Liebe Frau Mauch
Sie sind als Stadtpräsidentin von Zürich jetzt nicht gerade eine Erscheinung. Also so auf den ersten Blick jedenfalls geht Ihnen das ambassadorenhafte ein wenig ab. Kein Vergleich zu ihrem Vorgänger, Dauer-Schnurri Elmar Ledergerber. Der konnte noch einer Tonzwerge-Ausstellung im Gemeinschaftszentrum Buchegg bei Darvida und Migros-Eistee den Anschein weltpolitischer Bedeutung verleihen.
Das können Sie nicht so gut. Dafür haben Sie andere Qualitäten. Es sind vor allem deren zwei: Unscheinbarkeit und Coolness.
Die Unscheinbarkeit bringt im politischen Leben einen entscheidenden Vorteil mit sich, nämlich den, dass man gerne unterschätzt wird. Was wiederum von unschätzbarem Wert ist.
Ein wenig habe ich Sie im Verdacht, dass Sie kalkuliert so operieren. Darin wurzelt jeweils auch die Alphaness, mit der Sie Ihre politischen Auseinandersetzungen führen und beenden können. Selten habe ich mich so diebisch mit einer Politikerin gefreut, wie an den Medienkonferenzen, bei denen Sie Kollegin Nielsen zur Stadtrats-Praktikantin degradiert hatten. Oder Filippo Leutenegger sofort nach gewonnener links-grüner Mehrheit im Stadtrat gegen seinen Willen vom Tiefbau- zum Bildungsdirektor gemacht haben.
Das hatte so richtig schön Schneid, insbesondere im Kontrast zu den Reaktionen der Abgeschossenen. Kollege Leutenegger fluchte wie ein aufgeregter Rohrspatz in die Kameras und Kollegin Nielsen trat aus Rache so kurz vor den Wahlen zurück, dass Ihre Partei keine SP-Kandidatin mehr aufstellen konnten. Den Sitz erbte dann eine Grüne ...
Was uns zum jüngsten Geniestreich der von Ihnen repräsentierten Genossinnen und Genossen führt: Der einseitigen Aufhebung des Parkplatzkompromisses in der Stadt Zürich zwischen Bürgerlichen und Linken. Anders als bisher sollen die oberirdischen Parkplätze in der Innenstadt jetzt weg, ohne dass sie unterirdisch kompensiert werden sollen.
Aus städtischer Sicht macht das Sinn, wir wollen ja nicht, dass die Agglo-SUVs nutzlos auf unserem teuren städtischen Boden rumstehen und auf dem Weg dahin unsere Kinder totfahren. Auch aus Sicht der rot-grünen Wählerschaft und Mehrheit in Stadt- und Gemeinderat, die den Platz aus Sicherheits- und Umweltschutzgründen für Velo-Wege freimachen wollen, ist der Parkplatz-Abbau ein logischer Schritt.
Nur aus Sicht der Bundeshausambitionen der Zürcher Grünen dürfte die Aktion zum jetzigen Zeitpunkt ein bisschen «unrelatable» sein, wie man heutzutage sagt. Nicht einmal zwei Wochen vor dem zweiten Zürcher Ständeratswahlgang? In dem die Grüne Marionna Schlatter gegen FDP-ler Ruedi Noser gewinnen sollte? Schliesslich hat Rot-Grün die Mehrheit in Stadt- und Gemeinderat schon seit über einem Jahr ...
Die Ständerate werden ja nicht nur zwischen Limmatplatz und Kalkbreite gewählt, sondern auch in Dübendorf, Rümlang und Hinwil, da wo die Agglo-SUVs herkommen. Ich kann Ihnen aus erster Hand sagen, dass deren Lenkerinnen und Lenker schon von der epidemischen Ausweitung der städtischen Tempo-30-Zonen ausreichend genervt sind. Wenn jetzt noch der emotional besonders aufgeladene Parkplatz-Abbau dazu kommt, dann ist der bürgerliche Noser wohl mehr als nur der einen oder anderen Mode-Grünenwählerin aus der Agglo näher als Schlatter.
Ich kann mich wie immer täuschen. Ich weiss nicht, ob und wie sehr Sie den Grünen die nationalen Wahlverluste Ihrer SP heimzahlen wollen. Und ich habe auch keine Ahnung, wie sehr Sie Ihre städtische SP im Griff haben.
Aber es würde mich keine Sekunde wundern, wenn herauskäme, dass das alles kein Zufall ist und Sie sich im stillen Kämmerlein diebisch über einen weiteren Coup freuen – ganz cool und unscheinbar.
Liebe Grüsse
Maurice Thiriet