Gut ein Jahr nach der verheerenden Unwetter-Katastrophe, die im Lavizzara- und Bavonatal schwere Schäden anrichtete, haben die Tessiner Behörden am Dienstag eine neue Gefahrenkarte vorgestellt. Diese betrifft insbesondere gewisse Seitenbäche des Bavonatals und das damit verbundene Risiko von Murgängen.
In der Nacht vom 29. auf 30. Juni 2024 war es im Val Bavona, einem engen Seitental des Maggiatals, zu einem Murgang von historischem Ausmass gekommen. Schwere Niederschläge lösten eine Geröll- und Schlammlawine aus, die insgesamt fünf Todesopfer forderte.
Rund acht Steinhäuser (Rusticci) sowie Landwirtschaftsbauten und historische Bauwerke in den Weilern Fontana und Mondada wurden durch den Murgang zerstört, weitere zwölf in Mitleidenschaft gezogen.
Die Gefahrenkarte zeigt laut den Behörden den Grad der Gefährdung für das untersuchte Gebiet im unteren Bavontal auf. Sie enthalte auch detaillierte Informationen über die Intensität und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von zukünftigen Murgängen.
Zu den Gefahren-Graden wird erklärt:
Laut Informationen des Tessiner Bau- und Umweltdepartements haben neben den starken Regenfällen über dem Einzugsgebiet des Larechia-Bachs weitere Faktoren zur Verschärfung der Lage beigetragen. Dazu zählten eine bedeutende Schneemenge im Bachbett sowie die gleichzeitige «Aktivierung» aller seitlichen Zuflüsse.
Ausserdem habe eine «besondere Geländekonfiguration» im oberen Bereich des Schwemmfächers zum Ereignis beigetragen, heisst es im Communiqué weiter. In dieser Zone habe ein massiver Felsblock (ca. 8000 Kubikmeter) die Dynamik des Ereignisses stark beeinflusst. Dieser habe als «Propfen» während mehrerer Jahrhunderte Tausende Kubikmeter Material zurückgehalten, bis er sich in der Katastrophennacht plötzlich löste.
Alle diese Elemente hätten zu einem deutlich höheren Abflussvolumen an Schlamm, Geröll und Felsen geführt, was die Flutwelle mächtiger gemacht und zu massiven Schäden im Unterlauf geführt habe.
Gemäss Informationen des Tessiner Umweltdepartements zeigte eine historische Recherche, dass der Larechia-Bach um 1400 oder 1500 vermutlich schon einmal ein ähnliches Ereignis verursachte.
Eine Katastrophe vom Ausmass wie in Fontana im Juni 2024 dürfte sich laut den Fachleuten höchstens alle 300 Jahre ereignen. Hingegen erreichten die Murgänge bei weiteren Bergbächen, die ins Bavonatal münden, nicht «das volle Potenzial». Dort sei in den nächsten 30 bis 100 Jahren mit neuen Ereignissen zu rechnen.
In den kommenden Monaten werden die Gefahrenkarten der vier Bergbäche am linken Hang des Bavonatals um die Karte des Flusses Bavona ergänzt. Beide dienten als Grundlage für die Prüfung von Schutzmassnahmen für die heute gefährdeten Gebäude, heisst es.
Bezüglich der roten Zone wurde am Informationsanlass am Dienstagabend durch die Behörden erklärt, dass die Häuser in diesem Gebiet nicht mehr bewohnbar sein werden, auch nicht als Zweitwohnungen.
Eine Quelle präzisierte gegenüber watson:
Der Wiederaufbau des oberen Maggiatals kostet insgesamt mindestens 80 Millionen Franken. Der Kanton Tessin übernimmt davon rund 50 Millionen Franken.
Nach der Katastrophe wurden insgesamt fünfzig grössere Naturereignisse (Murgänge, Uferabbrüche, kleinere Rutschungen) kartiert. Mehr als hundert Gebäude wurden beschädigt. Drei landwirtschaftliche Betriebe – zwei im Val di Peccia, einer im Val Bavona – wurden schwer beschädigt und sind derzeit nicht nutzbar.
An der Neugestaltung der zerstörten Kulturlandschaft soll sich die Bevölkerung beteiligen. Die Gemeinde Cevio hat dafür einen Mitwirkungsprozess lanciert.
Der Bund hat sich bisher mit knapp 10 Millionen an der Bewältigung der Unwetter-Katastrophe im Maggiatal beteiligt. Falls das eidgenössische Parlament im Herbst zustimmt, spricht der Bundesrat für die drei von Unwettern betroffenen Kantone Wallis, Tessin und Graubünden zusätzliche 36 Millionen Franken.
Die beim Unwetter zerstörte Visletto-Brücke, die im Hauptort Cevio über die Maggia führte, soll bis im Spätherbst 2026 neu aufgebaut werden.
Der Bau kostet rund 8,5 Millionen Franken und ersetzt die von der Armee im letzten Sommer gebaute provisorische Brücke aus Stahl. Das neue Bauwerk soll maximale Sicherheit gegenüber Naturgefahren bieten, wie das Tessiner Bau- und Umweltdepartement festhielt. Ausserdem verbessere sie den Verkehrsfluss zwischen dem oberen und dem unteren Maggiatal.
Um den Bau der neuen Brücke voranzutreiben, habe man alle nötigen Prozeduren beschleunigt, erklärte der Tessiner Baudirektor Claudio Zali an einer Medienkonferenz am Montag. Dadurch habe die Planungszeit der neuen Brücke minimiert werden können.
Die Visletto-Brücke sei eine wichtige «Verkehrsader», sagte die Gemeindepräsidentin von Cevio, Wanda Dadò. Mit dem Bau der neuen Brücke werde eine Wunde geschlossen. Das Bauwerk sei auch ein «Symbol der Widerstandskraft» des Tals.
Die neue Brücke werde ein Stück weiter oben – also flussaufwärts – gebaut. Dieser Entscheid erhöht laut dem Tessiner Bau- und Umweltdepartement die Erosionssicherheit. Die Position der Pfeiler verhindere die Bildung von Erosionsgruben, und zwar unabhängig von der Strömungsrichtung.
Die Brücke wird insgesamt gut 146 Meter lang und 8 Meter breit werden. Getragen werde sie von zwei Trägern aus Cortenstahl, welche wiederum eine Fahrbahnplatte aus Stahlbeton trügen, erklärte der Leiter des operativen Bereichs in der Abteilung Hochbau, Fabiano Martini.
Der Verkehr auf der provisorischen Visletto-Brücke ist zahlreichen Beschränkungen unterworfen: Die Fahrzeuge dürfen nur maximal 32 Tonnen schwer sein und nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren. Zudem wird der Verkehr nur einspurig geführt.
Die ursprüngliche Brücke war von der angeschwollenen Maggia weggerissen worden. Mehrere Seitentäler waren danach auf dem Landweg vorübergehend nicht mehr erreichbar. Insgesamt verloren bei der Unwetter-Katastrophe im Sommer 2024 sieben Menschen ihr Leben, eine Person wird noch immer vermisst.