt, wo seine Kraft und Geschicklichkeit herrühren, sagt er nur: «Ich spiele Fussball, jogge und gehe ins Fitnesszentrum.» Macron verspricht dem Retter ein sofortiges Einbürgerungsverfahren. Ausserdem werde man ihm zu seinem Traumjob verhelfen: Gassama möchte Pariser Feuerwehrmann werden.
Dann verleiht er ihm die nationale Ehrenmedaille für Zivilcourage und Selbstlosigkeit und sagt: «Bravo.» Gassama senkt den Blick und antwortet: «Merci.»