Seit Jahren werfen Kritiker dem Bund vor, die Methoden zur Berechnung einer IV-Rente führten zu tiefen Auszahlungen und zu knapp bemessenen Eingliederungsmassnahmen. Bereits die Grundannahme gilt als unrealistisch: Dass nämlich eine Person mit Einschränkungen den gleichen Lohn verdienen kann wie eine voll leistungsfähige Person - einfach zu einem reduzierten Pensum. Mehrere Studien belegen, dass der Lohn von behinderten Personen deutlich tiefer liegt als im Durchschnitt. Gemäss einer Studie des Büro Bass liegen die Einkommen rund zehn Prozent darunter.
Besonders Personen, bei denen der Lohn vor und nach der Invalidität nicht vergleichbar ist, sind benachteiligt. Das Parlament verlangte mehrfach, die entsprechende Verordnung und die Lohntabellen zu ändern. Noch vor einem Jahr verteidigte das Bundesamt für Sozialversicherungen die bisherige Berechnungsmethode - und wollte auch auf einen Protestbrief aus dem Parlament nicht reagieren. Die Begründung: Die IV soll nicht zur Ersatzkasse der Arbeitslosenversicherung werden. Zudem habe die IV-Revision ab 2022 Verbesserungen gebracht und die geforderte Anpassung würde den Bund mit 200 bis 300 Millionen Franken zusätzlich belasten.
Das Parlament legte nach und verlangte die Anpassung der Berechnung der IV-Renten nach realistischen Einkommensmöglichkeiten. Diese Forderung setzt der Bundesrat nun um, indem er bei der Berechnung der hypothetischen Löhne pauschal zehn Prozent abzieht. Durch diesen Kniff wird der IV-Grad erhöht, was für die Betroffenen direkt zu einer höheren Rente führt. Je nach (theoretischem) Einkommen kann die Rente um mehrere tausend Franken pro Jahr steigen.
Den eher grobschlächtigen Ansatz rechtfertigt die Regierung mit der vom Parlament verlangten Dringlichkeit der Änderung: Die rasche Erarbeitung neuer, invaliditätskonformer Lohntabellen erweise sich als «kompliziert und zeitaufwendig», schreibt der Bundesrat in einer Mitteilung.
Er hat aber auch Vorteile, wie im erläuternden Bericht zu erfahren ist. Denn der einheitliche Abzug ist für alle Versicherten gleich - unabhängig von der gesundheitlichen Einschränkung - ob körperlich, psychisch oder kognitiv. Zudem korrigiere der Abzug die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, wie die Parlamentarier es forderten.
Für den Bund kommen geschätzt 85 Millionen Franken an Mehrkosten hinzu. Dies nicht nur über die Aufbesserung der Renten allgemein. Auch die Anzahl der Betroffenen wird durch den Kniff erhöht, weil Renten erst ab einem IV-Grad von 40 Prozent gesprochen werden. Wenn bei einer Neuberechnung des möglichen Einkommens der IV-Grad bei 40 Prozent oder darüber liegt, könnte neu ein positiver Rentenentscheid resultieren. (aargauerzeitung.ch)