Spaziergänger müssen vom Rega-Helikopter aus der Sihl gerettet werden, im Schaffhauser Schleitheim treiben Autos auf dem Wasser durch das Dorf. Die letzten Tage zeigten, wie gefährlich die Natur sein kann. Wenn Gefahr droht, kann eine rechtzeitige Warnung Leben retten und Schäden verhindern. Ob die Alarmsirenen funktionieren, ist jeweils am ersten Mittwoch im Februar zu hören. Dann werden sie getestet. Als am Donnerstag, den 15. Juli, der Dorfbach in Schleitheim anschwoll, blieben sie stumm.
Gemeindepräsident Urs Fischer sagt: «Sirenen brauchte es nicht. Alle im Dorf konnten zusehen, wie der Bach anschwoll. Die Anwohner wissen, dass er immer wieder einmal über die Ufer tritt.» Beim Kanton Schaffhausen heisst es: «Ein Ereignis dieser Dimension wurde nicht erwartet». Als man der Situation gewahr wurde, hätte ein Sirenenalarm nichts mehr gebracht. Die Warnung wäre zu spät gekommen. Verletzt wurde beim Hochwasser niemand.
Vor Unwetter oder Hochwasser wird die Bevölkerung auch über die Medien, Wetterdienste und über die Warn-App AlertSwiss des Bundes gewarnt. Seit Alert-Swiss 2018 lanciert wurde, versandten Kantone und Bund schon über 1200 Alarme, Warnungen und Informationen. Die Smartphoneanwendung ist Teil eines Systems, dass auch über die App von Meteo Schweiz, eine Website und via (soziale) Medien warnt. Das Problem bei Alert-Swiss: Nur ein Bruchteil der Bevölkerung hat die App installiert. Die Anwendung hat zur Zeit eine Million Nutzer.
Die Aargauer FDP-Nationalrätin Maja Riniker war vor Ort, als in Mellingen die Reuss über die Ufer trat. Sie ist Präsidentin des Schweizerischen Zivilschutzverbandes. Mit Anwohnern diskutierte sie über die Hochwasser-Warnungen, die der Bund über die AlertSwiss-App aufs Smartphone verschickte. Sie sagt:
Der Weg, bis eine Person Warnungen empfangen könne, sei zu weit. Zuerst muss die App heruntergeladen, dann die Benachrichtigungen aktiviert werden. Die Technik biete mittlerweile besser Möglichkeiten. Riniker wird in der Herbstsession mit einem Vorstoss vom Bundesrat verlangen, Warnungen per Cell Broadcasting einzuführen. Bei dieser Methode erhalten möglichst alle Geräte, die sich in einem Gefahrengebiet befinden, eine Nachricht direkt auf den Bildschirm gesandt, auch wenn kein Warn-App installiert ist. Die Nachricht wird von den Handyantennen im Gefahrengebiet direkt an alle eingeloggten Geräte geleitet.
Cell Broadcasting funktioniert auch auf älteren Handys und selbst dann noch, wenn wegen Überlastung keine SMS mehr ankommen.
Für die Mobiliar-Versicherung, die sich intensiv mit der Bewältigung von Naturgefahren befasst und Forschung in dem Bereich fördert, wären Warnungen per Cell Broadcasting eine «spannende Ergänzung» zum bisherigen Alarmierungssystem. «Das Cell Broadcasting könnte für die höchsten Warnstufen (Stufe 4, eventuell auch nur Stufe 5) interessant sein», sagt ein Sprecher auf Anfrage. Grundsätzlich bewertet die Versicherung die Alarmierung in der Schweiz aber als gut.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz erwog bereits im Jahr 2014, die Technik des Cell Broadcastings einzuführen. Eine Sprecherin schreibt:
So funktionierte die Technik nicht auf allen Geräten und der Warntext durfte eine bestimmte Länge nicht überschreiten. Also entschied sich der Bund für das System Alert-Swiss.
Die Technik des Cell Broadcastings hat sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt. Und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz prüft, sie künftig einzuführen. Die «Weiterentwicklung der Alarmierung und Ereignisinformation» werde laufend analysiert, «unter anderem auch die Möglichkeit von Cell Broadcast», schreibt die Sprecherin weiter. Deutschland setzt nach den verheerenden Hochwassern von Mitte Juli, die über 180 Menschen das Leben gekostet haben, auf Cell Broadcasting. Gemäss einem Bericht des «Redaktionsnetzwerk Deutschland» prüft das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe die Einführung der Technik für nächstes Jahr. Gut möglich, dass die Schweiz dann mitzieht.
Am Mobiliar-Lab für Naturrisiken an der Universität Bern denken Forscher derweil schon über die nächste Generation Warnsysteme nach. Nutzer sollen freiwillig Angaben zu ihrer Situation machen. So könnten etwa bei Hochwassergefahr Bewohner von Parterrewohnungen anders gewarnt werden, als solche im dritten Stock.
Warnungen bringen freilich nur etwas, wenn sie auch befolgt werden. An der Sihl etwa warnen gemäss Zürcher Kantonspolizei Schilder vor einem schnellen Anstieg des Wassers. Die Spaziergänger machten offenbar trotzdem dort Rast. (aargauerzeitung.ch)
Warnung war aber super!