In den ersten Kantonen ist es bereits am Montag so weit, in anderen müssen sich die Kinder noch etwas gedulden, bis sie sich – ausgerüstet mit Rucksack und Znüni – auf den Weg in die Schule machen dürfen. Ein besonderer Tag für viele Kinder, Eltern und Lehrpersonen.
Und die Schülerschar wächst. In der obligatorischen Schule stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler zwischen 2010/11 und 2020/21 um 6.9 Prozent auf 976’000 Kinder und Jugendliche. Aufgrund der demografischen Entwicklung kann man davon ausgehen, dass dieser Trend anhält. In Kombination mit der Integration ukrainischer Kinder in den Unterricht dürften die Schulen heuer erstmals rund eine Million Lernende verzeichnen. Die tatsächlichen Schülerzahlen publiziert der Bund immer erst mit einiger Verzögerung.
Doch schon jetzt ist klar: Die steigenden Schülerzahlen verstärken viele bereits dagewesene Probleme im Schweizer Schulsystem. Was sind nebst dem noch immer präsenten Coronavirus die grössten Herausforderungen?
Es fehlt der Schweiz an Lehrerinnen und Lehrern. Noch immer sind mancherorts Jobs ausgeschrieben. «Es gibt einige Schulen, denen es nicht gelungen ist, ihre offenen Stellen bis zu den Sommerferien mit qualifizierten Personen zu besetzen», sagt Thomas Minder, Präsident des Verbands der Schweizer Schulleiterinnen und Schulleiter. Er nennt den Lehrermangel als «die grösste Herausforderung im Schweizer Bildungssystem». Dennoch werde zum Schulbeginn «keine Klasse ohne Lehrperson» dastehen, sagt Minder. Viel eher würden die Schulleitungen die Klassen vergrössern oder Personal ohne entsprechende Ausbildung einstellen.
Der Lehrermangel ist kein neues Problem. Viel eher haben «die Schulen seit Jahren zunehmend Mühe, Stellen zu besetzen», schreibt Christian Hugi vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz in einem kürzlich erschienen Blogbeitrag auf der Internetplattform des Verbands. Doch momentan ist die Situation besonders prekär. Es sei herausfordernder als in anderen Jahren gewesen, die Stellen zu besetzen, heisst es etwa aus Basel-Stadt.
Einige Kantone haben deshalb entschieden, auch weniger gut ausgebildete Lehrpersonen einzustellen. So dürfen heuer beispielsweise im Kanton Zürich auch Personen ohne Lehrdiplom unterrichten – allerdings maximal für die Dauer eines Schuljahres. Sie sollen mittels einer Schnellbleiche in Form eines Intensivkurses auf die Lehrtätigkeit vorbereitet werden. Dass darunter die Qualität leiden wird, ist für Pädagoge Hugi klar. Er stellt in seinem Blog nüchtern fest:
Die Meldungen gleichen sich: Luzern will das Schulhaus Littau Dorf vergrössern, die Aargauer Gemeinde Widen plant ein neues Schulhaus sowie eine Doppelturnhalle und beim St.Galler Schulhaus Boppartshof soll ein Neubau für die Tagesbetreuung entstehen.
Wegen der steigenden Schülerzahlen braucht es mehr Schulzimmer, mehr Turnhallen, mehr Garderoben, mehr Platz für Mittagstisch und Betreuung. Allein in der Stadt Zürich sind derzeit 25 Schulraum-Grossprojekte in Planung, Projektierung oder Bau, wie es bei der zuständigen Behörde heisst.
Gefordert sind vor allem die Gemeinden. Sie müssen dafür sorgen, dass genügend Schulraum zur Verfügung steht. Wie Schulleiter Thomas Minder sagt, ist die Bereitstellung der Infrastruktur aber glücklicherweise «eine Entwicklung, die sich antizipieren lässt». Werden im Jahr X viele Kinder geboren, kann die Schulgemeinde davon ausgehen, dass es vier Jahre später zu einem Wachstum bei den Schülerzahlen kommt. «Diese Zeit reicht aus, um neue Schulhäuser zu planen oder zumindest Container-Bauten zu erstellen», so Minder.
Denn von der Planung bis hin zur ersten Schulstunde dauert es. Das zeigt sich exemplarisch etwa im Aargau: Die Zahl der Mittelschülerinnen und -schüler soll gemäss Prognosen bis 2045 um 31 Prozent steigen. Deshalb sind zwei neue Kantonsschulen geplant. Der Grundsatzentscheid dafür fiel 2019, die neuen Standorte sollen 2029 und 2031 ihre Türen öffnen.
