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Entgleisung im Gotthardtunnel: Bund warnte vor Schäden an Güterzügen

Entgleisung im Gotthardtunnel: Bund warnte laut Recherchen vor Schäden an Güterzügen

In einem Bericht von 2019 hielt das Bundesamt für Verkehr fest, dass die Qualität der Güterzüge nicht genügend sei. Das Amt verwies unter anderem auf «Mängel an den Rädern». Vor fünf Tagen entgleiste ein Zug im Gotthard-Basistunnel, nachdem an einem Wagen eine Radscheibe gebrochen war.
15.08.2023, 06:35
Francesco Benini / ch media
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Das «angestrebte Sicherheitsniveau» werde bei Güterzügen «noch nicht erreicht.» Das stellte das Bundesamt für Verkehr 2019 fest, nachdem es Betriebskontrollen durchgeführt hatte.

Rudolf Buechi, Stv. Leiter Infrastruktur SBB, informiert an einer Medienkonferenz ueber die aktuelle Situation und Auswirkungen fuer den Personen- und den Gueterverkehr am Gotthard-Basistunnel. Aufgru ...
Rudolf Büchi, Stv. Leiter Infrastruktur SBB, vor einem Bild des defekten Zugrads.Bild: keystone

Das Bundesamt schrieb in einem Bericht: Die Qualitätsansprüche, welche sich die Branche selber gesetzt und in einem europaweit anwendbaren Vertrag festgehalten habe, würden zu einem beträchtlichen Teil nicht erreicht.

Konkret hielt das Amt fest, dass es bei den Kontrollen der Züge unter anderem «mangelhafte Bremssohlen» entdeckt habe, «Löcher in Planen der Ladeeinheiten» sowie «Mängel an den Rädern». Letzteres ist von besonderem Interesse: Am vergangenen Donnerstag entgleiste im Gotthard-Basistunnel ein Güterzug. An einem Wagen war ein Rad defekt - es brach. Der Zug fuhr einige Kilometer weiter, bevor er nach einer Weiche auf der Tessiner Seite des Tunnels entgleiste.

«Ungenügende Abläufe in den Verladeterminals»

Das Bundesamt für Verkehr moniert «Mängel an Rädern», dann verunfallt ein Güterzug wegen eines Radscheibenbruchs und bringt den Verkehr im Basistunnel während Tagen zum Stillstand. Mark Siegenthaler, Sprecher des Amtes, erklärt auf Anfrage, die damals festgestellten Defizite hätten «Schäden an den Laufflächen» betroffen.

Nach den unbefriedigenden Ergebnissen der Betriebskontrollen kündigte das Bundesamt 2019 an, dass es die Zusammenarbeit mit ausländischen Aufsichtsbehörden verstärken werde. Rund zwei Drittel des Güterverkehrs ist im Transit durch die Schweiz unterwegs. 2020 kritisierte das Amt erneut, dass die Transport- und Logistikbranche ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht habe. «Die Ursachen für viele der festgestellten Mängel liegen bei ungenügenden Abläufen in Verladeterminals im Norden oder Süden der Alpen oder bei Zwischenstationen im Ausland.»

Der Güterzug, der vergangene Woche im Gotthardtunnel entgleiste, war offenbar von Italien nach Deutschland unterwegs. Es stellen sich jetzt folgende Fragen: Welches Unternehmen führte den Zug? Wer ist der Halter des Wagens, an dem ein Rad brach? Und: Wann wurde der verunfallte Wagen letztmals gewartet, und wo? Christoph Kupper von der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle liefert keine Antworten. Er erklärt das damit, dass die Staatsanwaltschaft Tessin eine Untersuchung führe.

Die SBB warteten am Montagabend mit einer weiteren schlechten Nachricht auf: Der Plan, den 57 Kilometer langen Tunnel zwischen Erstfeld und Bodio am Mittwoch wieder zu eröffnen, hat sich zerschlagen. Von den 30 Wagen des Güterzuges waren 25 entgleist; 16 sind noch immer an der Unfallstelle.

Eine vollständige Übersicht über das Ausmass der Schäden am Tunnel liegt nach Angaben der SBB noch nicht vor. Darum sei eine Prognose, wie lange die Behebung dauern werde, nicht möglich. Die Bundesbahnen hatten zunächst geprüft, die zweite, unbeschädigte Tunnelröhre ab Dienstag für Güterzüge zu öffnen. Dies ist aber nicht möglich. Damit der intakte Teil des Tunnels wieder in Betrieb genommen werden könne, müsse die Luftzirkulation zwischen den beiden Röhren getrennt werden. Nur so sei die Sicherheit der Einsatzkräfte an der Unfallstelle gewährleistet.

Ausweichroute am Limit: Güterzüge im Ausland blockiert

Der Personenverkehr wird nun auf der alten Gotthardstrecke geführt, was die Reisezeiten im Inland um eine Stunde und international um bis zu zwei Stunden verlängert. Der kombinierte Güterverkehr mit Container und Lastwagen kann nicht über die alte Route geführt werden, weil die Tunnels dort nicht hoch genug sind.

Nun weicht ein Teil des Güterverkehrs auf die Lötschberg-Simplon-Achse aus, ein anderer Teil versucht, Kapazitäten auf der Strasse zu nutzen – aber das genügt nicht. Die SBB schreiben: «Zahlreiche Güterzüge sind im In- und Ausland abgestellt. Die Kapazitäten in der Schweiz sind inzwischen erschöpft.» Der Güterverkehr ist nun also teilweise blockiert. Und wann der Basistunnel wieder freigegeben wird, steht nicht fest. Die SBB haben für Mittwoch neue Informationen angekündigt.

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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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eupho
15.08.2023 10:05registriert März 2017
Mit der von Verkehrsminister Rösti angepeilten Privatisierung unserer Eisenbahn werden dann ja solche Zustände endgültig der Vergangenheit angehören.
2310
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Schneider Alex
15.08.2023 06:46registriert Februar 2014
Visiteure warnen schon lange vor Schäden an den Güterwagen. Die Kontrollen wurden von den SBB seit Jahren reduziert.
2012
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