Der Start in die Wintersession und die neue Legislatur beginnt feierlich: Die neuen Parlamentsmitglieder werden vereidigt, die Ratspräsidenten neu gewählt und dann sicher auch das eine oder andere Glas Wein gekippt.
Doch bereits am Montagnachmittag geht es ein erstes Mal ums Eingemachte: Der Nationalrat muss den Antrag von SVP-Ständerätin Esther Friedli behandeln. Sie verlangt, die Ausweitung der Biodiversitätsflächen auf Äckern weiter aufzuschieben. Umweltschützer vermuten ein weitreichendes Störmanöver hinter dem Vorstoss.
Auch der Ständerat kann sich nicht zurücklehnen, bereits am Dienstag muss er den Boden für eine gewichtige Gesundheitsreform ebnen, damit diese bis Ende Jahr in trockenen Tüchern ist. Und am Dienstagnachmittag finden die ersten Hearings der Bundesrats- und Kanzlerkandidaten statt.
Grosse Diskussionen wird in dieser ersten Session der 52. Legislatur auch das Budget hervorrufen: Die Kassen des Bundes sind klamm, der Verteilkampf wird härter. Das zeichnet sich nicht nur für das Budget 2024 ab, vor allem in den Folgejahren will das Parlament deutlich mehr ausgeben, als der Bund einnimmt. Es ist eine der grossen Herausforderungen der kommenden Legislatur, aber es gibt noch weitere. Die Übersicht:
Auf die Schweiz kommen finanzpolitisch schwierige Zeiten zu. Denn die gebundenen Ausgaben wachsen aufgrund der Demografie rasant: Der Bund finanziert rund 20 Prozent der AHV-Renten.
Die Ausgaben für die AHV steigen von heute 10 Milliarden Franken bis 2035 auf 16 Milliarden pro Jahr. Weiter will das Parlament das Armeebudget von 5.5 Milliarden auf rund 9.5 Milliarden bis 2030 ausbauen, das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Zudem könnte das Volk im Sommer entscheiden, weitere 4.5 Milliarden jährlich an Prämienverbilligungen auszuzahlen. Hinzu kommen Hunderte Millionen für Kinderbetreuung, für den Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen, für die Ukraine-Hilfe und die wachsenden Asylausgaben.
Ab 2025 erwartet die Finanzverwaltung bereits Defizite in Milliardenhöhe, wie sie unlängst erklärte. Diese werden sich in den darauffolgenden Jahren noch verschärfen. Aufgrund der Spendierlaune des Parlaments hat der Bundesrat entschieden, auch «einnahmenseitige Massnahmen» zu prüfen. Ob das Parlament Steuererhöhungen unterstützt?
Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner nimmt zu - und sie werden auch älter. Das bedeutet mehr Rentenleistungen. Die Ausgaben für die AHV reissen nicht nur in die Bundeskasse ein grosses Loch, auch der AHV-Fonds rutscht ab 2029 wieder ins Minus. Und zwar trotz der vom Stimmvolk gutgeheissenen Reform: Ab 2025 steigt das Frauenrentenalter jährlich um drei Monate - bis es ebenfalls bei 65 Jahren liegt.
Das Parlament hat dem Bundesrat darum den Auftrag erteilt, bis am 31. Dezember 2026 eine neue Reform vorzulegen, um die AHV bis 2040 zu stabilisieren. Hinweise dafür bekommt der Bundesrat auch von der Stimmbevölkerung. Am 3. März kommen zwei Initiativen an die Urne: Eine fordert eine 13. AHV-Rente, die andere ein höheres Rentenalter.
Über eine noch schwierigere Vorlage wird im Sommer abgestimmt: die Reform der beruflichen Vorsorge. Da geht es einerseits um das Ende der Umverteilung zwischen aktiven Erwerbstätigen und Rentnern. Gleichzeitig leitet die Reform eine Modernisierung ein, damit Teilzeitarbeitende und Erwerbstätige mit tiefen Pensen auch eine Pensionskassenrente ansparen können. Weil das Rentenniveau erhalten bleiben soll, müssen letztlich die Erwerbstätigen mehr einzahlen. Das ist höchst umstritten.
Seit Jahren zuoberst auf der Prioritätenliste steht die Beziehung zur Europäischen Union. Der wichtigste Handelspartner der Schweiz drängt seit Jahren auf einen institutionellen Rahmen für diese launische Beziehung. Um der SVP keine Steilpässe für die Wahlen zu liefern, haben die anderen Bundesratsparteien SP, Mitte und FDP das Thema die letzten Monate umschifft.
Nun hat der Bundesrat Neuverhandlungen angestossen. Am 15. Dezember sollte die Regierung ein provisorisches Mandat verabschieden und dieses den Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments vorlegen. Die formellen Verhandlungen mit der EU könnten im März bereits beginnen. Ziel muss es sein, in dieser Legislatur eine solide Grundlage für das Verhältnis Schweiz-EU zu legen.
Noch richten sich die Sorgen der Öffentlichkeit auf die Kosten. Zu Recht, die Belastung durch die Prämien nimmt zu, die Gesundheitskosten werden in zwei Jahren die 100-Milliarden-Marke knacken. Gegen die Kostensteigerung stehen viele Rezepte im Raum, die häufig allzu einseitig sind. Denn die grosse Sorge der Branche ist eine andere: Wie kann eine alternde Bevölkerung noch angemessen versorgt werden? Der Fachkräftemangel macht nicht nur den Spitälern und Heimen zu schaffen, auch Kantone und Gemeinden sind darum bemüht, Hausärztinnen und Kinderärzte anzusiedeln.
