Schweiz
Sport

Sex mit minderjähriger Turnerin: Mildes Urteil für Trainer

Turn-Trainer für sexuelle Handlung mit Minderjähriger verurteilt – aber kein Berufsverbot

Weil sich die Ereignisse von 2012 und 2013 unter einer damals milderen Rechtssprechung abspielten, gibt es für den langjährigen STV-Funktionär keine Gefängnisstrafe und auch kein Tätigkeitsverbot. Dass er aber trotz Suspendierung im Turnsport weiterhin Trainings für Minderjährige anbietet, kam auch beim Richter nicht gut an.
10.07.2025, 07:3410.07.2025, 10:55
Rainer Sommerhalder
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Juristisch ist der Fall klar. Ein 41-jähriger Mann verübt mehrfach sexuelle Handlungen mit einem 15-jährigen Mädchen. Der Beschuldigte streitet das auch nicht ab. Das Bezirksgericht Winterthur verurteilt ihn deswegen am Mittwoch zu einer bedingten Geldstrafe von 280 Tagessätzen mit einem Totalbetrag von 33’600 Franken. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Emotional werden die Geschehnisse von 2012 auch durch die Tatsache, dass der heute 53-jährige Angeklagte als Lagerleiter und später Geräteturntrainer des minderjährigen Opfers Sina F. wirkte und beim Schweizerischen Turnverband STV als Trainerausbildner sowie als Wettkampfleiter ein angesehener Funktionär war. Und dass der Beschuldigte sich vor Gericht bei Sina F., welche den Prozess aus einem Nebenraum verfolgte, zwar entschuldigte und aussagte, dass es ihm sehr leidtue, die damaligen Vorfälle aber gleichwohl als «normale Liebesbeziehung auf Augenhöhe» bezeichnete. Einsicht fühlt sich anders an.

Der Trainer nutzte das Abhängigkeitsverhältnis der 15-jährigen Turnerin bewusst aus.
Der Trainer nutzte das Abhängigkeitsverhältnis der 15-jährigen Turnerin bewusst aus.Bild: Daniel Maurer / AP

Sina F. löste sich von dieser Beziehung erst nach sechs Jahren, als sie von einer Turnkollegin erfuhr, dass diese offensichtlich parallel zu ihr ebenfalls eine sexuelle Beziehung zum Trainer unterhielt. Sie war beim ersten sexuellen Kontakt 20-jährig, wie die NZZ schreibt, welche die Anklage vor einem Monat auf Basis der Untersuchungsakten publik machte.

Gegenüber der NZZ sagte Sina F. zu ihren Beweggründen für die Strafanzeige: «Ich will, dass er nicht einfach so weitermachen kann mit jungen Mädchen.» Genau deshalb beantragte die Staatsanwaltschaft auch ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot im Zusammenhang mit Minderjährigen.

Trainingsleiter umgeht die sportrechtliche Suspendierung

Der Trainer ist auch auf sportrechtlichem Weg seit September 2023 von Swiss Sport Integrity (SSI) vorläufig von allen sportbezogenen Funktionen suspendiert worden. Allerdings hatte die Ethikmeldestelle ein Jahr zuvor nach einer Meldung von Sina F. zuerst auf eine Untersuchung verzichtet, weil zum Zeitpunkt der Vorfälle das Ethikstatut im Schweizer Sport noch nicht in Kraft war. Erst nachdem das Opfer Strafanzeige eingereicht hatte, wurde auch SSI tätig.

Das strafrechtliche Tätigkeitsverbot war am Prozesstag der umstrittenste Strafantrag. Denn die verschärfte Regelung erhielt erst 2019 Rechtsgültigkeit. Zuvor kannte das Strafgesetzbuch lediglich ein sogenanntes «Berufsverbot», welches nur bei nachgewiesener Wiederholungsgefahr ausgesprochen wurde.

Der Beschuldigte verneinte jegliche pädophile Veranlagung und dass er für jugendliche Turnerinnen eine Gefahr darstelle. Die Ausführungen des Trainers über eine harmonische Liebesbeziehung und seine Ignoranz gegenüber der sportrechtlichen Suspendierung, indem er weiterhin wöchentliche Geräteturntrainings auch mit Minderjährigen auf privater Basis durchführt, lassen aber auch einen anderen Schluss zu.

Richter sieht keine Handhabe für Tätigkeitsverbot

Bezirksrichter Strebel sprach kein solches Berufsverbot aus, auch wenn er gleichzeitig die mangelnde Einsicht des Beschuldigten kritisierte, etwas Falsches getan zu haben. Ein Tätigkeitsverbot nach aktuellem Recht hätte er ausgesprochen, betonte Strebel, aber dazu fehle die rechtliche Handhabe. Mit der gleichen Argumentation wurde der Strafantrag der Staatsanwaltschaft nach einer 12-monatigen bedingten Gefängnisstrafe ebenfalls durch eine Geldstrafe ersetzt. So, wie es die zum Zeitpunkt des Vergehens gültigen, milderen Rechtsnormen vorsahen.

