Stefan Amrein aus Sursee hatte in dieser Woche viel zu tun. Er ist der Gründer von Kirchenaustritt Schweiz. Auf seiner Website bietet der Verein ein Gratisformular an, das Leute, die aus der Kirche austreten wollen, herunterladen, unterschreiben und dann an ihre Kirchgemeinde senden können.
Für 29 Franken übernimmt sein Verein die komplette Abwicklung des Austritts. Ein grosses Business sei das für ihn aber nicht. Die meisten nutzten das Gratisformular. «Die kostenpflichtige Version ist nur bei jenen beliebt, die sichergehen möchten, dass sie absolut nichts mehr mit der Kirche zu tun haben», sagt Amrein.
Denn es käme immer wieder vor, dass Austretende von Vertreterinnen oder Vertretern ihrer Kirchgemeinde kontaktiert würden. Manchmal stehe plötzlich der Dorfpfarrer vor der Tür. In anderen Fällen würden sie am Telefon zusammengestaucht. Von Letzterem erzählte ein Austretender Amrein erst vor wenigen Tagen. «Man tritt nicht aus der Kirche aus. Das macht man einfach nicht», habe man ihm seitens seiner Kirchgemeinde gesagt. Ausgetreten ist er dann trotzdem. So wie wohl viele in den letzten Tagen.
«Wir verzeichnen immer wieder eine Zunahme der Gesuche, wenn ein Skandal innerhalb der Kirche publik wird. Aber so hoch wie in den letzten vier Tagen war die Nachfrage noch nie», sagt Amrein. Genaue Zahlen kann er zwar nicht nennen. Das würde sein Verein nicht tracken. Doch so viel kann Amrein sagen:
Bereits am vergangenen Sonntag stieg die Anzahl Besuche auf seiner Website deutlich. An diesem Tag machte der «SonntagsBlick» publik, dass sechs Bischöfen vorgeworfen wird, Fälle mutmasslichen sexuellen Missbrauchs in der Kirche vertuscht zu haben. Einer von ihnen solle gar selbst einen Jugendlichen missbraucht haben.
Ab Dienstag lief die Hotline von Kirchenaustritt Schweiz schliesslich auf Hochtouren. Das Postfach war voll. Denn am Dienstag veröffentlichte die Universität Zürich ihre Studienergebnisse zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche. Die katholische Kirche selbst hatte sie in Auftrag gegeben, um ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.
Die Forschenden konnten 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch sowie systematische Vertuschung dieser durch Verantwortungsträger belegen. Täter waren meist Priester.
Amrein betreibt die Hotline und das Postfach von Kirchenaustritt Schweiz grösstenteils selbst. Darum weiss er auch, dass für viele Austretende die Ergebnisse der Studie das Fass zum Überlaufen gebracht haben. «Bei vielen war es eine sehr emotionale Entscheidung», sagt Amrein.
Manche hätten ihn auch gefragt, ob sie noch in der Kirche bleiben sollten. «Aber Bewertungen geben wir nicht ab. Diese Entscheidung muss jeder für sich treffen.» Nicht selten hat er in den letzten Tagen gehört, dass die Austretenden noch an Gott glauben. Die katholische Kirche als Institution bräuchten sie dafür aber nicht.
«Die grosse Mehrheit der Austretenden hat im Alltag aber gar keine Berührungspunkte mehr mit der Kirche», sagt Amrein. Das merke er vor allem dann, wenn die Austretenden nicht einmal wüssten, ob sie reformiert oder katholisch seien.
Stefan Amrein hat Kirchenaustritt Schweiz 2010 ins Leben gerufen, nachdem er selbst aus der Kirche ausgetreten war. Seither wird er dafür von diversen Gläubigen immer wieder angefeindet. Sie bezeichnen seinen Service als unmoralisch. Amrein lässt das kalt: «Ich bin nicht sicher, ob die Kirche in der aktuellen Situation die richtige Stelle ist, um über Moral urteilen zu können.»
Trotzdem wird Amrein immer wieder bezichtigt, schuld an hohen Austrittszahlen zu sein. So verzeichnete die katholische Kirche in der Schweiz vor zwei Jahren einen neuen Rekord. Mit mehr als 34'000 Personen sind 2021 so viele Katholiken aus der Kirche ausgetreten wie noch nie.
Die Zahlen für das Jahr 2022 wird das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut womöglich im Oktober veröffentlichen, so wie jedes Jahr. Stefan Amrein will sich mit einer Prognose nicht weit aus dem Fenster lehnen. Als einer von vielen Anbietern, die Kirchenaustritte kostenlos oder gegen Bezahlung durchführen, kann er nur aufgrund der eigenen Nachfrage urteilen.
Das Jahr 2022 hat er nicht besonders in Erinnerung. Darum geht er davon aus, dass etwa gleich viele oder sogar weniger Leute ausgetreten sind als 2021. Anders sieht seine Einschätzung für das aktuelle Jahr aus:
1. Sei der Brief nicht eingeschrieben und somit nicht gültig.
2. Solle ich mie das nochmals gut überlegen, die Kirche im Dorf habe schon wenig Mitglieder..
Hab am selben Tag den Beief eingeschrieben abgeschickt.
Aber wieso fällt der Groschen erst jetzt? Das ist ja schon seit Jahren bekannt. Wichtige Studie, aber eigentlich ünerraschen die Ergebnisse nicht.
Ich frage mich heute noch ob sein späterer Rücktritt damit zu tun hatte.