Der sozialdemokratische Aussenpolitiker und Nationalrat Fabian Molina machte die Nachricht eigentlich schon am vergangenen Freitag bekannt – nur fiel es kaum jemandem auf: Er hat seinen Posten als Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Russland–Schweiz» abgegeben.
Molinas Rücktritt schlug bislang keine grosse Wellen, was damit zu tun hat, dass ausserhalb des Bundeshauses kaum eine Bürgerin und Bürger überhaupt weiss, dass es so etwas wie «parlamentarische Freundschaftsgruppen» gibt. Sie spielen in der Politik kaum eine Rolle, so denkt man. Genau weiss es aber niemand so recht.
Punkto Transparenz weiss die Öffentlichkeit nur, dass es Freundschaftsgruppen im Parlament gibt und wer alles dabei ist. So liest man zur Russland-Gruppe, dass sie mit dem russischen Parlament einen «stabilen und dauerhaften Dialog» aufrecht erhalten wolle. Man liest, dass SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel und Mitte-Ständerätin Heidi Z'graggen nach Molinas Rücktritt die einzigen Co-Präsidentinnen sind – und es wird offen ausgewiesen, dass sich das Sekretariat und CVP-Altständerat Filippo Lombardi dieselbe Adresse teilen.
Womit sich die Frage stellt: Was macht diese Gruppe überhaupt und was hat sie seit Kriegsausbruch gemacht? SP-Nationalrat Fabian Molina will den Sinn und Zweck solcher Freundschaftsgruppen nicht grundsätzlich in Frage stellen. «Rückblickend muss man aber zugeben: Der Dialog zwischen den Parlamenten konnte unter diesen Bedingungen die russische Invasion nicht verhindern. Es wäre für mich deshalb eine Farce, weiterhin Co-Präsident dieser Gruppe zu bleiben», sagt Molina.
Der Zürcher Nationalrat liefert dazu zwei Gründe: Einerseits stiess er auf taube Ohren, als er am Dienstag vor der russischen Invasion eine Erklärung im Namen der parlamentarischen Gruppe erarbeiten wollte. Andererseits habe ihm die Erfahrung der letzten Tage gezeigt: «Das russische Parlament hatte im Zusammenhang mit der Kriegsentscheidung von Wladimir Putin rein gar nichts zu melden.»
Molina verweist damit auf den Entscheid der Staatsduma (das Unterhaus des Parlaments), in dem die russische Aggression ihren Anfang nahm: Am 15. Februar stimmte das Parlament mit 351 zu 16 Stimmen der Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk zu. Die Kommunistische Partei, die eigentlich die Opposition zu Putins Regierungspartei «Einiges Russland» darstellt, stimmte den Kreml-Plänen euphorisch zu. Kritik gab es nicht – sie kam Tage später, als kommunistische Parlamentarier der Duma behaupteten, sie hätten mit der Anerkennung von Donezk und Luhansk «Frieden und nicht Krieg» erreichen wollen.
Diese unkritische Unterstützung kritisiert Molina mit Verweis auf mehrere Gespräche mit russischen Abgeordneten, die er in den vergangen Jahren führen konnte: «In all den Gesprächen deutete nichts daraufhin, dass Putin diesen Schritt wagt. Uns wurde zwar deutlich gemacht, wie die russische Politik die geopolitische Gefahrenlage bewertet und dass sie in Machtsphären denkt. Mit dieser Einstellung sah Moskau in der europäisch orientierten ukrainischen Regierung ein Problem. Es gab aber keine Zeichen, dass die russische Armee in die Ukraine einmarschiert», sagt Molina weiter.
Sprich: Er und andere Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier hätten sich oder wurden vom Eindruck getäuscht, dass die internationale Diplomatie mit einem Parlament unter autokratischer Führung etwas bewegen kann. Deshalb habe er auch seinen Rücktritt am vergangenen Freitag erklärt und einen Brief ans russische Parlament verfasst, in dem er Putins Aggression verurteilt.
Von den übrigen Mitgliedern der Gruppe «Russland–Schweiz» war bislang wenig zu hören – was selbst SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel, einen der verbliebenen Co-Präsidenten, wenig überrascht.
«Die parlamentarische Gruppe ist in den vergangenen Jahren eingeschlafen. Wir haben sie zwar im Juni 2021 wiederbelebt, aufgrund der Pandemie kam es aber bislang zu keinem Treffen mit den Vertretern der Duma. Insofern weiss ich nicht, von welchen Gesprächen Kollege Molina spricht», sagt Büchel auf Anfrage von watson. Er stimmt aber dem Sozialdemokraten zu, dass die Gruppe zurzeit wenig Wirkung hat. «Die geplanten Aktivitäten unserer Freundschaftsgruppe wurden deshalb sistiert. Wir haben dem russischen Botschafter dies mitgeteilt und ihm unsere Bestürzung über die russische Aggression in der Ukraine mitgeteilt», sagt Büchel weiter.
Im Bundeshaus wird jedoch bereits an neuen Möglichkeiten gearbeitet, um die Parlamentsdiplomatie aufrecht erhalten zu können. Nationalrätinnen und Nationalräte von verschiedenen Parteien haben sich am Dienstag informell getroffen, um verschiedene Optionen auszuloten. Mit dabei ist GLP-Nationalrat Martin Bäumle, Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz–Ukraine: «Die Situation entwickelt sich in den Kriegsgebieten schnell weiter. Wir wollen deshalb besprechen, was wir im Rahmen der parlamentarischen Diplomatie tun können, um eine weitere Eskalation des militärischen Konflikts zu verhindern und die humanitäre Hilfe zu etablieren.»