Schweiz
Tessin

Tessin publiziert Unwetter-Gefahrenkarte fürs Bavonatal: das wissen wir

Die Bavona im August 2024. Ein Jahr später sind die grössten Trümmer aus dem Flussbett entfernt worden. Kleinere Trümmerteile hingegen nicht.
Das Flussbett der Bavona im August 2024. Ein Jahr später sind die grössten Trümmerteile entfernt worden, kleinere (noch) nicht.Bild: watson

Ein Jahr nach der Unwetter-Katastrophe im Tessin – so geht es weiter

Das Tessiner Bau- und Umweltdepartement hat für das Bavonatal eine neue Gefahrenkarte erstellt. Und es gibt weitere Erkenntnisse zur Bewältigung der Unwetter-Katastrophe vom Sommer 2024.
09.07.2025, 19:2609.07.2025, 22:51
Mehr «Schweiz»

Gut ein Jahr nach der verheerenden Unwetter-Katastrophe, die im Lavizzara- und Bavonatal schwere Schäden anrichtete, haben die Tessiner Behörden am Dienstag eine neue Gefahrenkarte vorgestellt. Diese betrifft insbesondere gewisse Seitenbäche des Bavonatals und das damit verbundene Risiko von Murgängen.

In der Nacht vom 29. auf 30. Juni 2024 war es im Val Bavona, einem engen Seitental des Maggiatals, zu einem Murgang von historischem Ausmass gekommen. Schwere Niederschläge lösten eine Geröll- und Schlammlawine aus, die insgesamt fünf Todesopfer forderte.

Rund acht Steinhäuser (Rusticci) sowie Landwirtschaftsbauten und historische Bauwerke in den Weilern Fontana und Mondada wurden durch den Murgang zerstört, weitere zwölf in Mitleidenschaft gezogen.

Was hat es mit der Gefahrenkarte auf sich?

Die Gefahrenkarte zeigt laut den Behörden den Grad der Gefährdung für das untersuchte Gebiet im unteren Bavontal auf. Sie enthalte auch detaillierte Informationen über die Intensität und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von zukünftigen Murgängen.

Die neue, provisorische Murgang-Gefahrenkarte für Fontana und Mondada im Bavonatal (8. Juli 2025)
Die neue Murgang-Gefahrenkarte für Fontana und Mondada. Zerstörte und beschädigte Bauten sind eingekreist.quelle: Kanton Tessin

Zu den Gefahren-Graden wird erklärt:

  • Rot (erhöhtes Risiko): «Menschen sind in Gefahr. Plötzliche Zerstörung von Gebäuden ist wahrscheinlich.»
  • Blau (mittleres Risiko): «Die Gefahr für Menschen ist eher ausserhalb von Bauten, begrenzt innen. Mögliche Schäden an Gebäuden, aber keine Zerstörung, wenn die Bauvorschriften eingehalten werden.»
  • Gelb (tiefes Risiko): «Die Gefahr für Menschen ist gering. Leichte Schäden an Gebäuden oder einigen Hindernissen sind möglich.»
  • Hellgelb (geringes Risiko): «Gefahren, deren Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering ist, deren Intensität aber auch stark sein kann!»

Was hat zur Katastrophe geführt?

Bavonatal, Weiler Fontana und Mondada.
Blick talabwärts auf den Schuttkegel bei Fontana und Mondada.Screenshot: Google Earth

Laut Informationen des Tessiner Bau- und Umweltdepartements haben neben den starken Regenfällen über dem Einzugsgebiet des Larechia-Bachs weitere Faktoren zur Verschärfung der Lage beigetragen. Dazu zählten eine bedeutende Schneemenge im Bachbett sowie die gleichzeitige «Aktivierung» aller seitlichen Zuflüsse.

Ausserdem habe eine «besondere Geländekonfiguration» im oberen Bereich des Schwemmfächers zum Ereignis beigetragen, heisst es im Communiqué weiter. In dieser Zone habe ein massiver Felsblock (ca. 8000 Kubikmeter) die Dynamik des Ereignisses stark beeinflusst. Dieser habe als «Propfen» während mehrerer Jahrhunderte Tausende Kubikmeter Material zurückgehalten, bis er sich in der Katastrophennacht plötzlich löste.

Alle diese Elemente hätten zu einem deutlich höheren Abflussvolumen an Schlamm, Geröll und Felsen geführt, was die Flutwelle mächtiger gemacht und zu massiven Schäden im Unterlauf geführt habe.

