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SRF-Arena: Warum Thomas Aeschi für kollektives Kopfschütteln sorgt

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«Arena» zum EU-Paket: Mit Thomas Aeschi, Andri Silberschmidt, Moderator Sandro Brotz, Marianne Binder und Mattea Meyer.Bild: srf/arena
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«Das stimmt nicht» – Warum Aeschi in der EU-«Arena» für kollektives Kopfschütteln sorgt

Im Juni sollen die Details des neuen EU-Vertragspakets öffentlich zugänglich sein. Doch in der SRF-«Arena» wird bereits jetzt heftig gestritten – und viel den Kopf geschüttelt.
17.05.2025, 00:5317.05.2025, 12:52
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Es sind 700 Seiten auf Englisch. Nur ein exklusiver Kreis durfte bisher Einblick nehmen – und doch ist der Abstimmungskampf zum neuen EU-Vertragspaket längst lanciert.

Obwohl der Öffentlichkeit die Details noch bis vermutlich Mitte Juni verwehrt bleiben, wird heftig über das Vorgehen gestritten: Soll das Ständemehr gelten? Wie viele Vorlagen braucht es? Und wann soll die Abstimmung stattfinden?

Auch inhaltlich ist der Vertrag seit jeher umstritten: Vor allem die geplante Schutzklausel bei der Zuwanderung und die dynamische Rechtsübernahme sorgen für politischen Zündstoff – wie man am Freitagabend in der «Arena» von SRF mit den geladenen Präsidiumsmitgliedern aus allen vier Bundesratsparteien sah.

  • Thomas Aeschi, Fraktionschef der SVP
  • Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP
  • Andri Silberschmidt, FDP-Vizepräsident
  • Marianne Binder, Mitte-Parteileitung

Das ungelesene Dossier

Um eines vorwegzunehmen: Gelesen hat das über 700 Seiten umfassende Vertragsdokument Schweiz-EU noch keiner der «Arena»-Gäste. Doch von Cassis’ Aussendepartement ausgewählte Personen konnten bereits einen Augenschein erhaschen.

Auf «Nachdruck», wie er sagt, durfte auch SVP-Nationalrat Thomas Aeschi in den sogenannten Reading Room. Was er darin gesehen habe, sei «viel schlimmer, als befürchtet» – der Schweiz werde «praktisch das Stimmrecht entzogen». Ihn stört insbesondere die «Geheimniskrämerei» des Bundesrates: Abgeändert würden die Dokumente nicht mehr, also solle das Stimmvolk auch Einsicht haben.

FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt schüttelt wegen Aeschi den Kopf und sagt, er habe an diesem Abend «wohl die Aufgabe», gewisse Aussagen ins richtige Licht zu stellen. «Es wird niemandem Stimmrecht entzogen in der Schweiz, das ist eine Falschaussage.»

«SVP versucht aus allem einen Skandal zu machen»: Andri Silberschmidt. Video: srf/Arena

Silberschmidt erklärt auch, dass er eine Veröffentlichung der Vertragspunkte aktuell für «unseriös» halte – solange die Dokumente mit allen juristischen Begriffen nicht vom Englischen in die Schweizer Landessprachen übersetzt seien. Er sagt an Aeschi gerichtet: «Die SVP versucht bis zum Abstimmungstermin aus allem einen Skandal zu machen».

Rückendeckung erhält Silberschmidt von Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher, der Aeschi erinnert, dass am EU-Paket auch die SVP-Bundesräte Rösti und Parmelin federführend mitgewirkt hätten – wie etwa beim Stromabkommen. Doch genau dieses Abkommen ist für Aeschi das nächste Reizthema.

Strom und Schutzklauseln

Der SVP-Politiker warnt: «Beim Stromabkommen werden die Konsumenten plötzlich aus dem Markt geworfen, landen in einem fluktuierenden Strommarkt und zahlen dann mehr.»

Brupbacher schüttelt ungläubig den Kopf. Der Swissmem-Direktor stellt klar: «Was Sie sagen, stimmt einfach nicht, Herr Aeschi. Die Bürger werden nicht gezwungen, in den Markt zu wechseln. Bundesrat Rösti hat verhandelt, dass sie die Wahlfreiheit behalten.» Das führe nicht zu höheren, sondern «tendenziell günstigeren Strompreisen» und garantiere ein stabiles Netz. Dass die Schweiz ihren Strom weiterhin selbst produzieren müsse, sei unbestritten – aber, so sagt Brupbacher: «Netzstabilität ist zentral. Und genau die sichern wir mit diesem Abkommen mit der EU.

«Das stimmt nicht»: Swissmem-Direktor Brupbacher. Video: srf/Arena

Obwohl noch niemand das über 700-seitige Dossier ganz gelesen hat, debattiert die Arena-Runde auch über Personenfreizügigkeit, Marktzugang und die neue Schutzklausel. Aeschi übt überall Kritik aus – und stellt die bilateralen Beziehungen mit der EU grundsätzlich infrage. «Die Schweiz braucht keine Personenfreizügigkeit. Schliesslich betreibt sie auch Handel mit Staaten wie China oder Brasilien», sagt er.