Wichtig wäre es darum, einen Schritt zurück zu tun, um zu fragen: Ist das Schweizer Gesundheitssystem so aufgestellt, um die Bevölkerung auch in Zukunft auf hohem Niveau zu versorgen? Und was braucht es, um dieses Ziel zu erreichen? Eine solche Gelegenheit bietet sich dem neuen Gesundheitsminister. Alleine schafft er das indes nicht, er muss Kantone und Parlament mit an Bord holen.
Die Versorgung der Schweizer Haushalte und der Schweizer Wirtschaft mit Energie bleibt eine Herausforderung. Denn mit der Energiestrategie 2050 hat sich die Bevölkerung 2017 dazu bekannt, die Klimaziele zu erreichen. Das bedeutet: weniger Energieverbrauch, bessere Effizienz und mehr erneuerbare Energien. Nur: Das Potenzial der Wasserkraft ist in der Schweiz bald ausgeschöpft, und der Ausbau der Speicher sowie der Geothermie und der Windenergie geht maximal zögerlich bis gar nicht voran. Gleichzeitig zeigt sich nun, dass auch grosse Solarparks in der Schweiz nur bedingt funktionieren. Das Stromnetz ist in peripheren Lagen gar nicht auf solche Kapazitäten vorbereitet.
Angesichts des schleppenden Ausbaus der erneuerbaren Energien kommt auch die Aufhebung des Verbots der Kernenergie wieder auf den Tisch, spätestens durch eine entsprechende Volksinitiative. Ziel der Energieversorgung sollte sein, dass in Zukunft keine Gaskraftwerke mehr als Notnagel für die Energieversorgung im Winter aus dem Boden gestampft werden müssen.
Derweil steht das Parlament in der Pflicht, Massnahmen für die im Juni mit dem Klimaschutzgesetz angenommen Klimaziele zu beschliessen. Eine entsprechende Revision des CO2-Gesetzes für die Zeit nach 2024 ist in Beratung – doch wie ambitioniert und umfangreich dies ausfallen soll, ist umstritten.
Die Nettozuwanderung wächst. Und offenbar bereitet das einem grossen Teil der Menschen in der Schweiz Sorge. Obwohl es viele Parteien besser wüssten, wird das Thema weiterhin der SVP überlassen.
Das Land bleibt als Firmenstandort und als Arbeitsort attraktiv. Das ist positiv. Viele Schweizer Firmen rekrutieren aber im Ausland, weil sie kein qualifiziertes Personal in der Schweiz finden. Bereits Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat darob eine Fachkräfteinitiative lanciert, um das inländische Potenzial besser auszuschöpfen, die hiesigen Erwerbstätigen besser aus- und weiterzubilden oder sie auch nach der Geburt eines Kindes im Arbeitsmarkt zu halten.
Doch nicht alle Bestrebungen haben gefruchtet. Für viele junge Eltern lohnt sich wegen der Steuerprogression der doppelte Erwerb kaum - gerade auch bei gut ausgebildeten. Hier könnte die Individualbesteuerung Abhilfe schaffen. Eine Vorlage kommt ins Parlament - aber sie führt zu Steuerausfällen. Den Druck hoch hält eine hängige Volksinitiative der FDP Frauen.
Die Vergangenheit zeigt es: Die Bundesbehörden zeigten kein glückliches Händchen bei Informatikprojekten. Mit dem Projekt Insieme setzte die Steuerverwaltung vor zehn Jahren über 100 Millionen Steuerfranken in den Sand. Die vom Bundesrat vorgeschlagene elektronische Identität (E-ID) scheiterte an der Urne, jetzt nimmt er einen neuen Anlauf.
Dem Scheitern des elektronischen Patientendossiers schaute der Bund lange zu, bevor sich die Behörden erst vergangene Woche einen Ruck gaben. Mit dem Projekt Digisanté will der Bundesrat den Rückstand in der Schweiz punkto Digitalisierung im Gesundheitswesen bis 2034 aufholen. Dass der Austausch nahtlos und standardisiert erfolgen soll, ist ein wichtiger Schritt auf dem Pfad der Erkenntnis. Auch, dass dafür Geld notwendig ist.
Lernen weniger am Volk vorbei zu politisieren. Weil langsam kriegt man das Gefühl, dass Politiker vorwiegend die Ursache der Probleme sind und nichts zur Lösung derjenigen beitragen. Sie sind viel zu sehr mit ihren eigenen Befindlichkeiten und Interessengruppen beschäftigt und vergessen, dass sie eigentlich Diener des Volkes zu sein haben.
Trotzdem wollen Bundesrat und Parlament die Renten senken und die Prämien erhöhen.
Laut einer Studie von Swisscanto erzielten die Pensionskassen von 2012 bis 2021 mit dem Geld der Versicherten im Durchschnitt eine Nettorendite von 5,3%. Gleichzeitig verzinsten sie deren Pensionskassenguthaben aber nur mit 2,4%.
Daneben senkten sie die Umwandlungssätze bei den überobligatorisch Versicherten und berechnen die Rückstellungen für die Pensionierten sehr grosszügig – mit einer unrealistisch hohen Lebenserwartung…