Schweiz
Nationalrat

Start der Wintersession: Parlament steht vor 7 Baustellen

The Swiss Parlament pictured during an autumn sunset, Wednesday, October 9, 2019 at Bern, Switzerland. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Bild: KEYSTONE

Jetzt müssen Lösungen her – vor diesen 7 Baustellen steht das Parlament

Die vergangenen vier Jahre waren von Krisen gezeichnet. Heute beginnt die 52. Legislatur, und es zeichnet sich ab: Die Schweiz steht vor gigantischen Herausforderungen. Das sind die wichtigsten Baustellen, welche das Parlament unmittelbar angehen muss.
04.12.2023, 10:10
Anna Wanner / ch media
Mehr «Schweiz»

Der Start in die Wintersession und die neue Legislatur beginnt feierlich: Die neuen Parlamentsmitglieder werden vereidigt, die Ratspräsidenten neu gewählt und dann sicher auch das eine oder andere Glas Wein gekippt.

Doch bereits am Montagnachmittag geht es ein erstes Mal ums Eingemachte: Der Nationalrat muss den Antrag von SVP-Ständerätin Esther Friedli behandeln. Sie verlangt, die Ausweitung der Biodiversitätsflächen auf Äckern weiter aufzuschieben. Umweltschützer vermuten ein weitreichendes Störmanöver hinter dem Vorstoss.

Auch der Ständerat kann sich nicht zurücklehnen, bereits am Dienstag muss er den Boden für eine gewichtige Gesundheitsreform ebnen, damit diese bis Ende Jahr in trockenen Tüchern ist. Und am Dienstagnachmittag finden die ersten Hearings der Bundesrats- und Kanzlerkandidaten statt.

Grosse Diskussionen wird in dieser ersten Session der 52. Legislatur auch das Budget hervorrufen: Die Kassen des Bundes sind klamm, der Verteilkampf wird härter. Das zeichnet sich nicht nur für das Budget 2024 ab, vor allem in den Folgejahren will das Parlament deutlich mehr ausgeben, als der Bund einnimmt. Es ist eine der grossen Herausforderungen der kommenden Legislatur, aber es gibt noch weitere. Die Übersicht:

Bundesgelder vernünftig verteilen

Auf die Schweiz kommen finanzpolitisch schwierige Zeiten zu. Denn die gebundenen Ausgaben wachsen aufgrund der Demografie rasant: Der Bund finanziert rund 20 Prozent der AHV-Renten.

aHV
Der Bund finanziert rund 20 Prozent der AHV-Renten.Bild: shutterstock

Die Ausgaben für die AHV steigen von heute 10 Milliarden Franken bis 2035 auf 16 Milliarden pro Jahr. Weiter will das Parlament das Armeebudget von 5.5 Milliarden auf rund 9.5 Milliarden bis 2030 ausbauen, das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Zudem könnte das Volk im Sommer entscheiden, weitere 4.5 Milliarden jährlich an Prämienverbilligungen auszuzahlen. Hinzu kommen Hunderte Millionen für Kinderbetreuung, für den Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen, für die Ukraine-Hilfe und die wachsenden Asylausgaben.

Ab 2025 erwartet die Finanzverwaltung bereits Defizite in Milliardenhöhe, wie sie unlängst erklärte. Diese werden sich in den darauffolgenden Jahren noch verschärfen. Aufgrund der Spendierlaune des Parlaments hat der Bundesrat entschieden, auch «einnahmenseitige Massnahmen» zu prüfen. Ob das Parlament Steuererhöhungen unterstützt?

Altersvorsorge in die Zukunft retten

Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner nimmt zu - und sie werden auch älter. Das bedeutet mehr Rentenleistungen. Die Ausgaben für die AHV reissen nicht nur in die Bundeskasse ein grosses Loch, auch der AHV-Fonds rutscht ab 2029 wieder ins Minus. Und zwar trotz der vom Stimmvolk gutgeheissenen Reform: Ab 2025 steigt das Frauenrentenalter jährlich um drei Monate - bis es ebenfalls bei 65 Jahren liegt.

Das Parlament hat dem Bundesrat darum den Auftrag erteilt, bis am 31. Dezember 2026 eine neue Reform vorzulegen, um die AHV bis 2040 zu stabilisieren. Hinweise dafür bekommt der Bundesrat auch von der Stimmbevölkerung. Am 3. März kommen zwei Initiativen an die Urne: Eine fordert eine 13. AHV-Rente, die andere ein höheres Rentenalter.