  • Allein bei Fontana rutschen im Juni 2024 300'000 Kubikmeter Fels und Geröll ins Tal.
  • Die Hochwasserwelle erreichte eine Höhe von 30 bis 40 Meter über dem Flussbett und am Scheitelpunkt des Kegels einen Spitzenabfluss von 10'000 Kubikmeter Material – pro Sekunde.
  • Mehr als 800 Meter der einzigen befestigten Strasse, die durch das Bavonatal führt, wurden von Trümmern verschüttet oder beschädigt.

Wie häufig kommt so etwas vor?

Gemäss Informationen des Tessiner Umweltdepartements zeigte eine historische Recherche, dass der Larechia-Bach um 1400 oder 1500 vermutlich schon einmal ein ähnliches Ereignis verursachte.

Bavonatal, nach Murgang im Sommer 2024, massiver Fels bei Fontana.
Dieser Felsblock (ca. 8000 Kubikmeter) verschob sich im vergangenen Sommer plötzlich mehrere hundert Meter talabwärts.Bild: watson

Eine Katastrophe vom Ausmass wie in Fontana im Juni 2024 dürfte sich laut den Fachleuten höchstens alle 300 Jahre ereignen. Hingegen erreichten die Murgänge bei weiteren Bergbächen, die ins Bavonatal münden, nicht «das volle Potenzial». Dort sei in den nächsten 30 bis 100 Jahren mit neuen Ereignissen zu rechnen.

Wie geht es weiter?

In den kommenden Monaten werden die Gefahrenkarten der vier Bergbäche am linken Hang des Bavonatals um die Karte des Flusses Bavona ergänzt. Beide dienten als Grundlage für die Prüfung von Schutzmassnahmen für die heute gefährdeten Gebäude, heisst es.

Bezüglich der roten Zone wurde am Informationsanlass am Dienstagabend durch die Behörden erklärt, dass die Häuser in diesem Gebiet nicht mehr bewohnbar sein werden, auch nicht als Zweitwohnungen.

Eine Quelle präzisierte gegenüber watson:

«Das bedeutet nicht, dass der Besitzer nicht mehr dort wohnen kann, sofern das Haus nicht beschädigt wurde, sondern dass keine Arbeiten mehr durchgeführt werden können, um das Haus zu reparieren oder neu zu errichten. Auch mit einer Versicherung wird persönlich gehaftet.»

Wer bezahlt die Bewältigung der Katastrophe?

Der Wiederaufbau des oberen Maggiatals kostet insgesamt mindestens 80 Millionen Franken. Der Kanton Tessin übernimmt davon rund 50 Millionen Franken.

Nach der Katastrophe wurden insgesamt fünfzig grössere Naturereignisse (Murgänge, Uferabbrüche, kleinere Rutschungen) kartiert. Mehr als hundert Gebäude wurden beschädigt. Drei landwirtschaftliche Betriebe – zwei im Val di Peccia, einer im Val Bavona – wurden schwer beschädigt und sind derzeit nicht nutzbar.

An der Neugestaltung der zerstörten Kulturlandschaft soll sich die Bevölkerung beteiligen. Die Gemeinde Cevio hat dafür einen Mitwirkungsprozess lanciert.

Kanton Tessin muss tief ins Portemonnaie greifen
Die Tessiner Regierung hat Mitte Juni 2025 einen ersten Rahmenkredit in der Höhe von 25 Millionen Franken für den Wiederaufbau des durch das Unwetter vor einem Jahr stark getroffenen Maggiatals verabschiedet. Gut 13 Millionen Franken werden in Schutz- und Vorsorgemassnahmen gegen Naturgefahren auf den Kantonsstrassen investiert.

Die Kredite dieses ersten Pakets betreffen insbesondere jene Massnahmen, die in den Monaten unmittelbar nach dem aussergewöhnlichen Wetterereignis getroffen wurden, heisst es in der Botschaft der Regierung. So beteiligt sich der Kanton mit 3,5 Millionen Franken unter anderem an der Instandsetzung der vom Unwetter beschädigten Schutzbauten entlang der Wasserläufe im Maggiatal und Bavonatal.

Einen ausserordentlichen Beitrag in der Höhe von 640'000 Franken hat die Regierung zudem für das sogenannte Strassenkonsortium Bavonatal gesprochen. Die wichtigste Strasse im Bavonatal war beim Unwetter im Juni 2024 stark beschädigt worden.

