Sie habe leider nicht viel Zeit zu sprechen, entschuldigte sich Christine Schraner Burgener, als sie ans Telefon ging. Das war Anfang Februar, und die UNO-Sondergesandte für Myanmar hatte nach dem Militärputsch in dem südostasiatischen Land alle Hände voll zu tun. Nach Kräften versuchte die Schweizer Diplomatin, zwischen der Armee und der gestürzten Regierung zu vermitteln. Von einem «herben Rückschlag» für den Demokratisierungsprozess im Land sprach sie im Interview mit dieser Zeitung. «Es ist eine Katastrophe.»
In Myanmar reissen die Proteste noch immer nicht ab. Erst vor wenigen Tagen traf sich die UNO-Gesandte mit Vertretern der Militärjunta, warnte sie vor Gewalt gegen die Demonstranten. Bald jedoch wird Schraner Burgener weiterziehen: Der Bundesrat ernannte die 57-Jährige zur neuen Staatssekretärin für Migration. Sie ersetzt Mario Gattiker, der das ordentliche Pensionsalter erreicht.
Die Leitung des Staatssekretariats ist eine der Schlüsselstellen im Justizdepartement von Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP). Gattiker hat in den vergangenen Jahren die Asylpolitik der Schweiz geprägt. Ihre neue Stelle wird Schraner Burgener wegen des UNO-Mandats erst Anfang 2022 antreten.
Ihre Ernennung ist aus mindestens vier Gründen bemerkenswert. Erstens: Dass Keller-Sutter den Posten mit einer international erfahrenen und geschätzten Spitzendiplomatin besetzt, ist ein «Zeichen der wachsenden internationalen Vernetzung der Migrationspolitik», wie es die Bundesrätin an einer Medienkonferenz am Donnerstag formulierte. Zweitens: Die Freisinnige übergibt das kontroverse Asyldossier einer erklärten Linken, denn Schraner Burgener ist SP-Mitglied.
Bemerkenswert ist drittens, dass Keller-Sutter bei einem weiteren Spitzenposten in ihrem Departement auf eine Frau setzt. Bereits jetzt sind 10 ihrer 17 engsten Mitarbeitenden weiblich, rechnete «Le Temps» jüngst vor. Über Feminismus rede sie nur ungern, heisst es von der St.Gallerin, sie praktiziere ihn lieber durch Taten.
Und viertens ist festzuhalten, dass künftig alle fünf Staatssekretariate beim Bund von Frauen geleitet werden. Es handelt sich um eigentliche Schatten-Ministerinnen: Die Staatssekretärinnen sind die hochrangigsten Beamtinnen des Landes. Sie handeln völkerrechtliche Verträge aus und führen die wichtigsten Dossiers.
Genau 30 Jahre ist es her, seit Christine Schraner Burgener in den diplomatischen Dienst des Aussendepartements eintrat. Nach mehreren Stationen im Ausland und in der Berner Zentrale war sie unter anderem Leiterin der Abteilung Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht. Schraner Burgener führte auch die Schweizer Delegation bei den Verhandlungen, die zum weltweiten Streubombenverbot führten. Dies bezeichnete sie einst als ihren grössten diplomatischen Erfolg.
Von 2009 bis 2015 war sie Botschafterin in Thailand, danach übernahm sie bis 2018 als erste Frau den wichtigen Botschafterposten in Deutschland. Mit ihrem Mann, dem Diplomaten Christoph Burgener, führte sie als Erste ein Jobsharing auf Botschafterebene. Gemeinsam arbeitete das Paar, das zwei erwachsene Kinder hat, in Dublin und Bangkok.
Ursprünglich studierte sie Rechtswissenschaften in Zürich. Eine Kommilitonin, die sich im Hörsaal zufälligerweise neben sie setzte und mit ihr ins Gespräch kam, legte selbst eine steile Karriere hin: Doris Leuthard. Die spätere Bundesrätin ist bis heute mit der Diplomatin befreundet. Auf Anfrage lässt sie ganz einfach Schraner Burgeners Palmarès sprechen: «Sie bringt viel Erfahrung mit, gerade in der internationalen Flüchtlingspolitik wird das hilfreich sein», sagt Leuthard.
Tatsächlich befasste sich Schraner Burgener in den vergangenen Jahren intensiv mit Migrationsfragen. Als UNO-Sondergesandte für Myanmar kümmert sie sich um die muslimische Minderheit der Rohingya, sie war mitverantwortlich für die Rückführung von rund einer Million Flüchtlinge. Seit über 70 Jahren verfolgt das Militär die Minderheit im Teilstaat Rakhine. Was wird sie nach dem jüngsten Putsch noch ausrichten können? «Noch einiges», hofft Schraner Burgener. Gleichzeitig zeigte sie sich im Interview mit dieser Zeitung betrübt:
In Bern wird sie auf andere Widerstände treffen. Asylpolitik ist vor allem auch Innenpolitik. Bundesrätin Keller-Sutter weiss: «Kaum ein Thema polarisiert so sehr wie die Migration.» Die neue Staatssekretärin werde die Neuorganisation des Asylwesens konsolidieren müssen; eine der komplexesten Aufgaben beim Bund, wie es Keller-Sutter nennt.
Christine Schraner Burgener selbst will sich noch nicht inhaltlich zu ihrer künftigen Aufgabe äussern. Ihre Bald-Chefin jedoch ist sicher, «dass sie auch für die innenpolitische Auseinandersetzung mit diesem Thema die richtige Person ist». Davon sei sie schlicht persönlich überzeugt.
Taten statt Worte.