Da 34-jährige Frau hat die Berufsmatura im Sack und arbeitet als Klassenassistentin in einer Schule. Die zweifache Mutter würde gerne die vollwertige, dreijährige Ausbildung zur Primarlehrerin an einer Pädagogischen Hochschule (PH) in Angriff nehmen. Doch für die Zulassung muss sie zuerst eine Prüfung absolvieren. Und dafür wiederum einen einjährigen Vorkurs. Dieser ist zwar bei den meisten PH nicht obligatorisch. Laut Angaben der PH rasselt aber fast die Hälfte der Kandidierenden, die ohne Vorkurs antreten, durch den Test. Gemäss dem Bundesgesetz zur Hochschulbildung berechtigt nur die gymnasiale Matura oder eine Fachmatura mit pädagogischer Ausrichtung zur prüfungsfreien Aufnahme eines PH-Studiums.
Simon Stadler will das ändern. Der Urner Mitte-Nationalrat hat nach einer Maurerlehre die Berufsmatura gemacht und danach das Lehrerdiplom erworben - inklusive Vorbereitungskurs und Zulassungsprüfung als Zusatzschlaufe. Stadler findet das unnötig. Er ist die treibende Kraft hinter einem Vorstoss, mit dem die Zulassungsprüfung abgeschafft werden soll. Der Nationalrat hiess die Motion in der Frühlingssession mit 122 zu 41 Stimmen klar gut.
Die eingangs erwähnte Frau ist nicht die einzige, die Stadler zu diesem Erfolg gratuliert hat. Er erhielt ungewöhnlich viele Reaktionen von Berufsmaturanden, die wegen der Zulassungshürden vom PH-Studium absehen. In einer Gesetzesänderung ortet er deshalb viel Potenzial, auch wenn er weiss: Sein Vorschlag ist nur ein Puzzleteil im Kampf gegen den Lehrermangel. Gemäss dem Bundesamt für Statistik benötigten allein die Primarschulen von 2022 bis 2031 zwischen 43'000 und 47'000 neue Lehrkräfte. In diesem Zeitraum, so die Statistiker, dürften die PH aber nur etwa 34'000 neue Diplome ausstellen.
Derzeit hat jeder zehnte PH-Studierende die Berufsmatura. Stadler stört sich daran, dass derzeit «unausgebildete Leute von der Strasse geholt und als Lehrerinnen oder Lehrer angestellt» habe, während Berufsmaturanden Steine in den Weg gelegt würden.
Trotz der deutlichen Zustimmung im Nationalrat steht die Reform auf der Kippe. Am Mittwoch entscheidet der Ständerat. Die vorberatende Kommission hat sie Ende März mit 8 zu 3 Stimmen abgelehnt. Sie argumentiert, im schlimmsten Fall könne die Motion sogar ein Überangebot an Lehrkräften generieren, denn der Lehrermangel unterliege Zyklen. Zudem nähmen viele Berufsmaturanden trotz Passerelle mit Vorkurs und Zugangsprüfung ein PH-Studium in Angriff.
Weshalb ticken Bildungspolitiker in der Kleinen Kammer anders als im Nationalrat? Maya Graf, grüne Ständerätin aus dem Kanton Basel-Landschaft, gehört zur Minderheit, die Stadlers Anliegen unterstützt. Sie berichtet von einem intensiven Lobbying gegen den prüfungsfreien Zugang. Tatsächlich haben die Gegner auf breiter Front mobil gemacht.
Am 14. März schaltete die Kammer Pädagogische Hochschulen von Swissuniversities, der Dachorganisation der Schweizer Hochschulen, ein Positionspapier gegen die Pläne des Nationalrats auf. Der Tenor: Die PH warnen, der prüfungsfreie Zugang von Berufsmaturanden könnte sich negativ auf die Qualität des Studiums und damit längerfristig auf die Unterrichtsqualität auswirken. Ohne Zulassungstest sei zu erwarten, dass zunehmend kognitiv schwächere Berufsmaturanden ein PH-Studium in Angriff nähmen. Ähnlich tönt es in einem Brief, den die Schweizerische Gesellschaft für Lehrerinnen- und Lehrerbildung an die Ständeräte adressierte. Auch der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz bat die Kleine Kammer, den Vorstoss abzulehnen.
Stadler kontert solche Einwände unter anderem mit einem Verweis auf den aktuellen Bildungsbericht von Bund und Kantonen. Dieser zeigt, dass Berufsmaturanden beim Pisatest in Lesen und Mathematik besser abgeschnitten haben als Personen mit Fachmatura. Stadler versucht mit Maya Graf, bis am Mittwoch noch möglichst viele Ständerätinnen und Ständeräte zu überzeugen. Die Vorbehalte seien unverständlich, «denn gerade Personen mit Berufsmatura gehören zu den leistungsstärksten Jugendlichen und haben eine breite Lebenserfahrung». Graf fragt sich, weshalb gerade hier die angestrebte Durchlässigkeit im Bildungssystem nicht gewährt werde?
Ich denke eher, für die "Alteingessenen" ist es ein Problem, wenn zu viel fremde Mentalität und Erfahrung aus anderen Wirtschaftszweigen "importiert" würde...