Sie sind die Horrorvorstellung von Greta und Co., aber auch der Airlines: Sinnlose Flüge ohne Passagiere an Bord. Genau dieses Szenario droht nun aber, glaubt man den Fluggesellschaften. Grund dafür ist ein Entscheid der EU zur Slot-Regelung. Die sogenannten Slots sind die Start- und Landerechte, die Airlines für ihre verschiedenen Destinationen erwerben. Normalerweise müssen sie 80 Prozent dieser Flüge durchführen – ansonsten drohen sie die Rechte an die Konkurrenz zu verlieren. Dabei gelten die Slots als Gold der Branche, gehören doch die richtigen Abflug- und Ankunftszeiten zu den wichtigsten Kriterien beim Ticketkauf.
Im vergangenen Jahr hat die EU diese Regel ausgesetzt, schliesslich war die Aviatik die meiste Zeit gegroundet. Doch nun hat Brüssel ein neues Machtwort gesprochen: Ab dem Anfang November beginnenden Winterflugplan müssen 50 Prozent der geplanten Starts und Landungen tatsächlich durchgeführt werden – egal wie hoch die Buchungen der Airlines ausfallen.
Swiss-Sprecherin Karin Müller findet dafür deutliche Worte: «Das ist aus unserer Sicht keine praktikable Lösung.» Der Luftverkehr habe sich nach wie vor nicht normalisiert, weshalb auch für den Winterflugplan stärkere Ausnahmeregelungen für die Slotvergabe nötig seien. «Die verabschiedete Regelung birgt die Gefahr, dass Airlines mit leeren Flugzeugen fliegen müssen, nur um ihre Slots zu sichern. Das schadet Klima und Airlines», sagt Müller. Auch die Swiss könne solche Leerflüge derzeit nicht ausschliessen.
In allen anderen Teilen der Welt seien pragmatische Lösungen gefunden worden, sagt die Sprecherin. Zudem werde der Winter aus saisonalen Gründen noch herausfordernder als der Sommer. Insofern hoffe man nach wie vor auch in Europa auf eine sinnvollere Lösung. Auch die Airline-Dachorganisation Iata mit Sitz in Genf hat den EU-Entscheid scharf kritisiert. Die EU-Kommission scheine jeden Bezug zur Realität verloren zu haben, meinte Iata-Chef Willie Walsh.
Die harsche Reaktion von Swiss und Co. in Bezug auf die Slot-Regel ist vor allem auch ein Indiz für die angespannte Situation in der Branche. Grund für Optimismus gibt es derzeit tatsächlich wenig. Zwar führt die Swiss aktuell im Vergleich zur Vor-Covid-Zeit 57 Prozent ihrer Flüge durch, wie Zahlen der europäischen Luftfahrtorganisation Eurocontrol zeigen. Das ist dank den Sommerferien-Reisenden deutlich mehr als noch vor einigen Monaten. So hob im Januar im 2019-Vergleich zeitweise nur jeder zehnte Flug ab. Am Flughafen Zürich wird derzeit bei der Anzahl Flüge ein Volumen von 62 Prozent des Sommers 2019 erreicht, in Genf waren es zuletzt sogar 68 Prozent.
Doch diese Zahlen sind trügerisch. Denn einerseits wachsen die Passagierzahlen langsamer als die Zahl der Flüge. Das liegt daran, dass derzeit vergleichsweise viele Kurzstreckenflugzeuge unterwegs sind, die weniger Menschen transportieren. Grosse Langstreckenflugzeuge mit vielen Passagieren sind nach wie vor deutlich weniger häufig unterwegs als vor der Krise – auch, weil die Einreise in die USA und viele asiatische Länder für Menschen aus der Schweiz beinahe unmöglich ist.
US-Präsident Joe Biden hat vor kurzem die Covid-Regeln im eigenen Land sogar wieder verschärft. Eine Öffnung für europäische Touristen, die für die Swiss von enormer Bedeutung wäre, scheint in den nächsten Wochen oder gar Monaten Wunschdenken.
Selbst am Basler Euroairport, der kaum Langstreckenverbindungen anbietet, werden derzeit nur 61 Prozent der Passagiere gezählt wie noch 2019 zur selben Zeit. Der Flughafen Zürich rechnet an den Spitzentagen über die Sommerferienwochen gar nur mit rund 50 Prozent des Passagiervolumens. Hinzu kommt: Die Passagierzahlen dürften bald wieder zurückgehen, wenn die Ferien zu Ende sind – und wenn die um sich greifende Delta-Variante wieder zu verschärften Einreisebestimmungen in anderen Ländern führt, sowieso.
Auf Facebook hat die Swiss ein weiteres Indiz geliefert, dass aktuell nicht alles so läuft, wie es sich die Airlines für den Sommer erhofft hatten. Am 21. Juli schrieb sie: «Derzeit verzeichnet unser Kundendienst eine ausserordentlich hohe Anzahl von Anfragen und unsere Teams sind in vollem Einsatz und geben ihr Bestes, um Dich bei Deiner Reiseplanung zu unterstützen. Dennoch kommt es zu längeren Wartezeiten in unseren Call Centern.» Dies dürfte nicht nur mit dem erhöhten Kundenaufkommen zu tun haben, sondern auch mit den grossen Unsicherheiten und Umbuchungswünschen der Passagiere.
Das Verständnis, für das sich die Airline im Beitrag «in diesen aussergewöhnlichen Zeiten» bedankt, scheint aber nicht überall gegeben. Manche User werfen der Airline vor, dass sie über eine Stunde in der Telefon-Warteschlaufe warten mussten. Zudem könne die hohe Anzahl an Anfragen kaum eine Überraschung für die Swiss darstellen angesichts der Erfahrungen im vergangenen Sommer, als ein Rückerstattungschaos herrschte.
Swiss-Sprecherin Müller sagt auf Anfrage, man könne nicht pauschal sagen, wie lange aktuell die Bearbeitung eines Kundenanliegens dauere. Je nach Anrufzeit könne dies stark variieren. Auch wie hoch die Umbuchungsrate derzeit ausfällt, wird nicht kommuniziert.
Könnte die Swiss aber nicht die Flight Attendants, die nach wie vor in Kurzarbeit sind, temporär im Kundenservice einsetzen, so wie dies ein Facebook-User fordert? Müller antwortet darauf nicht. Sie betont, dass die Swiss seit Beginn die Erreichbarkeit des Kundendienst verbessert und die Bearbeitungszeiten beschleunigt habe. So seien die Funktionen des «Chatbots» erweitert worden, der automatisch auf Online-Kundenanfragen antwortet.
Der Hauptgrund für das erhöhte Anfrageaufkommen sind laut Müller die zahlreichen Fragen zu Einreisebestimmungen. «Unsere Bemühungen konzentrieren sich darauf, diese Anfragen besser zu kanalisieren und die Kundschaft über verschiedenste Kommunikationskanäle darauf aufmerksam zu machen, dass sie Informationen zu Einreisebestimmungen auf unserer Website findet oder beim Auswärtigen Amt erfragen kann.»
Die komplizierten, sich ständig ändernden Regeln dürften denn auch für viele Kundinnen und Kunden eher abschreckend wirken. Deshalb arbeitet die Airline an einer Self-Service-App, welche die Kontrolle aller nötigen Reisedokumente am Flughafen vereinfachen soll. Das Sommergeschäft dürfte aber auch sie nicht mehr retten können. (saw/ch media)
Welche denn? Wäre noch interessant falls Artikel mit solche Infos ergänzt werden.