Sina F. betrieb seit früher Kindheit wettkampfmässig Turnsport. Sie gehörte im Nachwuchs-Geräteturnen zur nationalen Spitze. Als Teenager lernte sie im Sommer 2011 in einem Trainingslager in Tenero den besagten Lagerleiter kennen. Ihr imponierte sein Wissen und seine Ausstrahlung. Doch er wollte letztlich mehr als ihr Trainer sein. Es kam über Facebook und Whatsapp zum persönlichen Kontakt zum Mädchen. Private Themen verdrängten immer öfters turnerische Inputs und Diskussionen. Die Turnerin sagte gegenüber der NZZ: «Er war immer sehr einfühlsam und gab mir das Gefühl, einzigartig zu sein. Ich war emotional sehr abhängig von ihm.»

Aus immer intimeren Gesprächen entwickelte sich schliesslich die verbotene Beziehung. Im Alter von 15 Jahren und 8 Monaten kam es in seiner Wohnung erstmals zum Geschlechtsverkehr. Sina F. sagt rückblickend: «Ich war mir damals nicht bewusst, welchen Machtunterschied es zwischen uns gab.» Sechs Jahre lang dauerte diese sexuelle Beziehung im Geheimen – der Angeklagte lebte damals mit einer anderen Turnerin in einer festen Beziehung. Auch sie ist 16 Jahre jünger als er und war erst 17-jährig, als sie zu einem Paar wurden.

Tränen und Zwischenrufe im Gerichtssaal

Heute ist Sina F. 28 Jahre alt und arbeitet als Lehrerin. Dem Turnsport hat sie den Rücken gekehrt. Sie benötigte viele Jahre, um über diese Erfahrung hinwegzukommen und das eigene Schuldgefühl zu überwinden. Geholfen hat ihr eine Therapie. Doch noch immer belastet sie ein mit Ekel verbundenes sexuelles Trauma, wenn sie zurückblickt.

Auch die Gerichtsverhandlung, welcher Familienangehörige des Opfers, Vertreterinnen aus dem Turnsport sowie aus Opferhilfeorganisationen beiwohnten, wurde mehrfach emotional. Etwa, als der Beschuldigte zu Beginn die Beziehung zum 25 Jahre jüngeren Kind schilderte: «Wir haben uns beide verliebt. Ich war bereit, eine langfristige Beziehung zu ihr aufzubauen. Es hat nichts mit dem Turnen zu tun gehabt.» Angehörige von Sina F. verliessen weinend den Gerichtssaal.

Gar wütende Zwischenrufe gab es später, als die Anwältin des Angeklagten erklärte: «Die Vergangenheit wird durch das Opfer dämonisiert, anstatt sie zu verarbeiten. Indem sie noch mehr als Opfer hochstilisiert wird, tut man den Frauen keinen Dienst.»

Bezirksrichter Strebel teilte in seinem Schlusswort die Ansicht der Opferanwältin, die sagte, dass der Beschuldigte «die Problematik bis heute nicht einsieht und seine Verantwortung als Erwachsener verkennt». Und Strebel gab dem Geräteturntrainer eine Empfehlung mit auf den Weg: «Wenn Sie Sina wirklich etwas Gutes tun wollen, dann respektieren Sie ihren Wunsch und leiten nicht mehr Trainings mit jugendlichen Turnerinnen.» (aargauerzeitung.ch)

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66 Kommentare
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RichiZueri
10.07.2025 08:16registriert September 2019
Es ist mir eigentlich komplett egal, dass die damals 15-jährige es für ok hielt. Das Schutzalter gibt es insbesondere auch, weil in diesem Alter oft nicht nachhaltig entschieden wird. Der Mann gehört ins Gefängnis und sollte ein Berufsverbot erhalten. Alles andere ist ein Versagen von Justiz und Gesetzgebung.
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Mallory1507
10.07.2025 07:55registriert August 2024
Ich weiß gerade nicht, wer mich mehr anekelt.
Der Täter oder seine Verteidigerin?

Jedesmal wenn ich lese "Das war eine Beziehung auf Augenhöhe" oder "Sie wollte es doch auch" kommt mir das Essen hoch.

Und wenn dann Verteidiger dem Opfer auch noch die Schuld geben - dann gehe ich endgültig der Kloschüssel Bericht erstatten.

Dem Opfer alles Gute, was ich dem Täter wünsche schreibe ich lieber nicht...
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Ich mein ja nur
10.07.2025 08:36registriert September 2015
Man kann nur hoffen, dass die Eltern der Kinder Bescheid wissen, die er heute noch "trainieren" darf.
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