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SRF Arena zu EU-Verträgen: Thomas Matter teilt aus

Geschichtsstunde mit Hobbyhistoriker Thomas Matter: Der SVP-Vizepräsident hat eine Kopie des Bundesbriefs in die «Arena» mitgebracht.
Geschichtsstunde mit Hobbyhistoriker Thomas Matter: Der SVP-Vizepräsident hat eine Kopie des Bundesbriefs in die «Arena» mitgebracht.Bild: SRF
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«Lasse mir nicht von Linken die Wirtschaft erklären»: SVP-Matter teilt in EU-«Arena» aus

Zum wiederholten Mal diskutiert die Schweizer Politik über ein Vertragspaket mit der EU. In der «Arena» diskutierten die Parteispitzen über das Ständemehr, die Personenfreizügigkeit – und schlossen Wetten ab.
25.10.2025, 00:4625.10.2025, 13:28

Die «Arena» zum Vertragspaket, das die Schweiz mit der EU verhandelt hat, ist gerade eine Viertelstunde alt, als SVP-Nationalrat Thomas Matter unter sein Pult greift und nichts weniger als den Schweizer Bundesbrief zutage befördert.

Nun gut, es ist nur eine Kopie des sagenumwobenen Briefs von 1291, der oft als Gründungsurkunde der Schweiz herhalten muss. Unter Historikerinnen und Historikern gilt das als Geschichtsfolklore. Das hindert Thomas Matter nicht daran, den Brief in die Kamera zu halten und bedeutungsschwer zu deklamieren:

«Dieser Brief ist der Ursprung der Schweiz. Und der soll jetzt verrissen und in den Müll geworfen werden.»

Auch Marianne Binder-Keller, Ständerätin der Mitte, rührt mit der grossen historischen Kelle an. «Wir tun so, als wären wir am Morgarten und müssten Baumstämme das Tobel hinabrollen, um die habsburgische Invasion abzuwehren.»

In der Schlacht am Morgarten schlugen die Eidgenossen ein habsburgisches Heer in die Flucht. Sie erkämpften sich damit eine gewisse Unabhängigkeit, weshalb die Schlacht in der traditionellen Geschichtsschreibung als erste Freiheitsschlacht der Schweiz gilt. Das war 1315.

Für gewöhnlich ist die «Arena» eine Politiksendung, die wenig Wissen über den Schweizer Gründungsmythos voraussetzt. Warum also dieses Tamtam um Rütli und Morgarten?

Schuld trägt dieser Papierwust:

Surprise
bild: srf

Es ist das ausgedruckte Vertragspaket, das die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU updaten und absichern soll. Es wird oft auch «Bilaterale III» genannt. 2200 Seiten umfassen die Verträge, die der Bundesrat seit 2022 mit Brüssel ausgehandelt hat.

Über dieses Vertragspaket will Sandro Brotz mit seinen Gästen sprechen. Es sind dies neben SVP-Vizepräsident Matter und Binder-Keller, die in der Parteileitung der Mitte sitzt:

  • Jon Pult, Nationalrat GR, Vizepräsident SP
  • Damian Müller, Ständerat LU und Wahlkampfchef FDP

Drei Fragen möchte Sandro Brotz am Ende der Sendung beantwortet haben. Was bringen die Verträge mit der EU? Soll bei einer Abstimmung über die Bilateralen III das Ständemehr gelten? Und: Was geschieht mit der Personenfreizügigkeit?

Soll die Schweiz die Verträge unterschreiben?

Auf keinen Fall, findet Thomas Matter. Die Verträge mit der EU hält er für «die schlechtesten Verträge, die die Schweiz je ausgehandelt hat». Die Bilateralen III würden die Schweiz auf direktem Weg in die EU führen.

Früher hätten Verträge noch auf eine Seite gepasst, findet Matter:

Video: srf/arena

Jon Pult hält dagegen: «Wir leben in einer immer gefährlicheren Welt. Staaten wie Russland, China und die USA setzen auf Unterwerfung.»

«Umso wichtiger ist es für Rechtsstaaten wie die Schweiz, geregelte und nachvollziehbare vertragliche Vereinbarungen mit unseren Nachbarstaaten zu haben.»

Als Pult dann auch noch darauf hinweist, dass das BIP der Schweiz um 4,9 Prozent zurückgehen würde ohne bilaterale Verträge, hat Matter genug gehört. Von einem Linken müsse er sich nicht die Wirtschaft erklären lassen, frotzelt der Privatbanker:

«Haben Sie eine einzige Seite des Vertrages gelesen?»

Video: srf/arena

Ständemehr: mit oder ohne?

Eigentlich sind wir noch weit davon entfernt, über das Vertragspaket mit der EU abstimmen zu können. Bis Ende Oktober läuft noch die Vernehmlassung. Anschliessend werden sich National- und Ständerat über die Verträge beugen. Sollte das Parlament die Verträge annehmen und sollte das Referendum dagegen ergriffen werden, dann – und erst dann – käme es zur Abstimmung.

Trotzdem wird schon jetzt gestritten: Bräuchte es bei einer Abstimmung Volks- und Ständemehr? Oder reicht das einfache Volksmehr?

Die SVP ist der Meinung, die Verträge mit der EU hätten «verfassungsrechtlichen Charakter». Deshalb brauche es zwingend das obligatorische Referendum. In der Konsequenz würde das bedeuten: Es müssten keine Unterschriften gesammelt werden, damit die Schweizer Bevölkerung über die Verträge abstimmen kann. Und: Es bräuchte Volks- und Ständemehr.

