Die Fluggesellschaft Swiss bekennt sich zu «traditionellen Werten» und «höchster Produkt- und Servicequalität». Dazu gehört auch eine sehr helvetische Tugend: die Pünktlichkeit. Doch hier harzt es gerade gewaltig. Krisen an verschiedenen Fronten sorgen dafür, dass rechtzeitige Starts rar geworden sind.
Der Flughafen Zürich verzeichnete im ersten Quartal 2023 eine Pünktlichkeit von 68 Prozent. Für das Gesamtjahr 2022 betrug sie gar nur 66.4 Prozent. Das heisst: Ein Drittel der Maschinen hob mit einer Verspätung von mehr als 15 Minuten ab. Damit liege man «leicht unter unserem Qualitätsanspruch», schreibt der Flughafen auf Anfrage von CH Media.
Tatsächlich häufen sich seit März 2022 die Verspätungen. In den Vorjahren schwankte die Pünktlichkeit jeweils zwischen 71 und 86 Prozent, wobei während der Pandemie die Flüge aufgrund der geringen Auslastung des Luftraums pünktlicher abheben konnten (siehe Grafik). Die Swiss beziffert die Ankunftspünktlichkeit für ihre Flüge aktuell auf 72 Prozent.
Die Gründe für die Pünktlichkeitsmisere sind vielschichtig - und sie erinnern an den letztjährigen Chaos-Sommer, als die Branche, die während der Pandemie stark Personal abgebaut hatte, von der plötzlich ansteigenden Nachfrage überrascht wurde.
Die Swiss beschäftigen derzeit vor allem europaweite Streiks bei Bodenorganisationen und Fluglotsen. Mit Standorten in Zürich und Genf an zentraler Lage in Europa sei man zudem von den beschränkten Kapazitäten im Luftraum überdurchschnittlich stark betroffen, so die Swiss. Aus dem vergangenen Chaos-Sommer hat die Airline Lehren gezogen: Sie will dieses Jahr 1000 neue Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter einstellen. In den ersten drei Monaten habe man bereits 600 Leute gefunden, heisst es. Zudem soll ein «konservativer Sommerflugplan» mit 85 Prozent der Kapazität von 2019 dafür sorgen, die Pünktlichkeit zu verbessern.
Die Fluggesellschaft sieht die Verantwortung aber nicht nur bei sich. «Beispielsweise fehlt an den Sicherheitskontrollen Personal, insbesondere am Flughafen Zürich. Dies führt zu teilweise ausserordentlich langen Wartezeiten. Wenn möglich warten wir in solchen Fällen im Sinne unserer Gäste auf sie, was jedoch einen negativen Einfluss auf unsere Pünktlichkeitswerte hat.» Ebenso sei die Infrastruktur am Flughafen Zürich zu Spitzenzeiten «bis zum Anschlag belastet».
Der Flughafen Zürich seinerseits betont, die aktuell tiefe Pünktlichkeit entspreche dem, «was wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen erwarten konnten». Als Sofortmassnahme sei man in ständiger Absprache mit der Branche, um Flugverbindungen mit vielen Umsteigepassagieren entsprechend priorisieren zu können. «Eine längerfristige Massnahme, die wesentlich zu einem stabileren Flugbetrieb beitragen wird, sind die geplanten Pistenverlängerungen.»
Mit diesen Massnahmen ging die Branche bisher davon aus, die anstehenden Sommerferien meistern zu können. Doch ein vor wenigen Wochen angekündigtes Grossereignis zerschlägt nun diese Hoffnungen. Im Juni fliegt das Verteidigungsbündnis Nato über Süddeutschland ein grosses Manöver - ausgerechnet im für den Schweizer Flugverkehr wichtigen Luftraum. Dieser ist während der Übung für den zivilen Flugverkehr nur beschränkt nutzbar.
«Es wird zu massiven Verspätungen und verpassten Anschlussflügen kommen», sagt eine Branchenkennerin. Die bisherigen Pläne der Fluggesellschaften seien nun über den Haufen geworfen worden. Das Problem: Auch wenn es wegen der Nato-Übung nur zu kleinen Verspätungen kommen sollte, hätte dies dennoch weitreichende Folgen. Die Kaskade an Verspätungen würde dazu führen, dass Anschlussverbindungen nicht mehr gewährleistet wären.
«Welche Auswirkungen die Übung auf die Flüge hat, ist noch unklar. Die Swiss hat eine Taskforce ins Leben gerufen, um schnell reagieren zu können und die Auswirkungen auf die Fluggäste möglichst klein zu halten», sagt eine Sprecherin der Airline.
Im schlimmsten Fall kommt es diesen Sommer nicht nur zu Verspätungen und gestrichenen Flügen. Die Passagiere haben möglicherweise auch keinen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung für ihre Umtriebe. Da es sich bei der Nato-Übung um ein aussergewöhnliches Ereignis handelt, müssen die Fluggesellschaften für allfällige Verspätungen und Ausfälle wohl keine Ausgleichszahlungen leisten.
Wie das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) auf Anfrage schreibt, sei die Nato-Übung seines Erachtens eine externe Ursache, auf die die Fluggesellschaften keinen Einfluss hätten. Eine Anzeige können Passagiere dennoch einreichen. «In einem zweiten Schritt würde im Einzelfall geprüft, ob die Fluggesellschaft alle der Situation angemessenen Massnahmen ergriffen hat, um zu vermeiden, dass der Flug annulliert oder verspätet durchgeführt wird.»
Gemäss EU-Verordnung werden je nach Art des Ausfalls und der Flugdauer unterschiedliche Ausgleichszahlungen und Betreuungsleistungen fällig. Wird ein Flug annulliert, beträgt die Entschädigung bis zu 600 Euro.
Zuständig für solche Klagen ist das Bazl. Seit der Flugverkehr nach Covid wieder an Schub gewonnen hat, steigen auch die Anzeigen von Passagieren. Das zeigen die Zahlen, die der Bund gegenüber CH Media offenlegt. Waren es 2021 noch 2800 Anzeigen, übertraf die Zahl letztes Jahr mit fast 4000 Klagen gar den Durchschnittswert der Vorjahre. Und auch dieses Jahr dürfte dem Amt die Arbeit nicht ausgehen: In den ersten drei Monaten gingen bereits 1106 Anzeigen von Passagieren ein, die eine Entschädigung fordern. Das sind doppelt so viele wie in der Vorjahresperiode.
Meist zeigen die Anzeigen Wirkung. «Der überwiegende Teil kann innert sechs bis acht Monaten erledigt werden, meist bezahlt die Airline im Rahmen des eingeleiteten Verfahrens dem Passagier noch geschuldete Geldbeträge», sagt Bazl-Sprecher Christian Schubert. Stellt sich eine Fluggesellschaft quer, kann der Bund auch eine Busse aussprechen. Diese beläuft sich in der Regel auf 1000 bis 2000 Franken. (aargauerzeitung.ch)
Die meisten Ursachen sind hausgemacht.
Zu wenig Personal.
Meistens reicht halt auch die kalkulierte Zeit zwischen Landung und Start nicht aus, weil das Aus- und Einsteigen zu lange Zeit braucht.