Als am 14. April 1994 die neu aufgebaute Brücke enthüllt wurde, wirkte sie auf die 15'000 Festbesucher wegen der hellen Farbe des frischen Holzes ungewohnt. Nur acht Monate zuvor, in der Nacht auf den 18. August 1993, hatte ein wohl durch eine Zigarette ausgelöster Brand das 205 Meter lange und über 600 Jahre alte Wahrzeichen in weiten Teilen in eine verkohlte Ruine verwandelt.
Noch am Brandtag beschloss der Stadtrat den Wiederaufbau der Brücke. Dieser Entscheid war Balsam für die Luzerner, die sich eine Stadt ohne Kapellbrücke kaum vorstellen konnten. Tatsächlich ist diese mehr als eine Fussgängerverbindung über die Reuss: Sie prägt mit dem achteckigen Wasserturm das Bild der Stadt.
Auch kunsthistorisch ist die einstige Wehranlage, die die Stadt vor Angriffen vom See her schützen sollte, bedeutsam. Sie ist die zweitlängste überdachte und älteste Holzbrücke Europas und steht seit hundert Jahren unter Denkmalschutz.
Zudem ist der mittelalterliche Bau – oft im Kontrast zum zeitgenössischen KKL – zur Vermarktung der Touristenstadt Gold Wert. Die Kapellbrücke mit dem Wasserturm habe einen grossen Wiedererkennungseffekt, erklärt Sibylle Gerardi von Luzern Tourismus. Das Sujet sei weltweit sehr bekannt und eines der beliebtesten Fotomotive der Schweiz. Es werde sofort mit Luzern in Verbindung gebracht.
Luzern Tourismus schätzt, dass das Sujet durch den Brand noch bekannter geworden sei. Dies hatte bereits vor 20 Jahren der damalige Verkehrsdirektor Kurt H. Illi erkannt: Luzern inszenierte die Enthüllung der neu aufgebauten Brücke als Spektakel, dem Bundesrat Flavio Cotti und 200 Journalisten aus aller Welt beiwohnten, und das das Schweizer Fernsehen live übertrug.
Vielen war dieser Rummel indes zu gross. So weigerten sich drei von acht Luzerner Pfarreien, ihre Glocken zu läuten, wie dies das Drehbuch der Eröffnungsfeier vorgesehen hatte. Stadtpräsident Franz Kurzmeyer setzte an der Feier einen Kontrapunkt, indem er auf einschneidendere Katastrophen verwies. Der Balkankrieg reisse wirkliche und symbolische Brücken ein, sagte er, und lancierte eine Spendenaktion für den Wiederaufbau der im November 1993 zerstörten Brücke von Mostar.
Die Rekonstruktion der Kapellbrücke kostete 3,14 Millionen Franken, wobei die eigentlichen Brandschäden sich nur auf 2,24 Millionen beliefen. Der Grossteil wurde von Versicherungen und Spendern bezahlt. Der Stadt verblieben Restkosten von 610'000 Franken. Der Wiederaufbau der auf drei Viertel ihrer Länge verbrannten Brücke war innerhalb kurzer Zeit möglich.
Glücklicherweise waren beim Brand die Fundationen und der grössere Teil des Brückenunterbaus nicht zerstört worden. Weil die letzte grösste Renovation der Brücke nur 25 Jahre zurück lag, waren Pläne und Know-how noch vorhanden. Die Brücke war im Verlauf ihrer Geschichte mindestens 15 Mal renoviert worden. Trotzdem wurden bei den nach dem Brand durchgeführten Untersuchungen noch Teile gefunden, die auf die Zeit vor 1350 zurückgehen und somit von der ursprünglichen Brücke stammen.
Weniger alt sind die dreieckigen Bilder, die die Dachgiebel der Brücke zieren. Sie stammen aus dem 17. Jahrhundert. Als die Brücken brannte, waren 111 Bilder aufgehängt. Nur 25 konnten gerettet und wieder soweit hergestellt werden, dass sie wieder aufgehängt werden konnten. Da die Brücke im 19. Jahrhundert verkürzt worden war, gab es noch eingelagerte Bilder, mit denen 25 zerstörte Bilder ersetzt wurden. Die restlichen Giebel blieben leer.
Diese 2002 festgelegte Hängeordnung der Bilder soll den kulturhistorischen Verlust erlebbar machen, der 1993 erlitten worden ist. Sie ist aber umstritten. Viele würden es vorziehen, wenn den Passanten Bilder statt Lücken gezeigt würden. Angekurbelt wurde die Diskussion um die Bilder 2008, als ein Luzerner Anwalt Kopien der Bildtafeln – auch der verbrannten – anfertigen liess. Die Stadtregierung weigerte sich, die Duplikate aufzuhängen. Diese seien nicht originalgetreu und entsprächen nicht den denkmalpflegerischen Massstäben, um ein Wahrzeichen von nationaler Bedeutung zu zieren.
Viele können dieser strikten Haltung nicht folgen. SVP, FDP und Jungfreisinnige bringen die Hängeordnung nun mit einer Initiative vors Volk. Die Abstimmung dürfte nach Angaben der Stadt im November stattfinden. Auch Luzern Tourismus spricht sich dafür aus, die Bilder möglichst komplett zu präsentieren. Kopien müssten aber als solche deklariert sein, erklärt Gerardi. (viw/sda)