Schweiz
SVP

Anti-Chaoten-Initiative: Amnesty International kritisiert die Junge SVP

Stadtbewohner demonstrieren gegen die steigenden Wohnkosten und die zunehmende Gentrifizierung, am Samstag, 4. November 2023 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Im März entscheidet das Zürcher Stimmvolk, ob unbewilligte Demonstrationen stärker sanktioniert werden sollten.Bild: KEYSTONE

Kritik an SVP-Initiative: «Friedlich demonstrieren ist ein Menschenrecht, kein Privileg»

Die Junge SVP will, dass im Kanton Zürich künftig Demonstrantinnen und Veranstalter Kosten von ausserordentlichen Polizeieinsätzen tragen. Amnesty International lehnt die Vorlage klar ab und warnt vor Menschenrechtsverletzungen.
02.02.2024, 05:5902.02.2024, 06:50
Mehr «Schweiz»

Die Menschen in Zürich gehen auf die Strassen und demonstrieren fleissig, etwa gegen die Klimakrise, den Krieg im Nahen Osten oder in der Ukraine. Aber auch die hiesigen Probleme bewegen: Im November des vergangenen Jahres prangerten rund 1500 Demonstrierende die Wohnungsnot und Mieten mit hohen Renditen an. Die bewilligte Wohnungsnot-Demonstration verlief – wie die meisten Demonstrationen – friedlich. Nur einen mitgebrachten «Miethai» zertrümmerten die Demonstrierenden symbolisch.

Aber ob die Demonstrationen bewilligt sind oder nicht, spiele eine untergeordnete Rolle, oftmals ginge es nicht um die Sache, sondern darum, Krawall zu machen – das findet zumindest die Junge SVP. Sie fordert Recht und Ordnung. Deswegen stimmt der Kanton Zürich am 3. März über die Anti-Chaoten-Initiative ab.

Mit der Initiative will die Junge SVP erreichen, dass Kosten, die aufgrund von Demonstrationen, Kundgebungen oder Hausbesetzungen entstehen, von den Veranstaltenden und Teilnehmenden getragen werden müssen. Überdies wollen sie, dass politische Aktionen künftig bewilligungspflichtig sind.

Das Komitee macht fleissig Werbung

Das Komitee schreibt auf der Website:

«In den letzten Jahren wurden Demonstrationen zur immensen Belastung für die Zürcher Bevölkerung. Von Klimaklebern bis zu gewalttätigen Extremisten in der Innenstadt mussten die Zürcher vieles erdulden.»

Auch in den sozialen Medien macht das Komitee fleissig Werbung:

Die Initiative der jungen SVP unterstützen unter anderem auch die FDP, die Jungfreisinnigen, das Team Freiheit und der Hauseigentümerverband. Klar gegen die Initiative sind Die Mitte, GLP, SP, Grüne, AL, und EVP.

Kantons- und Regierungsrat lehnen Initiative ab

Der Kantonsrat und der Regierungsrat lehnen die Initiative ab und empfehlen stattdessen die Annahme des Gegenvorschlags. Aus ihrer Sicht ist die Volksinitiative zu unpräzise formuliert, was Probleme bei der Umsetzung schaffe. So schliesse der Initiativtext einen zu grossen Kreis an Personen und Organisationen ein, die anfallende Kosten übernehmen müssten.

Zudem gehe aus dem Initiativtext nicht hervor, ob neu der Kanton oder wie bisher die Gemeinden die Bewilligungen erteilen sollen.

Zuletzt merkte der Kantonsrat auch an, dass in anderen Kantonen Regelungen erfolgreich angefochten wurden, die weniger weit gingen als das, was die junge SVP in Zürich mit ihrer Anti-Chaoten-Initiative fordert.

Das ist der Gegenvorschlag

Der Zürcher Kantonsrat hat einen Gegenvorschlag zur Initiative vorbereitet. Dieser verlangt, dass die Gemeinde Kundgebungen oder Demonstrationen bewilligen muss. Überdies sollen die Kosten für ausserordentliche Polizeieinsätze künftig «vorsätzlich handelnde Verursacher» tragen, wie es in der Vorlage heisst. Im Gegenvorschlag werden Sachbeschädigungen oder Hausräumungen nicht erwähnt – bei diesen Punkten sieht man keinen Handlungsbedarf.

Kritik von der Menschenrechtsorganisation

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat eine rechtliche Analyse der SVP-Initiative zur Demonstrationsfreiheit gemacht. Dabei kam sie zum Schluss: Die Initiative und der Gegenvorschlag schränken die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in unzulässiger Weise ein.