Der Bund hat sich bisher mit knapp 10 Millionen an der Bewältigung der Unwetter-Katastrophe im Maggiatal beteiligt. Falls das eidgenössische Parlament im Herbst zustimmt, spricht der Bundesrat für die drei von Unwettern betroffenen Kantone Wallis, Tessin und Graubünden zusätzliche 36 Millionen Franken.

Was ist mit der Notbrücke, die bei Cevio über die Maggia führt?

CAPTION CORRECTION: KORRIGIERT DATUM - Militaerangehoerige der Territorialdivision bauen eine provisorische Bruecke beim Wiederaufbau der beim Unwetter beschaedigten Visletto-Bruecke, am Dienstag, 23. ...
Blick auf die provisorische Visletto-Metallbrücke, erstellt von der Territorialdivision 3 der Schweizer Armee, flussabwärts liegt die zerstörte Strassenbrücke und ganz im Hintergrund die Fussgänger- und Velo-Brücke.archivBild: keystone

Die beim Unwetter zerstörte Visletto-Brücke, die im Hauptort Cevio über die Maggia führte, soll bis im Spätherbst 2026 neu aufgebaut werden.

Der Bau kostet rund 8,5 Millionen Franken und ersetzt die von der Armee im letzten Sommer gebaute provisorische Brücke aus Stahl. Das neue Bauwerk soll maximale Sicherheit gegenüber Naturgefahren bieten, wie das Tessiner Bau- und Umweltdepartement festhielt. Ausserdem verbessere sie den Verkehrsfluss zwischen dem oberen und dem unteren Maggiatal.

Rendering der neuen Visletto-Brücke, die bei Cevio über die Maggia führt und bereits 2026 in Betrieb genommen werden soll.
Ein Rendering der geplanten Strassenbrücke, dahinter die bestehende Velo- und Fussgänger-Brücke.Bild: Kanton Tessin

Um den Bau der neuen Brücke voranzutreiben, habe man alle nötigen Prozeduren beschleunigt, erklärte der Tessiner Baudirektor Claudio Zali an einer Medienkonferenz am Montag. Dadurch habe die Planungszeit der neuen Brücke minimiert werden können.

Die Visletto-Brücke sei eine wichtige «Verkehrsader», sagte die Gemeindepräsidentin von Cevio, Wanda Dadò. Mit dem Bau der neuen Brücke werde eine Wunde geschlossen. Das Bauwerk sei auch ein «Symbol der Widerstandskraft» des Tals.

Die neue Brücke werde ein Stück weiter oben – also flussaufwärts – gebaut. Dieser Entscheid erhöht laut dem Tessiner Bau- und Umweltdepartement die Erosionssicherheit. Die Position der Pfeiler verhindere die Bildung von Erosionsgruben, und zwar unabhängig von der Strömungsrichtung.

Träger aus Cortenstahl

Die Brücke wird insgesamt gut 146 Meter lang und 8 Meter breit werden. Getragen werde sie von zwei Trägern aus Cortenstahl, welche wiederum eine Fahrbahnplatte aus Stahlbeton trügen, erklärte der Leiter des operativen Bereichs in der Abteilung Hochbau, Fabiano Martini.

Der Verkehr auf der provisorischen Visletto-Brücke ist zahlreichen Beschränkungen unterworfen: Die Fahrzeuge dürfen nur maximal 32 Tonnen schwer sein und nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren. Zudem wird der Verkehr nur einspurig geführt.

Die ursprüngliche Brücke war von der angeschwollenen Maggia weggerissen worden. Mehrere Seitentäler waren danach auf dem Landweg vorübergehend nicht mehr erreichbar. Insgesamt verloren bei der Unwetter-Katastrophe im Sommer 2024 sieben Menschen ihr Leben, eine Person wird noch immer vermisst.

Quellen

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Verheerender Erdrutsch im Val Bavona
1 / 19
Verheerender Erdrutsch im Val Bavona
Es passierte in der Nacht auf Sonntag, 30. Juni 2024. Seither ist in Fontana nichts mehr so, wie es war.
quelle: keystone / michael buholzer
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Videos zeigen, wie die Feuerwehr den Grossbrand in Marseille aus der Luft eindämmt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
6 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
6
Solarflugzeug fliegt um das Matterhorn
Der Solarenergie-Pionier Raphaël Domjan und sein Team haben am Freitag Vorbereitungsflüge für den Höhenrekordversuch auf 10'000 Metern mit dem Solarflugzeug Solarstratos fortgesetzt. Von Sitten im Wallis stieg HB-SXA auf eine Höhe von mehr als 4000 Metern.
Zur Story