Über eine noch schwierigere Vorlage wird im Sommer abgestimmt: die Reform der beruflichen Vorsorge. Da geht es einerseits um das Ende der Umverteilung zwischen aktiven Erwerbstätigen und Rentnern. Gleichzeitig leitet die Reform eine Modernisierung ein, damit Teilzeitarbeitende und Erwerbstätige mit tiefen Pensen auch eine Pensionskassenrente ansparen können. Weil das Rentenniveau erhalten bleiben soll, müssen letztlich die Erwerbstätigen mehr einzahlen. Das ist höchst umstritten.

Die Beziehung zu Europa kitten

Seit Jahren zuoberst auf der Prioritätenliste steht die Beziehung zur Europäischen Union. Der wichtigste Handelspartner der Schweiz drängt seit Jahren auf einen institutionellen Rahmen für diese launische Beziehung. Um der SVP keine Steilpässe für die Wahlen zu liefern, haben die anderen Bundesratsparteien SP, Mitte und FDP das Thema die letzten Monate umschifft.

Nun hat der Bundesrat Neuverhandlungen angestossen. Am 15. Dezember sollte die Regierung ein provisorisches Mandat verabschieden und dieses den Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments vorlegen. Die formellen Verhandlungen mit der EU könnten im März bereits beginnen. Ziel muss es sein, in dieser Legislatur eine solide Grundlage für das Verhältnis Schweiz-EU zu legen.

A Swiss flag, right, and an European flag stand in a room before the working visit from Maros Sefcovic, Vice-President of the European Commission by Swiss Federal Councilor Ignazio Cassis, in Bern, Sw ...
EU- und Schweizer Flagge in Bern.Bild: keystone

Das Gesundheitssystem sanieren

Noch richten sich die Sorgen der Öffentlichkeit auf die Kosten. Zu Recht, die Belastung durch die Prämien nimmt zu, die Gesundheitskosten werden in zwei Jahren die 100-Milliarden-Marke knacken. Gegen die Kostensteigerung stehen viele Rezepte im Raum, die häufig allzu einseitig sind. Denn die grosse Sorge der Branche ist eine andere: Wie kann eine alternde Bevölkerung noch angemessen versorgt werden? Der Fachkräftemangel macht nicht nur den Spitälern und Heimen zu schaffen, auch Kantone und Gemeinden sind darum bemüht, Hausärztinnen und Kinderärzte anzusiedeln.

Wichtig wäre es darum, einen Schritt zurück zu tun, um zu fragen: Ist das Schweizer Gesundheitssystem so aufgestellt, um die Bevölkerung auch in Zukunft auf hohem Niveau zu versorgen? Und was braucht es, um dieses Ziel zu erreichen? Eine solche Gelegenheit bietet sich dem neuen Gesundheitsminister. Alleine schafft er das indes nicht, er muss Kantone und Parlament mit an Bord holen.

Die Energieversorgung sichern, ohne die Klimaziele zu verpassen

Die Versorgung der Schweizer Haushalte und der Schweizer Wirtschaft mit Energie bleibt eine Herausforderung. Denn mit der Energiestrategie 2050 hat sich die Bevölkerung 2017 dazu bekannt, die Klimaziele zu erreichen. Das bedeutet: weniger Energieverbrauch, bessere Effizienz und mehr erneuerbare Energien. Nur: Das Potenzial der Wasserkraft ist in der Schweiz bald ausgeschöpft, und der Ausbau der Speicher sowie der Geothermie und der Windenergie geht maximal zögerlich bis gar nicht voran. Gleichzeitig zeigt sich nun, dass auch grosse Solarparks in der Schweiz nur bedingt funktionieren. Das Stromnetz ist in peripheren Lagen gar nicht auf solche Kapazitäten vorbereitet.

Das Logo des Urner Energie Produzenten und Elektrizit�tswerk EWA-energie Uri AG an einer Strom Tankstelle beim Hauptsitz in Altdorf am Dienstag, 6. Juni 2023 in Altdorf.(KEYSTONE/Urs Flueeler).
Das Logo des Urner Energieproduzenten und Elektrizitätswerk EWA an einer Strom-Tankstelle in AltdorfBild: keystone

Angesichts des schleppenden Ausbaus der erneuerbaren Energien kommt auch die Aufhebung des Verbots der Kernenergie wieder auf den Tisch, spätestens durch eine entsprechende Volksinitiative. Ziel der Energieversorgung sollte sein, dass in Zukunft keine Gaskraftwerke mehr als Notnagel für die Energieversorgung im Winter aus dem Boden gestampft werden müssen.

Derweil steht das Parlament in der Pflicht, Massnahmen für die im Juni mit dem Klimaschutzgesetz angenommen Klimaziele zu beschliessen. Eine entsprechende Revision des CO2-Gesetzes für die Zeit nach 2024 ist in Beratung – doch wie ambitioniert und umfangreich dies ausfallen soll, ist umstritten.

