Bernard Genoud, der 2010 verstorbene ehemalige Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, wird sexueller Handlungen an einer 19-jährigen Frau beschuldigt. Es ist das erste Mal, dass eine Persönlichkeit dieses Ranges ins Visier genommen wird.
Bischof Charles Morerod, der Nachfolger von Genoud an der Spitze der Diözese, orientierte die Medien am Montag in Freiburg über einen Fall, der den Missbrauchsfällen in der Kirche eine neue Dimension verleiht.
Das Opfer, von «grossem Leid» geplagt, wolle anonym bleiben, auch was den Zeitraum betrifft, in dem sich die Taten ereignet haben.
Bischof Morerod hatte einen Zeugenaufruf gestartet, nachdem er die Aussage der Frau erhalten hatte, die von Genoud (1942-2010) sexuell missbraucht worden sei. Die Vorfälle gingen auf die Zeit zurück, als Genoud Philosophieprofessor am Collège du Sud in Bulle tätig war. Das Opfer habe ein erstes Mal am 1. Dezember mit Bischof Morerod über den Fall gesprochen.
Die Frau sei Studentin von Genoud an der Greyerzer Schule gewesen. Sie habe sich damals dem Priester, einem Freund ihrer Eltern, anvertraut, dass sie bereits in ihrer Kindheit ausserhalb der Kirche Opfer eines Missbrauchs geworden sei, sagte Charles Morerod. Bischof Genoud habe diese Situation ausgenutzt. Die Taten hätten sich an mehreren Orten wiederholt.
Als sich das Opfer ihm anvertraut habe, habe es sich von einer schweren Last befreien können, «auch wenn dieser Schritt sehr schmerzhaft für sie ist», sagte der Bischof, der selbst ein ehemaliger Schüler von Genoud war. Morerod bat darum, dass ihr Wunsch nach Diskretion respektiert wird.
Genoud war 1968 zum Priester geweiht worden. Er hatte an diversen Schulen von 1976 bis 2006 unterrichtet und war teilweise auch als Seelsorger tätig. Zwischen 1996 und 1999 war er zudem an der Universität Freiburg tätig.
Von 1999 bis zu seinem Tod im Jahr 2010 amtete Genoud als Bischof der Diözese. Es gebe eine lange Liste von Schulen, wo es noch viele potentielle Opfer geben könne, sagte Bischof Morerod. Ziel sei es, «die Wahrheit zu finden».
Morerod betonte, dass er angesichts des sehr schlechten Zustands dem Opfer glaube. Die Abhängigkeit habe sich über mehrere Jahre hinweg entwickelt, wobei die Beziehung asymmetrisch gewesen sei.
Bischof Genoud sei zwar nicht mehr hier, um sich zu erklären, «es ist jedoch die Aufgabe der Kirche, die Leiden der Opfer nicht unbeantwortet zu lassen», fügte der amtierende Bischof hinzu. Denn es gäbe Personen, die «unter der Last eines unerträglichen Schweigens zutiefst leiden». Bischof Morerod lud sie alle ein, eine Aussage zu machen.
Gemäss einer Mitteilung der Diözese können sich Betroffene an die Kommission zur Anhörung von Opfern sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Umfeld (CASCE) wenden.
Darüber hinaus zeigte sich Morerod über die Umtriebigkeit seines Vorgängers erstaunt:
Eine am Montag veröffentlichte Zeugenaussage bietet nun eine ganz neue Sichtweise auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Sie folgte auf die Veröffentlichung der Studie der Universität Zürich zu diesem Thema am 12. September.
Die Studie identifizierte mehr als 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Die sexuellen Übergriffe wurden von mehr als 500 Verdächtigen begangen.
Der amtierende Bischof hat sich bislang mit weiteren rund 60 Opfern getroffen. Dies zeigt das Ausmass des Missbrauchs. Sich frei zu äussern, verlange «Vertrauen», damit man schliesslich mitteilen könne, was man selber erlebt habe, so der Bischof weiter. (saw/sda)
In einer ersten Version der Meldung hiess es, Bischof Bernard Genoud sei angeklagt worden. Es handelt sich aber um eine Beschuldigung.