Unter den ukrainischen Flüchtlingen sind viele Kinder und Jugendliche. Rund 15'000 Geflüchtete mit Schutzstatus S sind in der Altersgruppe 4–15 Jahre, wie aus einer Statistik des Staatssekretariat für Migration hervorgeht. Die Kinder sollen in die Regelklassen integriert werden. «Das dürfte vor allem für jene Klassen schwierig werden, die ohnehin bereits sehr gross sind», so Thomas Minder. Je mehr Parallelklassen eine Schule habe, desto einfacher sei die Verteilung auf die Klassen. Gleichzeitig mahnt Minder davor, die Integration der ukrainischen Flüchtlinge als Ausnahme zu deklarieren:
Das funktioniere gut, heisst es beispielsweise aus dem Kanton St.Gallen: «Die Kinder aus der Ukraine konnten gut integriert werden, teilweise sind auch Familien wieder zurückgekehrt.»
Die integrative Förderung wird an Schweizer Schulen grossgeschrieben. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen in die Regelklassen zu integrieren. So nehmen beispielsweise Kinder mit Lernschwierigkeiten, Konzentrationsstörungen oder ADHS am regulären Unterricht teil, werden allerdings von Förderlehrpersonen begleitet und unterstützt. Während diverse Studien die Vorteile dieser Unterrichtsform hervorheben, wird in der Praxis regelmässig Kritik laut an der integrativen Förderung. Sie führe zu einer Überlastung der Lehrpersonen und habe teils negative Effekte auf den Klassenverband. Die Herausforderung, allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, ist umso grösser, wenn die Bedingungen nicht ideal sind – etwa, weil die Klasse sehr gross ist.
Im Kanton Basel-Stadt wird nun über ein Ende des integrativen Schulmodells nachgedacht. Aktuell sammelt ein Komitee des Verbands der Basler Lehrpersonen – die sogenannte Freiwillige Schulsynode Basel – Unterschriften für eine Initiative, welche verlangt, dass «wieder heilpädagogisch geführte Schulklassen eingeführt werden». Dabei sollen verhaltensauffällige Kinder, die kleinere Lerngruppen benötigen, in separierten Sonderklassen unterrichtet werden. Die Unterschriftensammlung läuft noch bis im Juli 2023. Klar ist schon jetzt: Sollte die Initiative zu Stande kommen und angenommen werden, wäre die Signalwirkung für andere Kantone gross.
Wie viele Schülerinnen und Schüler Unterstützung brauchen, erheben nicht alle Kantone. Daten liefert Luzern: Im vergangenen Schuljahr erhielten dort 3.6 Prozent eine Sonderschulung, entweder innerhalb der Regelklasse oder an einer Heilpädagogischen Schule. 19.9 Prozent der Kinder profitierten vom Angebot Deutsch als Zweitsprache. Beide Quoten sind in den letzten Jahren gestiegen.
Thomas Meyer, Bildungsforscher an der Universität Bern, sieht «noch viel Luft nach oben» bei der Bildungsgerechtigkeit. Noch immer behindere «das enge, wenig durchlässige Bildungssystem der Schweiz die Chancengleichheit». Besonders stark betroffen seien Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I, so Meyer:
Das führe oft dazu, dass Jugendliche ihr Bildungspotenzial nicht ausschöpfen können. Meyer ist es deshalb ein dringendes Anliegen, dass die Oberstufe durchlässiger wird und damit der individuellen Entwicklung der Jugendlichen besser Rechnung trägt. (aargauerzeitung.ch)
Nach dem Studium an der PH war ich superoptimistisch. Das tönt alles so gut, und all die Studien versprechen Wunder.
Nun, nach ein paar Jahren in der Praxis bin ich desillusioniert.
Ich verstehe alle Eltern die wollen, dass ihre Kinder die "normale" Schule besuchen. Nur: die Zechen bezahlen die Mitschüler und, in erster Linie, die Lerhpersonen.
Früher war Lehrer auch eine Option für mich. Wenn ich heute bei meiner Freundin sehe, was von einer Primarlehrperson erwartet wird, bin ich froh, es nicht gemacht zu haben. Geld ist zwar nicht alles leben, aber es gibt definitiv einfachere/dankbarere Wege sein Geld zu verdienen.