Jon Pult konnte einem fast ein bisschen leidtun. Da stand der Sozialdemokrat ganz allein in der «Arena» und von allen Seiten feuerten sie Geschosse auf ihn ab. Zunächst parierte er die Angriffe der Gegner mirakulös wie Yann Sommer in Bestform.
Doch kurz vor der Halbzeit geriet der SP-Mann aus Graubünden zunehmend in Not.
Dies, weil jemand, der sonst in seinen eigenen Reihen spielt, plötzlich auch noch auf sein Tor schoss. Zum Glück – für Pult – erwachte just in diesem Moment die Stehtribüne und gab ihm den nötigen Schub, um bis zum Schluss durchzuhalten.
Doch beginnen wir von vorne.
Die Ausgangslage vor der gestrigen «Arena»: Nach dem überraschenden Rücktritt von Simonetta Sommaruga gab die SP-Spitze bekannt, dass sie der Bundesversammlung ein Frauenticket präsentieren will. SP-Ständerat Daniel Jositsch empfindet dies jedoch als «diskriminierend» und will kandidieren.
Das Frauenticket bewegt die Schweiz. Die Kommentarspalten sind voll und auch bei der «Arena» seien so viele E-Mails wie nur selten eingetroffen, gab Moderator Sandro Brotz bekannt. Für die Sendung mit dem Titel «Wie viel Frau braucht es im Bundesrat?» hatte er Vertreterinnen der vier Bundesratsparteien eingeladen – und Daniel Jositsch.
Dies ergab die spezielle Konstellation, dass sich Jon Pult gleich gegen alle anderen vier Diskussionsteilnehmer wehren musste. Zumal niemand von ihnen Verständnis dafür zeigte, weshalb die SP-Spitze Bundesratskandidaten kategorisch ausschliesst, weil sie das falsche Geschlecht haben.
Mit dem Vorgehen der SP gar nichts anfangen, konnte Andrea Gmür-Schönenberger. Das Frauenticket sei für sie wie eine «Ohrfeige» gewesen, sagte die Mitte-Ständerätin. Damit suggeriere man, dass Frauen sich nur dann durchsetzen können, wenn die männliche Konkurrenz von Anfang an ausgeschaltet sei. «Ich finde das schockierend», so die Luzernerin. Für sie ist klar: «Gleichstellung ist dann erreicht, wenn es nicht permanent ein Thema ist.» Seit Jahren habe die Mitte mit Doris Leuthard und Viola Amherd Frauen im Bundesrat, Männern sei es aber nie verboten worden, zu kandidieren.
Pult liess sich ob des feurigen Auftritts von Gmür-Schönenberger nicht aus der Ruhe bringen. Ruhig und souverän spulte er seine Argumente ab. «Wir sind die Gleichstellungspartei, wir sind stolz darauf, dass das Männer- und Frauenverhältnis auf allen Ebenen am ausgeglichensten ist.» Seit 30 Jahren habe die SP immer eine Frau im Bundesrat, das sei ein wichtiger Wert für die Partei.
«Wir wissen, dass es wichtig ist, eine linke und progressive Frau im Bundesrat zu haben. Weil die Gleichstellung in diesem Land noch sehr unterentwickelt ist.» Er denke da etwa an die Rentenlücke, die Frauenlöhne, die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie oder auch an die Gewalt an Frauen.
Als Nächstes stürmte Regine Sauter auf den einsamen Pult los. Man mache den Frauen «keinen Gefallen», wenn man die Männer ausschliesse, meinte die FDP-Nationalrätin. Die SP-Frauen, die nun kandidierten, seien alle «bestens qualifiziert und hätten sich auch sonst präsentiert». Zudem wunderte sich die FDP-Nationalrätin über die langfristigen Pläne der SP. Sie fragte: «Ist jetzt für alle Ewigkeiten der SP-Sitz aus der deutschsprachigen Region für eine Frau und der aus dem Welschland für einen Mann reserviert?» Damit schränke sich die Partei ja selbst ein, meinte die Zürcherin.
Pult wehrte sich nach Kräften, doch es wurde je länger, desto deutlicher, dass er einen schweren Stand haben würde an diesem Abend. Als auch noch die dritte Frau im Bunde, Diana Gutjahr, zur Attacke blies, erhob der SP-Mann ein erstes Mal verzweifelt die Hände. Er sei nicht nur in Unterzahl, sondern «allein», stellte er ernüchtert fest und erhielt ein paar Lacher aus dem Publikum zur Aufheiterung.
Brotz kündigte baldige Unterstützung an, doch bis dahin sollte es noch ein wenig dauern und alles noch schlimmer werden für den bemitleidenswerten Pult.
Zu seinem Pech befand sich seine dritte Gegenspielerin in bestechender Form. Gutjahr, die schon fast eine Stammplatz-Garantie in der «Arena»-Aufstellung von Brotz hat, zeigte bei ihrem dritten Auftritt in den vergangenen drei Monaten eine starke Leistung. «Ihr bedient das Klischee, dass Frauen schwach sind», warf sie ihrem Gegenüber an den Kopf. Damit signalisiere man, dass Frauen nur dann eine Chance hätten, wenn man die Männer ausschliesse. «Das ist doch einfach nicht richtig», wetterte Gutjahr.
