Vor eineinhalb Jahren kam es im Gotthard-Basistunnel zum verhängnisvollen Unglück. Wegen einem Radbruch entgleisten mehrere Güterwagen und zerstörten eine der beiden Tunnelröhren, sodass diese bereits kurz nach der Eröffnung bereits wieder über ein Jahr lang gesperrt werden musste. Zum grossen Glück im Unglück gab es keine Verletzten.
Seit vergangenen Herbst läuft der Bahnbetrieb wieder normal am Gotthard. Die Schäden am Basistunnel sind behoben. Doch im Hintergrund läuft die Aufarbeitung des Güterzug-Unglücks vom August 2023 noch immer auf Hochtouren. Erst recht die Klärung der juristischen Frage nach der Verantwortung und der Antwort darauf, wer für die Schäden dereinst geradestehen muss.
Mitten in diese Aufarbeitung platzt nun SRF mit der Nachricht, dass sich ein Güterzug-Unglück wie jenes vom Gotthard jederzeit wiederholen könnte. Die «Rundschau»-Redaktion des Fernsehens und Radio (SRF) der deutschen Schweiz beruft sich in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag auf einen bislang vertraulichen Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust). Die Sust hat bislang nicht auf eine Medienanfrage von CH Media reagiert. Klar ist damit bislang nur: Publiziert hat sie den von SRF erwähnten Bericht nicht.
Laut den Recherchen der «Rundschau» zeigt dessen Entwurf: Es war keine Verkettung unglücklicher Umstände. Das Problem beim Güterzug-Unglück im Gotthardbasistunnel liege vielmehr beim Bremssystem, das bei den allermeisten Güterwagen zum Einsatz kommt. Das an sich ist laut bisherigem Wissensstand zwar noch nicht wirklich neu, gingen verschiedene Vermutungen bislang in diese Richtung.
Doch laut dem vertraulichen Entwurf des Untersuchungsbericht zeigen Abklärungen zum kritisierten Rad-Typ in anderen europäischen Ländern, dass es damit zahlreiche vergleichbare Probleme gibt. Einfach haben diese bislang nie zu Unfällen in dieser Schwere geführt. Wobei anzumerken ist, dass es je nachdem noch viel schlimmer kommen könnte. Denn im Gotthard geschah der Unfall in einem eingleisig geführten Tunnel.
Denn die Untersuchung brachte laut SRF ans Licht, dass alle Räder des Unfallwagens «die gleichen Rissmerkmale aufwiesen» – obwohl sie zum Teil deutlich neuer waren. Solche Ermüdungsrisse entstehen durch «thermische Überbelastung». Sprich: Wenn sich das Rad erhitzt.
Erstmals nennt der vertrauliche Sust-Bericht zudem auch Zahlen: So entdeckten Experten aus ganz Europa nach dem Gotthardunglück 77 Fälle von Rissen, bei 10 war das Rad gebrochen. Doch mehr als eine unverbindliche Empfehlung für einzelne Radtypen, die bereits stark abgefahren sind, gab die europäische Aufsichtsbehörde laut SRF nicht ab.
Gegenüber der «Rundschau» kritisieren mehrere Experten, dass das Problem damit bei praktisch allen Güterwagen mitfahre. Erst recht, da Güterzüge inzwischen schneller unterwegs seien als früher. Entsprechend betonen sie, dass die SBB beim Unglück im Gotthard noch Glück hatte. Denn wenn das Rad eines Güterzuges auf offener Strecke oder in einem Bahnhof breche, oder in einem Tunnel mit Gegenverkehr, dann wäre mit Dutzenden von Toten zu rechnen.
Dieses Risiko ist gemäss den Experten gross: Denn die Bremstypen von Güterwagen seien weit verbreitet: nämlich Bremsklötze, wie seinerzeit bereits Pferdekutschen zum Stillstand gebracht wurden. Im Gegensatz dazu stehen bei Eisenbahnwagen für Personen längst Scheibenbremsen im Einsatz.*
Entsprechend kommt SRF in seinem Beitrag zum Schluss, dass es sich beim Unglück im Gotthard-Basistunnel mit dem Güterzug nicht um eine Verkettung unglücklicher Umstände handeln konnte, sondern dass es ein Unglück mit Ansage war. Und sich dieses jederzeit wiederholen kann.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, das Risiko eines Radbruchs auf offener Strecke sei nicht nur für die SBB, sondern für alle Bahnunternehmen vorhanden. Die SBB legt wert darauf, dass es in der Schweiz die erwähnten Klotzbremsen (LL-Sohlen) praktisch nicht gebe. Die SBB haben keine solchen Bremssohlen. Wir bitten um Entschuldigung für den Fehler.
An der Infrastruktur können wir was das angeht wenig verbessern. Man kann hier nur mit strengerer Regulierung auf europäischer Ebene etwas erreichen.