Als Silberschmidt einwirft, dass Brasilien kein Nachbarland sei, kontert Aeschi trocken: «Wir haben doch eine Grenze – die können ja mit dem Flugzeug kommen.» Silberschmidt kontert trocken: «Wir haben keine Grenze zu Brasilien.» Gelächter und Kopfschütteln in der Arena.

Thomas Aeschi behauptet, die Schweiz habe eine Grenze zu Brasilien.Video: srf/Arena

Mit der Schutzklausel kamen sie dann aber wieder zurück zum Thema. Diese soll greifen, wenn Schwellenwerte bei Zuwanderung, Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfe überschritten werden. Der Bundesrat müsste dann prüfen, ob Massnahmen nötig sind – notfalls gegen den Widerstand der EU.

Aeschi glaubt nicht an die Wirkung: Der Bundesrat habe bereits seit 20 Jahren ähnliche Möglichkeiten, habe aber «noch nie eine solche Klausel angewendet». Dass es in Zukunft bei Bundesrat Jans anders werde, sei «mehr als fraglich».

Auf «ihren» Bundesrat angesprochen, möchte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer klarstellen: «Die Schweiz ist auf geordnete Regeln mit der EU angewiesen – gerade weil sie klein ist».

Mattea Meyer findet, es braucht klare Regeln. Video: srf/Arena

Wenn es Differenzen gebe, dann brauche es klare Verfahren. Eine Streitbeilegung, bei der man sich am Schluss einigen kann.

In der EU-«Arena» waren aber noch lange nicht alle bei der Streitbeilegung angekommen.

Die Angst vor dem Volk

Spätestens beim Thema Ständemehr eskaliert die Arena-Debatte endgültig. Während der Bundesrat das EU-Paket dem Volk ohne Ständemehr zur Abstimmung vorlegen will, fordern andere: nicht ohne doppeltes Ja. Genau das will Philip Erzinger von der Allianz Kompass Europa mit der Kompass-Initiative.

Diese fordert, das Ständemehr für das Vertragspaket nachträglich zu erzwingen – inklusive Rückwirkung. Das Argument: Die Kantone müssten mitreden, wenn Grundsatzentscheide zur Souveränität anstehen. Erzinger gibt sich kämpferisch: «Wir sind bald bei 85'000 Unterschriften. Wenn das Volk Ja sagt, muss neu abgestimmt werden – mit Ständemehr.»

Mattea Meyer schüttelt über so viel Verfassungsbiegen den Kopf. «Artikel 140 ist klar: Das ist kein obligatorisches Referendum. Ein Staatsvertrag unterliegt dem fakultativen Referendum – und das ist verfassungskonform. Punkt.» Auch Mitte-Ständerätin Marianne Binder stützt die Verfassungsargumentation des Bundesrats – betont jedoch, dass die Meinungsbildung in ihrer Partei noch nicht abgeschlossen sei, da das Vertragspaket noch nicht gelesen wurde.

«Die Meinung ist noch nicht abgeschlossen»: Marianne Binder. Video: srf/Arena

Thomas Aeschi hingegen sieht den Untergang der Schweiz nahen: «Wenn selbst die Kuhhorn-Initiative das Ständemehr brauchte, aber dieser EU-Vertrag nicht – dann ist das der Anfang vom Ende des Ständerats. Marianne, du wirst dann nicht mehr dabei sein.»

Binder schüttelt über Aeschis düsterem Szenario den Kopf und kontert nüchtern: «Ich wäre nie dabei, an der Rolle des Ständerats zu rütteln». Auch FDP-Vize Silberschmidt schaltet sich ein – und bringt die Debatte auf den Punkt: «Wir alle wollen, dass das Volk entscheidet. Aber nicht alles gehört automatisch vors Ständemehr. Wer hat denn wirklich Angst vor dem Volk?»

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238 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pafeld
17.05.2025 01:31registriert August 2014
Man könnte meinen, Aeschi hätte einen unschlagbaren Vorteil, weil er als einer der wenigen den Vertrag bereits gesehen hat. Und alles, was der dann in petto hat, sind 90 Min. lang auswendig gelernte, angestaubte Plattitüden aus der Mottenkiste, die die SVP seit 30 Jahren runterleiert, wenn man mit dem Wahlvieh zu Profilierungszwecken gegen die EU ins Felde zieht. Nicht, dass er nicht tadellos vorbereitet gewesen wäre. Und trotzdem hat man nichts weiter zu bieten als 0815-Floskeln aus der Konservenbüchse.
Jeder andere würde sich schämen, die Zeit von den Gästen und Zuschauern so zu vertrödeln.
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Piggeldy's Bruder Frederick's Schwippschwager
17.05.2025 01:16registriert November 2021
Die 700 Seiten waren auf Englisch?

Also wenn Martullo diese Sprache so gut versteht, wie sie sie spricht, dann wundert mich nicht, warum sie die Verträge so schrecklich fand...
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Berner in Zürich
17.05.2025 01:54registriert August 2016
Die SVP muss wirklich sehr viel Angst haben vor dem Volk. Ansonsten würden sie nicht auf das veraltete Ständemehr pochen. Ein Ständemehr, daß damals nach den "Religionskriegen" eingeführt wurde um die Innerschweiz bei Laune zu halten, um der Minderheit von Katholiken eine Mehrstimme zu geben.
Alte Zöpfe gehören abgeschnitten oder neu geregelt.
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