Der FDP-Bundesrat drückt aufs Tempo. Zehn Monate Zeit habe die Schweiz, um Brüssel ein erfolgreiches Ergebnis in den Verhandlungen um ein Rahmenabkommen abzuringen. Danach folgt mit den EU-Parlamentswahlen im Jahr 2019 der politische Stillstand. Mit den Wahlen neigt sich auch die Amtszeit von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem Ende zu.
Die Schweizer Regierung will unbedingt vorher eine Lösung herbeiführen. Denn trotz dem jüngsten Tiefschlag im Verhältnis zwischen Bern und Brüssel (befristete Anerkennung der Schweizer Börse) wird dem Luxemburger Juncker der Wille zu einer guten Lösung mit der Schweiz nachgesagt.
Cassis unterstreicht aber zugleich: «Inhalt kommt vor Tempo.» Nur, weil der Bundesrat ein Rahmenabkommen wolle, bedeute das nicht, dass er alles unterzeichnen würde: «Aussenpolitik ist Innenpolitik.» Ein Abkommen könne noch so gut sein, wenn es innenpolitisch nicht getragen werde, komme man nirgends hin. Das Ziel der Verhandlungen gibt Cassis so vor: «Grösstmöglicher Marktzugang mit grösstmöglicher Eigenständigkeit.» Konkreter wird er nicht.
Mehrere «Reset»-Knöpfe
Nicht einen, sondern gleich mehrere «Reset»-Knöpfe will Cassis in den Tiefen des Aussenministeriums gefunden haben: Der Bundesrat müsse zuerst «schwarz auf weiss» festlegen, in welchen Bereichen er die Integration mit der EU verstärken wolle. «Welche Marktzugangsabkommen wollen wir?» Im Blindflug können seine Unterhändler in der EU-Hauptstadt nichts erreichen.
Diese Frage will die Regierung an ihrer Klausur am 21. Februar klären. Weiter will Cassis den Verhandlungsführern mehr Flexibilität geben. Mit Kreuzverhandlungen zu verschiedenen Marktzugangsabkommen soll die Verhandlungsmasse erhöht werden – eine Strategie, die bereits bei den Verhandlungen zu den Bilateralen I und II zum Erfolg geführt habe.
Vertrackt sind die Verhandlungen vor allem deshalb, weil beim Thema Streitbeilegung bisher keine Einigung erzielt werden konnte. Die EU fordert eine Instanz, welche bei Streit entscheidet. «Fremde Richter» gelten innenpolitisch aber als No-Go. Juncker hat bei seinem Besuch im November Entgegenkommen signalisiert.
Statt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) soll ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht zum Einsatz kommen, wenn es bei der Anwendung der Bilateralen Streit gibt. «Wir sind bereit, solche neue Ansätze zu prüfen», sagt Cassis.
Das neue Zauberwort
Von den «fremden Richtern» will der Aussenminister wegkommen und den Marktzugang in den Vordergrund rücken. Er betont, dass der Wohlstand des Landes vom Zugang zum europäischen Binnenmarkt abhängt. Dieser umfasse 500 Millionen Bürger und generiere einen Umsatz von 1.5 Milliarden Franken pro Tag. Das Rahmenabkommen als solches sei kein Ziel, sondern ein Mittel, um den Marktzugang abzusichern.
An dieser Stelle besinnt sich Ignazio Cassis wieder auf seine Rolle als General und appelliert sogar an die patriotischen Gefühle der Journalisten: Sie sollen in ihrer Berichterstattung auf die Interessen des Landes Rücksicht nehmen: «Wenn jede kleinste Spekulation medial ausgeschlachtet wird, schwächt dies die Verhandlungsposition.» Merke: Schuld an der Kakofonie in der Europapolitik tragen offenbar die Journalisten.
Die Reaktionen folgten postwendend: SP-Fraktionschef Roger Nordmann findet in einer Medienmitteilung, es müsse nun schnell gehen. «Das Zeitfenster schliesst sich mit dem nahenden Brexit und den europäischen Wahlen 2019 rasch.» Darum müsse sich der Bundesrat bezüglich Vertragsinhalt und Verhandlungsstrategie einig werden und die Gespräche mit der EU vorantreiben.
«Cassis enttäuscht weiter», schreibt demgegenüber der St. Galler SVP-Nationalrat Lukas Reimann auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Er liefere null Inhalt nach dem Motto: «Wenn es klappt, klappt es. Wenn es nicht klappt, klappe es nicht.»