Anhenger der Bewegung Basel Nazifrei an einer Kundgebung gegen eine angekuendigte Veranstaltung der Bewegung Mass-Voll! in Basel, am Samstag, 21. Oktober 2023. Basel hatte fuer das ganze Wochenende ei ...
Die Junge SVP möchte Demonstrantinnen und Demonstranten zur Kasse beten.Bild: KEYSTONE

Amnesty ist besorgt, dass die angestrebten Gesetzesänderungen das Recht auf Protest ernsthaft gefährden würden. Aufgrund der abschreckenden Wirkung könnten sie dazu führen, dass Personen sich nicht mehr trauen, an Kundgebungen teilzunehmen oder solche zu organisieren.

Dass Kosten für Polizeieinsätze von den Veranstaltern und Teilnehmenden getragen werden müssten, findet Amnesty verheerend. Denn es sei grundsätzlich die Aufgabe des Staates an Demonstrationen dafür zu sorgen, dass die Sicherheit gewährleistet ist.

«Friedlich demonstrieren ist ein grundlegendes Menschenrecht, kein Privileg.»
Amnesty International

Amnesty hält fest: «Friedlich demonstrieren ist ein grundlegendes Menschenrecht, kein Privileg. Auch spontane und unbewilligte Demonstrationen sind grundrechtlich geschützt. Die friedliche Teilnahme an solchen Demonstrationen darf weder kriminalisiert noch sanktioniert werden.»

Wenn «unbewilligte» Demonstrationen als potenziell gewalttätig eingestuft würden, sei dies pauschalisierend und widerspreche dem völkerrechtlichen Grundsatz, dass Versammlungen grundsätzlich als friedlich zu betrachten seien, so Amnesty weiter.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Polizei steht in Lützerath knöcheltief in der ... Schlamm-Lache
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
207 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
TRN
02.02.2024 06:37registriert Dezember 2021
Sachbeschädigung und Gewalt gegen Polizeibeamte sollte rigoros verfolgt und bestraft werden. Das wäre nach dem heute geltenden Recht bereits möglich. Das Problem ist in der Regel, herauszufinden, wer es war. Aber die Organisatoren einer Demo für die Taten der Teilnehmer haftbar zu machen geht nicht. Sonst randaliert der Schwarze Block dann an die Demo für die Kuhfladeninitiative um der SVP ein auszuwischen (und vice versa natürlich).
23426
Melden
Zum Kommentar
avatar
Cpt. Jeppesen
02.02.2024 06:12registriert Juni 2018
Da haben die Mitglieder der jungen SVP in der Geschichtsstunde geschlafen, oder? Ab wann ist es dann eine bewillogungspflichtige Versammlung, ab 3 Person, 5 Personen, 10 Personen? Aufpassen, dass man nicht an der Tramhaltestelle verhaftet wird, wegen einer unbewilligten Demonstration, weil 10 Leute aufs Tram warten…
Nein , ehrlich, wie biere weich muss man sein die demokratischen Grundrechte aushebeln zu wollen? Natürlich unter dem Deckmantel Ordnung schaffen zu wollen. Da gab es schon ein paar in der Geschichte und es geht jedesmal nicht gut aus.
18333
Melden
Zum Kommentar
avatar
Pürschtli
02.02.2024 09:04registriert Oktober 2023
So wie ich das sehe ist alles Geforderte bereits im Gesetz verankert...
Demos sind bereits Bewilligungspflichtig, Gewalttäter sind bereits jetzt Verfolgbar, Hausfriedensbruch und Vandalismus ist bereits jetzt verboten.

Also reiner Populismus.
625
Melden
Zum Kommentar
207
Hauseigentümer-Präsident Rutz zu Sugus-Häusern: «Vorgehen spottet jeder Beschreibung»
Die Massenkündigung von Mietern in Zürich bewegt die Gemüter im ganzen Land. Nun nimmt der Präsident des Hauseigentümerverbandes Stellung zum Fall: Das Vorgehen der Hausbesitzerin sei inakzeptabel. Gregor Rutz kritisiert aber auch die Stadt Zürich scharf.

Inzwischen sind die Sugus-Häuser in der ganzen Schweiz bekannt. Die neun farbigen, quadratischen Wohnblöcke stehen im Zürcher Stadtkreis fünf unmittelbar an den Bahngeleisen. 105 Mietparteien in drei Häusern haben die Kündigung erhalten. Rund 250 Personen sollen bis Ende März ausziehen.

Zur Story