Migration und die Folgen enttabuisieren

Die Nettozuwanderung wächst. Und offenbar bereitet das einem grossen Teil der Menschen in der Schweiz Sorge. Obwohl es viele Parteien besser wüssten, wird das Thema weiterhin der SVP überlassen.

Das Land bleibt als Firmenstandort und als Arbeitsort attraktiv. Das ist positiv. Viele Schweizer Firmen rekrutieren aber im Ausland, weil sie kein qualifiziertes Personal in der Schweiz finden. Bereits Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat darob eine Fachkräfteinitiative lanciert, um das inländische Potenzial besser auszuschöpfen, die hiesigen Erwerbstätigen besser aus- und weiterzubilden oder sie auch nach der Geburt eines Kindes im Arbeitsmarkt zu halten.

Doch nicht alle Bestrebungen haben gefruchtet. Für viele junge Eltern lohnt sich wegen der Steuerprogression der doppelte Erwerb kaum - gerade auch bei gut ausgebildeten. Hier könnte die Individualbesteuerung Abhilfe schaffen. Eine Vorlage kommt ins Parlament - aber sie führt zu Steuerausfällen. Den Druck hoch hält eine hängige Volksinitiative der FDP Frauen.

Die Behörden in die digitale Zukunft führen

Die Vergangenheit zeigt es: Die Bundesbehörden zeigten kein glückliches Händchen bei Informatikprojekten. Mit dem Projekt Insieme setzte die Steuerverwaltung vor zehn Jahren über 100 Millionen Steuerfranken in den Sand. Die vom Bundesrat vorgeschlagene elektronische Identität (E-ID) scheiterte an der Urne, jetzt nimmt er einen neuen Anlauf.

Dem Scheitern des elektronischen Patientendossiers schaute der Bund lange zu, bevor sich die Behörden erst vergangene Woche einen Ruck gaben. Mit dem Projekt Digisanté will der Bundesrat den Rückstand in der Schweiz punkto Digitalisierung im Gesundheitswesen bis 2034 aufholen. Dass der Austausch nahtlos und standardisiert erfolgen soll, ist ein wichtiger Schritt auf dem Pfad der Erkenntnis. Auch, dass dafür Geld notwendig ist.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das neue Bundeshaus in der Bernexpo
1 / 18
Das neue Bundeshaus in der Bernexpo
Der Nationalratssaal auf dem BernExpo-Gelände.
quelle: keystone / peter klaunzer
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das sind die beiden neuen Zürcher SP-Nationalräte
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
75 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
BernerSchädel
04.12.2023 10:20registriert Dezember 2020
Ich würde gerne noch eine 8. Baustelle hinzu fügen.
Lernen weniger am Volk vorbei zu politisieren. Weil langsam kriegt man das Gefühl, dass Politiker vorwiegend die Ursache der Probleme sind und nichts zur Lösung derjenigen beitragen. Sie sind viel zu sehr mit ihren eigenen Befindlichkeiten und Interessengruppen beschäftigt und vergessen, dass sie eigentlich Diener des Volkes zu sein haben.
6612
Melden
Zum Kommentar
avatar
Scrat
04.12.2023 10:27registriert Januar 2016
Führt endlich eine Mikrosteuer auf sämtliche Finanztransaktionen an den Schweizer Finanzmärkten ein - die damit gewonnenen finanziellen Mittel würden mehr als ausreichen, um die drohenden Löcher zu stopfen.
5423
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rethinking
04.12.2023 11:55registriert Oktober 2018
Die Reserven der Pensionskassen betragen fast 200 Milliarden – Tendenz steigend.

Trotzdem wollen Bundesrat und Parlament die Renten senken und die Prämien erhöhen.

Laut einer Studie von Swisscanto erzielten die Pensionskassen von 2012 bis 2021 mit dem Geld der Versicherten im Durchschnitt eine Nettorendite von 5,3%. Gleichzeitig verzinsten sie deren Pensionskassenguthaben aber nur mit 2,4%.

Daneben senkten sie die Umwandlungssätze bei den überobligatorisch Versicherten und berechnen die Rückstellungen für die Pensionierten sehr grosszügig – mit einer unrealistisch hohen Lebenserwartung…
256
Melden
Zum Kommentar
75
    Zeitplan, Kandidierende, Departementsverteilung: So läuft eine Bundesratswahl ab
    Unsere Exekutive ist in ihrer Form weltweit einzigartig. Hier erfährst du, wie und wann der Schweizer Bundesrat gewählt wird und was nach der Wahl mit den Departementen geschieht.

    Hast du gewusst, dass vielleicht auch du dich als Bundesratskandidat oder -kandidatin aufstellen lassen kannst – theoretisch? Oder, dass am Ende niemand erfahren muss, wer für welche Person abgestimmt hat?

    Zur Story