«Wir haben in diesem Land eine demokratische Politik, woran alle teilnehmen dürfen», fuhr die SVP-Nationalrätin fort. «Und ihr geht einfach hin und sagt, Männer haben kein Mitbestimmungsrecht. Das finde ich nicht in Ordnung!»
Und bevor sich Pult irgendwie verteidigen konnte, rannte mit Daniel Jositsch auch noch der Mann aus der eigenen Partei auf ihn zu. Er sei jetzt 57 Jahre alt, meinte der SP-Ständerat, falls es jetzt nicht klappe mit dem Bundesrat, sei es das gewesen. Wenn jetzt eine Deutschschweizer Frau gewählt werde, müsste er ja in die Romandie ziehen, um noch eine Chance zu haben, so Jositsch. Dies werde er aber sicher nicht tun.
Nach Jositschs Lesart ist jetzt der einzige Moment, in dem er Bundesrat werden kann. «Rein von meinem Alter her ist das eine Gelegenheit, die man einmal hat, dann sind wieder andere dran.» Danach sei er zu alt, so Jositsch.
Der Rechtswissenschaftler gab jedoch nicht nur persönliche Karrieremotive an, weshalb er trotz des parteiinternen Widerstandes kandidieren möchte. Er wolle das Vorgehen der SP-Spitze auch als Jurist nicht einfach so hinnehmen. «Wenn man Kandidaten aufgrund eines biologischen Merkmals ausschliesst, ist das diskriminierend», sagte Jositsch.
Und übrigens habe er sowohl 2010 für Karin Keller-Sutter – sie wurde damals nicht gewählt – und 2017 für Isabelle Moret gestimmt. Er sei damit aber eine Ausnahme in der Partei gewesen. An die Adresse von Pult gerichtet, meinte er: «Und jetzt kommst du und sagst, wenn wir von der SP nicht schauen, gibt es keine Frauen im Bundesrat.»
Es sei sicher nicht gut gewesen, dass die SP damals keine Frauen gewählt habe, gab der sichtlich angezählte Pult zu und man musste sich Sorgen machen, ob er die zweite Hälfte der Sendung überstehen würde. In einem Fussballspiel hätte man den Ersatzgoalie schon mal zum Aufwärmen geschickt.
Doch dann kam endlich Hilfe.
Und zwar in Person von Sozialarbeiterin Claudia Brenner. «Wir warten immer noch auf die Gleichstellung», schimpfte die 56-Jährige. «Wir haben 50,4 Prozent weibliche Bevölkerung und bis jetzt haben wir gerade mal neun Bundesrätinnen gehabt.» Deshalb müsse jetzt eine Frau gewählt werden. «Und jetzt kommt Herr Jositsch und sagt, er wolle auch. Das macht mich hässig.»
Die Bevölkerung müsse angemessen im Bundesrat repräsentiert werden, argumentierte die Sozialarbeiterin. Und an Jositsch gerichtet, meinte sie: «Ich verstehe, dass er Bundesrat will werden. Aber es ist jetzt einfach der falsche Zeitpunkt.»
Ebenfalls auf der Stehtribüne befand sich Marianne Huber. Die Rentnerin warf sich ebenfalls für Pult ins Zeugs. «Ich wünsche mir eine SP, die auf der höchsten Ebene die Gleichstellung lebt. Ein Mann, eine Frau, ganz einfach», so Huber. Die SP müsse ihre DNA schützen.
Nach dieser unerwarteten Unterstützung konnte Pult sich wieder aufraffen und hatte gegen Ende der Sendung seinen besten Moment. Dass im Nationalrat 42 Prozent Frauen seien, sei in erster Linie der SP und den Grünen zu verdanken, sagte der Bündner. Die Bürgerlichen hätten einen Frauenanteil von unter 30 Prozent.
Pult erklärte, wie die SP im Nationalrat einen Frauenanteil von 64 Prozent erreicht hat – nämlich mit einer Geschlechterquote. Die SP schaue, dass bei Nominationen beide Geschlechter immer mit mindestens 40 Prozent vertreten seien. Das Instrument werde zwar oft lächerlich gemacht, sei aber «hoch wirksam». Die Parteien, welche die Geschlechterquote kategorisch ausschliessen würden, hinkten in Sachen Gleichstellung hinterher, sagte Pult und sorgte für ein seltenes SP-Highlight in dieser «Arena».
Obschon Pult am Schluss wieder eine gute Figur abgab, war die Sendung ein Eigentor für die SP. Ob jetzt die Partei-Spitze um Mattea Meyer und Cédric Wermuth oder Daniel Jositsch den Ball ins eigene Tor gedonnert hat, muss die Zuschauerin für sich entscheiden.
Dies scheint mir das einzige Problem der SP-Strategie zu sein.
Aha und was ist an der Bundesratsnomination nun anders, dass dieses "Prinzip" nicht mehr zählt?