Das Cargo-Geschäft der SBB im Inland harzt. Im vergangenen Jahr fuhr der Geschäftsbereich ein Minus von 33 Millionen Franken heraus. Nur dank einer Geldspritze der öffentlichen Hand gelangte der Schienengüterverkehr noch knapp in die schwarzen Zahlen.
Besserung ist kurzfristig keine in Sicht. Im Kleingedruckten des aktuellen Geschäftsberichts heisst es, man stehe vor «grossen Herausforderungen», da die Fixkosten hoch und die Konkurrenz auf der Strasse gross sei. Zwar zeigt sich der Verwaltungsrat überzeugt, dass die Cargo für die Erreichung der Klimaziele sowie für die Landesversorgung einen Beitrag leisten kann.
Aus eigener Kraft scheint das Ziel für SBB Cargo aber nicht mehr erreichbar. Denn bereits plant das Management mit staatlichen Unterstützungsgeldern, wie es im Bericht weiter heisst. Gleichzeitig drängt die finanzielle Lage die SBB nun dazu, die Effizienz im Güterverkehr zu steigern.
Wie dies funktionieren soll, zeigte die Bahn am Mittwoch am Basler Rangierbahnhof und stellte die sogenannte Digitale Automatische Kupplung vor. Erstmals ist so ein gesamter Zugverbund digital miteinander verbunden. «Mit der Digitalen Automatischen Kupplung sollen Güterwagen sowie deren Strom-, Daten- und Druckluftleitungen automatisch und ohne schwere körperliche Arbeit miteinander gekuppelt werden», so die SBB.
Die Bundesbahn testet das System, das europaweit bis 2030 eingeführt werden soll, im März auf ihrem Netz. Längerfristig wollen die SBB damit eine schnellere und günstigere Zustellung der Güter erreichen.
Dies ist jedoch nur der Anfang. Vor wenigen Tagen haben die SBB auf der Ausschreibungsplattform des Bundes die Industrie angefragt, welche Technologien für weitergehende Automatisierungen verfügbar sind. In einem sogenannten Request of Information schreiben die SBB, man prüfe derzeit die Möglichkeit, «schrittweise die Fahrzeugflotte in verschiedenen Teilbereichen der Bahnproduktion zu (teil-)automatisieren».
Zu den Anwendungsgebieten gehören der «Abstellprozess, der Rangierbereich oder der Einsatz bei Baustellen- und Unterhaltsfahrzeugen». Die Technologie, die die SBB verlangen, geht bis hin zum höchsten Automatisierungsgrad, der sogenannten Grade of Automation 4 (GoA). Dabei befindet sich kein Personal mehr im Zug und der Betrieb ist vollständig automatisiert. Nun können Anbieter der SBB ihre Lösungen vorstellen.
«Den grössten Kundennutzen sehen die SBB derzeit in Warn-Assistenzsystemen für das Rangieren, damit die Anzahl von Ereignissen reduziert und somit Einschränkungen bei unseren Kunden vermieden werden können», sagt SBB-Sprecher Martin Meier. Das System soll demnach Daten zu Signalen, Tafeln, Hindernissen im Fahrweg oder Weichenstellung liefern und den Lokführer unterstützen. Das Ziel: weniger Verzögerungen durch menschliche Fehler, mehr Pünktlichkeit bei den Güterzustellungen. Die Pünktlichkeit bei Cargo hatte zuletzt gelitten; im Geschäftsbericht 2021 beurteilten die SBB diese als «nicht zufriedenstellend».
SBB Cargo arbeitet bereits seit mehreren Jahren auf den «Ein-Personen-Betrieb» hin. Das heisst, dass ein Mitarbeiter allein ein Rangiermanöver mit Hilfe verschiedener technischer Hilfsmittel durchführen kann. Damit dürfte auch Personal eingespart werden.
Fallen mit der angestrebten Vollautomatisierung bei gewissen Rangierarbeiten also künftig noch mehr Stellen weg? Philipp Hadorn, Leiter Team Cargo bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, sagt: «Die bestehenden Mitarbeitenden müssen die SBB behalten und für allenfalls neue Aufgaben weiterbilden. Das wird selbst von der Unternehmung nicht bestritten, denn auf dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt gilt es, zum Personal Sorge zu tragen.»
Da die Belegschaft im Cargo-Bereich ein hohes Durchschnittsalter aufweist und viele Pensionierungen anstehen, zeigt sich Hadorn aber offen dafür, die frei werdenden Stellen für zukunftsfähigere Job-Profile zur Verfügung zu stellen.
Er sieht fürs Personal auch die Chancen der Automatisierung: «Sie kann körperliche Belastungen und Risikosituationen reduzieren und dafür sorgen, dass die Arbeit einfacher und effizienter wird», sagt Hadorn. Dennoch sei ein überstürztes Vorgehen nicht zielführend. Einerseits müssten sich die SBB darauf einstellen, dass die Technik nicht immer alle sehr hohen Erwartungen erfüllen könne. «Es braucht daher immer einen Plan B, auf den man zurückgreifen kann.»
Andererseits müssten die Projekte in Ruhe getestet und erst dann ausgerollt werden. «Ansonsten ist ein Scheitern vorprogrammiert.» Im Moment gelte es allerdings, die neue Strategie des Bundesrates abzuwarten und jetzt keine voreiligen Schlüsse zu ziehen oder gar falsche Weichen zu stellen, meint Hadorn.
Während beim Schienengüterverkehr die Bahn die Automatisierung vorantreibt, steht sie beim Personenverkehr noch auf die Bremse. Anders die Konkurrenz im Ausland: Die französische Bahn SNCF möchte beispielsweise bis 2025 erste Züge ohne Lokführer einsetzen. Für die Schweiz ist das derzeit kein Thema. Das entsprechende Projekt wurde vor zwei Jahren zurückgestellt.
«Selbstfahrende Fahrzeuge haben bei den SBB aktuell keine Priorität. Die SBB fokussieren sich auf das Kerngeschäft, das heisst auf ein sicheres, pünktliches und sauberes Angebot für unsere Kundinnen und Kunden», sagt Sprecher Martin Meier. Er betont, dass die Bahn bei der Automatisierung des Schienengüterverkehrs lediglich die internationalen Standardisierungen in Abstimmung mit dem Bundesamt für Verkehr verfolge – und als Ergänzung bei der Industrie Informationen zum technischen Stand einhole. (aargauerzeitung.ch)