Matter und die EU-Turbos

Anders sehen das der Bundesrat, SP, Grüne, Grünliberale und FDP. Sie wollen die Verträge als fakultatives Referendum behandeln – mit dem Effekt, dass 50'000 Unterschriften gesammelt werden müssten und dann das Volksmehr genügen würde, um die Verträge anzunehmen.

Kurz vor der «Arena»-Sendung hatte die Konferenz der Kantone informiert: Die Mehrheit der Kantone ist nicht der Ansicht, dass es ein Ständemehr braucht. Etwas, das Thomas Matter brutal ärgert: «Das hat eine Handvoll von EU-Turbos entschieden und ganz sicher nicht die Kantonsparlamente oder das Volk.»

Matter über EU-Turbos und Mannsgöggeli:

Video: srf/arena

Thomas Matter wird immer ungehaltener. Er wirft den übrigen Teilnehmenden vor, die «schönsten Märchen» zu erzählen. Damian Müller zündet er an, er rattere da «seine auswendig gelernten Sprüchlein runter».

Seine eigenen Phrasen von «Unterwerfungsvertrag» über «schleichender EU-Beitritt» bis zu «fremde Richter» wirken auch nicht sehr spontan. Es sind die üblichen Gassenhauer der SVP-Hitparade.

Je länger die Sendung dauert, desto mehr wirkt Thomas Matter wie ein verhaltensauffälliger Schüler. Wobei die SVP solch neumodischen Bildungssprech nicht schätzt. Man könnte auch sagen: Thomas Matter wird mit Fortdauer der Sendung immer unflätiger. Und darum von Marianne Binder-Keller zurechtgewiesen:

Video: srf/arena

Wie weiter mit der Personenfreizügigkeit?

Zum Schluss einer animierten, aber auch ausfransenden «Arena» hält Jon Pult ein Plädoyer für die Personenfreizügigkeit – sie sei die effizienteste und menschlichste Methode, einer überalterten Schweiz Fachkräfte zu garantieren:

Der doppelt glückliche Jon Pult:

Video: srf/arena

Derweil befürchtet Thomas Matter, dass die neuen EU-Verträge Tür und Tor öffnen für Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz die Sozialsysteme belasten. «Und dafür bekommen sie erst noch ein Daueraufenthaltsrecht», sagt Matter.

Weil er sich in dem Punkt nicht einig wird mit Damian Müller, schliessen die beiden flugs eine Wette um einen Znacht ab:

Top, die Wette gilt! Wo Matter und Müller wohl essen gehen?

Video: srf/arena

So endet die Schlacht zu den EU-Verträgen weder mit Rütlischwur noch Morgarten-Hellebarden. Sondern einem bürgerlichen Handschlag.

Es gibt in der Schweizer Geschichtsfolklore eine zweite bekannte Schlacht: diejenige zu Sempach im Jahr 1386. Erneut trug die Eidgenossenschaft den Sieg über die Habsburger davon. Die Sempacher Schlacht musste in der Vergangenheit schon als Symbol für eine wehrhafte Schweiz herhalten.

Die SVP wird sie bald auch im Kampf gegen die Bilateralen III einsetzen. Wetten?

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    508 Kommentare
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    Mav65
    25.10.2025 01:17registriert Dezember 2019
    Vielleicht braucht es mal eine Volksinitiative, dass Unternehmen bei welchen mindest ein Mitglied der SVP in der Geschäftsleitung oder Verwaltungsrat sitzt oder mehr als 10% des Unternehmens besitzt keine weiteren Ausländer mehr einstellen dürfen. Mal sehen wie sich die SVP hier positionieren würde.
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    ImmerMitderRuhe
    25.10.2025 03:15registriert Februar 2023
    Liebe SVP; seit dem von Euch propagierten EWR Nein hatten wir eine Rekordhohe Zuwanderung und Kostensteigerungen. Eure sture Verhinderungspolitik hat genau das Gegenteil bewirkt. Zwei einst Superprofitable Konzerne mit dem Swiss Label im Namen sind Geschichte. Alleingang ganz ohne fremde Richter wird immer gefährlicher und teurer. Mich nerven diese selbstverschuldeten US Zölle. Das Mitleid der bösen EU ist übrigens auch noch Gratis. Danke für nichts.
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    Mondblüemli
    25.10.2025 01:49registriert Oktober 2021
    Rütlibrief? Also wenn das kein Argument ist. Am Ende stellen die sich noch mit Hellebarden auf den Bundesplatz…
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    Parlamentarier wollen Roaming-Gebühren abschaffen – der Bundesrat blockt ab
    Es ist eine teure Extrawurst für Schweizerinnen und Schweizer. Der Bundesrat will auch weiterhin nicht zum europäischen Anti-Roaming-Abkommen beitreten.
    Die Schweiz soll eine Insel bleiben. Während in der EU die Roaming-Gebühren abgeschafft wurden, gelten diese weiterhin für Reisende aus der EU in der Schweiz und Schweizerinnen und Schweizer im EU-Ausland. Und das soll vorläufig auch so bleiben. Der Bundesrat empfiehlt einen Vorstoss von Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL) zur Ablehnung, wie er in der soeben veröffentlichten Antwort schreibt.
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