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Sozialhilfe

Sozialhilfe wegen verweigerter Begutachtung zu Unrecht gestrichen

Sozialhilfe wegen verweigerter Begutachtung zu Unrecht gestrichen

18.07.2023, 12:0018.07.2023, 13:26
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Auch wenn sich eine Person bei der Klärung eines Anspruchs auf eine IV-Rente querstellt, darf ihr die Sozialhilfe nicht völlig gestrichen werden. Damit würde das Grundrecht auf Nothilfe verletzt. Dies hat das Bundesgericht im Fall eines Tessiners entschieden.

Sozialhilfe aargau, AZ

Der Mann war ab 2004 phasenweise immer wieder von der Sozialhilfe abhängig und erhielt insgesamt 307'000 Franken an Unterstützung. Das Amt für Sozialhilfe und Eingliederung des Kantons Tessin verweigerte 2021 die Ausrichtung von weiterer Hilfe. Dies geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts hervor.

Die Behörde begründete ihren Entscheid damit, dass sich der heute 49-Jährige bereits mehrmals einer psychiatrischen Begutachtung verweigert habe. Damit sollte geklärt werden, ob er Anspruch auf die Ausrichtung einer Invalidenrente hat. Weil die Sozialhilfe subsidiär sei, müsse sie nicht bezahlt werden, wenn Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen bestünden.

Auch Notbedarf verweigert

Das Bundesgericht hat die Beschwerde des Mannes teilweise gutgeheissen. Es führt aus, dass gemäss Bundesverfassung jede Person einen Anspruch auf Mittel habe, die für ein menschenwürdiges Dasein notwendig seien. Diese Nothilfe werde geleistet, wenn eine Person sich nicht selbst helfen und keine andere Hilfe rechtzeitig organisiert werden könne.

Vorliegend sei jegliche Sozialhilfe verweigert worden. Der Betroffene erhielt auch keinen Notbedarf für Nahrung, Unterkunft, Kleidung und medizinische Grundversorgung. Damit ist das in der Sozialhilfe geltende Subsidiaritätsprinzip laut Bundesgericht nicht korrekt angewendet und somit das Recht auf Nothilfe verletzt worden.

Dem Beschwerdeführer sei keine rechtzeitige und ausreichende andere Einkommensquelle zur Verfügung gestanden. Durch die verweigerte Begutachtung habe er zwar Abklärung eines Anspruchs auf eine IV-Rente verunmöglicht.

Dieser Anspruch sei bis zum Vorliegen eines Entscheids der IV-Behörden jedoch nur hypothetisch. Auch stehe die Höhe einer Rente bis dann nicht fest. Bis zum förmlichen Entscheid würde der Betroffene ohne Geld für die Bestreitung seines Lebensunterhalts dastehen.

Das Bundesgericht hat den Fall zurückgewiesen. Der Behörde würden zur Sanktionierung des Verhaltens des Mannes andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen. In diesem Sinne muss das Amt die Sache neu beurteilen. (Urteil 8C_717/2022 vom 7.6.2023) (saw/sda)

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