Der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz laufen die Mitglieder seit der Veröffentlichung der Studie über Missbräuche scharenweise davon. Das zeigt eine Umfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA drei Monate nach der Veröffentlichung eines Berichts mit über tausend Missbrauchsfällen.
Besonders gross scheint die Austrittswelle etwa in der katholischen Kirchgemeinde Luzern zu sein. Seit dem Erscheinen der Missbrauchsstudie traten 270 Personen pro Monat aus, wie es auf Anfrage hiess. 2022 waren es im selben Zeitraum 65 gewesen.
Vergleichsweise noch mehr Kirchenaustritte gab es in Adligenswil LU. Die Kirchgemeinde beschloss als erste nach dem Bekanntwerden der zahlreichen Missbräuche, dem Bistum Basel vorläufig keine Beiträge mehr zu überweisen. 45 Austritte wurden seit September in der 5500-Einwohner-Gemeinde gezählt.
Vor der Studie waren es in der Luzerner Gemeinde durchschnittlich drei Austritte pro Monat. Kirchmeierin Mirjam Meyer spricht von einem «regelrechten Exodus». Inzwischen würden nicht nur eher jüngere Menschen die Kirche verlassen, sondern auch treue, langjährige Mitglieder.
In der Stadt Zug mit ihren rund 12'000 Katholikinnen und Katholiken dürften sich die Austritte seit September verdoppelt haben. Für 2023 rechnet Kirchenratspräsident Patrice Riedo mit 250 bis 260 Personen, die der katholischen Kirche den Rücken kehren.
Eine regelrechte Austrittswelle ist in Basel-Stadt feststellbar. Die Zahl der Austritte stieg von August auf September von 36 auf 174 an. Und die Zahlen blieben auch im Oktober (164) und November (115) hoch. In der römisch-katholischen Kirchgemeinde Winterthur gab es von Anfang September bis Anfang Dezember 486 Austritte. In den beiden Vorjahren waren es 158 respektive 161.
Im Pastoralraum Bern und Umgebung dürfte die Zahl der Kirchenaustritte 2023 vermutlich doppelt so hoch ausfallen wie in anderen Jahren. Nach einem deutlichen Anstieg im September sanken die Zahlen im November wieder auf das Niveau vor dem Erscheinen der Missbrauchszahlen.
Die Veröffentlichung der Missbrauchsstudie markiert jedoch auch in Schwyz eine Zäsur: Die Kirchenaustritte schnellten seit September um über 500 Prozent auf durchschnittlich 76 Austritte hoch. Zuvor waren es durchschnittlich 12 Austritte pro Monat gewesen.
In Sarnen OW gab es seit September 128 Austritte. Im Gesamtjahr dürften die Austritte auf 205 ansteigen, gegenüber 90 in den letzten Jahren. In Altdorf UR, wo in der Regel pro Jahr rund 100 Personen austreten, kündigten seit September 139 ihre Kirchenmitgliedschaft.
Die meisten Austritte gab es im Aargau, in Solothurn und in Graubünden in städtischen Gebieten. Es habe Kirchgemeinden gegeben, die über 100 Austritte verzeichnet hätten, hiess es in Graubünden.
Das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut St.Gallen (SPI) veröffentlicht jeweils im Herbst die Zahlen der Kirchenaustritte in der Schweiz. Aktuelle Angaben zur Entwicklung nach der Bekanntgabe von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche liegen daher nicht vor.
Auffällig bei den alljährlichen Kirchenaustritten sind jeweils die kantonalen Unterschiede. So verzeichnen Genf, Wallis, Neuenburg und Waadt regelmässig praktisch keine Austritte. Das ist laut SPI den anderen Organisationsstrukturen der Kirchen in diesen Kantonen geschuldet.
Sie kennen in der Regel keine mit der Kirchensteuerpflicht verbundene staatskirchenrechtliche Mitgliedschaftsstruktur, aus der man überhaupt austreten könnte. Ein Kirchenaustritt ist in diesen Kantonen daher ein symbolischer Akt und die Betroffenen sparen auch keine Kirchensteuer.
Laut dem Generalvikar des Bistums Sitten, Pierre-Yves Maillard, gab es etwa in der Gemeinde Saint-Maurice, in der die dortige Abtei mit zahlreichen schweren Missbrauchsvorwürfen konfrontiert ist, bisher lediglich fünf Anträge auf einen Kirchenaustritt.
Im Kanton Neuenburg wurden seit September rund 20 Anträge auf Austritt registriert – statt der üblichen 20 im gesamten Jahr. In Genf gingen 2023 45 Austrittsgesuche ein, davon 36 im September. Keine Austrittszahlen geben das Tessin und der Kanton Baselland jeweils dem SPI bekannt. Auch im Jura hiess es auf Nachfrage, es gebe im Moment keine Zahlen.
Die römisch-katholische Kirche zählt in der Schweiz derzeit rund drei Millionen Mitglieder, die evangelisch-reformierte rund zwei Millionen. Am 12. September hatte die Universität Zürich einen Bericht über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche veröffentlicht. Dieser dokumentierte 1002 Fälle in der katholischen Kirche in der Schweiz seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. (pre/sda)
Das unfaire finde ich, dass mein Mann, also seine Firma, trotzdem Kirchensteuer bezahlen muss.
Wir fänden es gerecht, wenn Firmen keine Kirchensteuer bezahlen müssen, lieber spenden wir diesen Betrag an eine sinnvolle Institution.
Und schon können wir wieder damit beginnen, Soziales und Gutes zu tun.