So viel Blut, dass man es aus dem All sieht – was im Sudan geschieht
Die Belagerung dauerte eineinhalb Jahre. Dann fiel Al-Faschir, letzte Bastion der sudanesischen Armee im Westen des Landes, an die Miliz Rapid Support Forces (RSF). Seitdem häufen sich Hinweise auf Gräueltaten – und auf ein mögliches Massaker, das sich im digitalen Zeitalter in einem Informationsvakuum vollzieht. Dort gibt es keinen Handyempfang, kein Internet, kaum Zeugen. Nur Satellitenbilder und einzelne Stimmen von Überlebenden erreichen die Aussenwelt.
Während internationale Diplomatie weitgehend schweigt, warnen Menschenrechtsorganisationen vor einem Völkermord. «Das Ausmass des Leids, das wir im Sudan erleben, ist unerträglich», sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Montag. Hilfsorganisationen vor Ort rechnen mit Tausenden Toten. Rund 260'000 Menschen, darunter die Hälfte Kinder, sitzen Berichten zufolge in der Stadt fest – ohne Nahrung, ohne Fluchtweg.
Sudan: Satellitenbilder zeigen dunkle Verfärbungen im Sand
Forschende des Humanitarian Research Lab der Yale School of Public Health veröffentlichten am Dienstag Bilder, die weltweit für Entsetzen sorgen. Auf den ersten Blick wirken die Satellitenaufnahmen harmlos: Häuserblöcke, Staubstrassen, spärliche Vegetation. Doch beim Heranzoomen tauchen schmale, 1,3 bis zwei Meter lange Formen auf: Leichen, so die Analyse.
An mehreren Orten sind ausserdem Fahrzeuge zu sehen, die Strassen blockieren. Daneben: grosse, dunkle Flecken. Die Forschenden gehen davon aus, dass es sich um Blut im Sand handelt. «Nie zuvor habe ich gelesen, dass es irgendwo so viel Blut gibt, dass man es per Satellit sehen kann», schrieb Journalist Thomas van Linge auf X. «Doch genau das ist nun die Realität in Al-Faschir.»
Been doing and following OSINT research for 12 years. Never before have I read about there being so much blood it could be spotted by satellite.
— Thomas van Linge (@ThomasVLinge) October 28, 2025
But that's now the reality in El Fasher (Sudan 🇸🇩) https://t.co/nyZeLDFtGe
Laut den Yale-Experten ereigneten sich mutmassliche Massenmorde entlang eines Erdwalls, den die RSF während der Belagerung errichtet hatten, sowie rund um das Saudi Maternity Hospital. Die Weltgesundheitsorganisation berichtete, dort seien mehr als 460 Patienten und Angehörige getötet worden.
Stimme aus Al-Faschir: «Sie haben sie direkt vor uns erschossen»
Da die Stadt komplett von Kommunikation abgeschnitten wurde, gibt es kaum direkte Stimmen aus Al-Faschir. Wer entkommen konnte, erzählt von Gewalt und Willkür. Reuters schildert den Fall von Ikram Abdelhameed, die mit ihren Kindern flüchten konnte. An einem Kontrollpunkt hätten RSF-Kämpfer gefordert: «Wir wollen die Soldaten.» Als niemand antwortete, seien mehrere Männer ausgewählt und «direkt vor uns erschossen» worden.
Viele, die entkommen, berichten nicht nur von Massakern in der Stadt, sondern auch von Überfällen und Tötungen auf der Flucht. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen spricht von einem «massiven Zustrom» traumatisierter Menschen in das 60 Kilometer entfernte Tawila. Viele seien unterernährt und verletzt.
Bereits vor der Einnahme war die Lage katastrophal: Seit Monaten kamen keine Hilfsgüter mehr in die Stadt. Menschen assen Tierfutter, so die Deutsche Welle unter Berufung auf Augenzeugen. Marina Peter vom Sudan- und Südsudan-Forum sagte der DW: «Laut unseren Kontakten in der Stadt sterben im Durchschnitt in jeder Stunde drei Kinder.»
Beobachter warnen seit Langem, dass die RSF nach der Übernahme gezielt ethnische Gruppen ins Visier nimmt. Ähnlich wie 2023 in Al-Dschunaina, wo nach UN-Angaben bis zu 15'000 Massalit getötet worden sein sollen. Der Internationale Gerichtshof sieht Hinweise auf Kriegsverbrechen.
«Die RSF und die mit ihr verbündeten Milizen haben in grossem Umfang Zivilisten gezielt getötet», heisst es in einem Bericht von Human Rights Watch. Die Organisation dokumentiert ausserdem «weit verbreitete sexuelle Gewalt, insbesondere Gruppenvergewaltigungen», sowie Plünderungen und Brandstiftungen. Doch auch die reguläre Armee, die Sudanese Armed Forces (SAF), verübt laut HRW «grausame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung».
Sudan: Ein zerrissenes Land – und eine Welt, die wegschaut
Sudan steckt seit 2023 in einem brutalen Machtkampf zwischen Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und RSF-Kommandeur Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti. Beide haben internationale Verbündete: Die RSF werden laut Recherchen etwa von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt, die Armee erhält Hilfe aus Ländern wie der Türkei und Russland. Sicherheitsexperten nennen zudem Hinweise auf iranische Unterstützung.
Die Einnahme Al-Faschirs könnte den Sudan faktisch teilen: Der Osten steht unter Kontrolle der Armee, der Westen unter Herrschaft der RSF. Human Rights Watch warnt, die Bilder aus Al-Faschir zeigten eine «erschreckende Wahrheit: Die RSF fühlen sich frei, Massenverbrechen zu begehen».
Arjan Hehenkamp vom International Rescue Committee beschreibt bei der DW, was Überlebende berichten: «Die Menschen, die aus Al-Faschir flüchten, kommen aus einer Hölle. Sie haben nichts ausser der Kleidung, die sie tragen. Viele sind schwer traumatisiert.»
She survived the killings fields of El Fasher, but at what cost? Who knows what she experienced there or who she had to leave behind?
— Thomas van Linge (@ThomasVLinge) October 28, 2025
From Tawila (Sudan 🇸🇩) pic.twitter.com/YxEj8Q96Gk
Doch warum flüchten so wenige? Hilfsorganisationen nennen zwei Gründe: RSF-Milizen hindern Menschen an der Ausreise. Gleichzeitig fürchten viele den Weg nach Tawila, wo Überfälle und Erschiessungen gemeldet wurden.
«Ohne eine deutliche Ausweitung der humanitären Hilfe wird das Leid weiter zunehmen», so Hehenkamp. Human Rights Watch fordert internationale Massnahmen, um weitere Massentötungen zu verhindern. Doch während in Gaza und der Ukraine täglich Debatten geführt werden, bleibt Darfur global oft Randnotiz.
