Wegen des Krieges in der Ukraine blicken Schweizerinnen und Schweizer pessimistischer in die Zukunft. Erstmals stimmt eine Mehrheit einer Annäherung der Schweiz an die Nato zu, wie eine neue Studie im Auftrag des Bundes zeigt.
Mit 52 Prozent sei die Zustimmung zu einer Annäherung der Schweiz an das europäisch-amerikanische Verteidigungsbündnis auf einem Höchststand, heisst es in der Nachbefragung der Studienreihe «Sicherheit», die am Donnerstag von der Gruppe Verteidigung des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) publiziert wurde. Im Januar 2021 hatten noch 45 Prozent der Befragten einer Nato-Annäherung zugestimmt.
Gemäss der im Juni 2022 durchgeführten repräsentativen Umfrage spricht sich nach wie vor eine klare Mehrheit der Stimmberechtigten in der Schweiz gegen einen Nato-Beitritt aus. Die Zustimmung ist mit 27 Prozent jedoch deutlich höher als in früheren Jahren. Die Haltung, dass eine Mitgliedschaft in einem europäischen Verteidigungsbündnis der Schweiz mehr Sicherheit bringen würde als die Beibehaltung der Neutralität, sei auf dem Vormarsch, schreiben die Studienautoren.
Generell wird die Neutralität seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine von den Befragten kritischer betrachtet, wie die Ergebnisse zeigen. Nur noch 58 Prozent der Schweizer und Schweizerinnen sind überzeugt, dass die Neutralität die Schweiz vor internationalen Konflikten schützt. Im Januar 2022 waren es noch 69 Prozent.
Insgesamt stehen aber noch 89 Prozent klar hinter dem Neutralitätsprinzip. Im Vergleich zum Januar 2022 sind das 8 Prozentpunkte weniger. Laut den Studienautoren zeigt sich erstmals seit über zwanzig Jahren ein Rückgang bei der Zustimmung zur Schweizer Neutralität. Immer mehr Personen sehen zudem Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Neutralität.
Die Studienergebnisse zeigen weiter, dass 77 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer es als richtig empfinden, dass die Schweiz die Sanktionen gegenüber Russland mitträgt. 71 Prozent sind der Meinung, dass dies mit der Neutralität vereinbar ist.
Wenig überraschend an Rückhalt gewonnen hat im ersten Halbjahr die Armee. Im Juni 2022 erachten 80 Prozent (+5 Prozentpunkte) der Schweizerinnen und Schweizer die Armee als notwendig, was einem signifikanten Anstieg entspricht.
Infolge des Krieges der Ukraine wollen mehr Personen die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz stärken. Vor allem die Forderung nach einer «vollständig ausgerüsteten» Armee hat zugenommen und erreicht einen Höchstwert von 74 Prozent.
Grosse Veränderungen zeigen sich gemäss der Studie auch bei der Einschätzung zu den Verteidigungsausgaben. Schweizerinnen und Schweizer, welche die Armeeausgaben als «zu tief» bewerten, machen nun 19 Prozent aus. Seit Messbeginn in den 1980er-Jahren sei dieser Anteil noch nie so gross gewesen, heisst es. Umgekehrt vertreten so wenige wie nie die Meinung, dass die Schweiz «zu viel» für die Verteidigung ausgibt.
Insgesamt blicken Schweizerinnen und Schweizer pessimistischer in die Zukunft als noch im Januar 2022. Dies betrifft einerseits die nahe Zukunft der Schweiz als auch die Zukunft der weltpolitischen Lage. Eine Mehrheit von 58 Prozent geht gemäss der Befragung davon aus, dass es in Zukunft zu mehr kriegerischen Konflikten in Europa kommen wird. Jede dritte Person berichtet, aufgrund des Krieges in der Ukraine ängstlicher geworden zu sein.
Die telefonische Nachbefragung von rund tausend Personen wurde Anfang Juni durch das Meinungsforschungsinstitut Link durchgeführt. Der Stichprobenfehler liegt im ungünstigsten Fall bei plus/minus 3.2 Prozentpunkten. Herausgegeben werden die Ergebnisse von der Militärakademie (Milak) und dem Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.
Grund für die Nachbefragung war, dass der Erhebungszeitpunkt der Studie «Sicherheit 2022» vor der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 war. Anhand der Daten der Nachbefragung konnten nun die Reaktionen der Stimmbevölkerung auf die anschliessenden innenpolitischen und weltpolitischen Entwicklungen abgebildet werden. (lab/sda)