Dieser Schritt wird Swiss-Chef Jens Fehlinger geschmerzt haben. Vergangene Woche musste seine Airline die Streichung von rund 1400 Flügen im Sommer bekannt geben. Der Grund: ein Personalengpass im Cockpit. Es fehlt der Swiss an Pilotinnen und Piloten. Dies, nachdem sie im Dezember die Personalsituation gegenüber CH Media noch als «stabil» bezeichnet hatte.
Für die plötzlich neue Situation lieferte die Swiss eine sonderbare Erklärung. Mitverantwortlich seien die Langzeitabwesenheiten, die dreimal so hoch seien wie im langjährigen Durchschnitt. Und diese überdurchschnittlichen Ausfälle seien unter anderem auf Unfälle und Schwangerschaften zurückzuführen. Hat die Swiss etwa ihre gesamte Crew in einen Familienplanungskurs inklusive Hochrisiko-Sportanlass geschickt?
Zwar führt die Swiss weitere Gründe für den Engpass auf, wie die personalabsorbierenden Umschulungen auf die neue A350-Flotte. Doch der Verweis auf die mehr als dreimal so häufig gezählten Unfälle und Schwangerschaften sorgt bei manchen Crew-Mitgliedern für Stirnrunzeln. «Schwangerschaften? Bei den wenigen Frauen im Cockpit?», so die zynische Antwort eines Piloten. Ein anderer findet, die Swiss wolle wohl von der eigenen Fehlplanung ablenken.
«Es ist wohl so, dass die Anzahl von Langzeitkranken stark gestiegen ist», sagt Thomas Steffen, Sprecher des Cockpitverbands Aeropers. Von der Swiss erhalte man dazu leider keine genauen Zahlen. «Wir gehen aber stark davon aus, dass nicht Unfälle und Schwangerschaften die Hauptauslöser sind, auch da nach wie vor nur etwa 4,5 Prozent unserer Pilotenschaft weiblich ist.»
Aus Aeropers-Sicht liege es vielmehr daran, dass die Arbeitsbelastung schon seit langer Zeit viel zu hoch sei. Pilotinnen und Piloten seien von Gesetzes wegen verpflichtet, sich vom Dienst abzumelden, wenn sie sich für einen geplanten Einsatz nicht fit fühlen würden. Dies würden sie zu Recht tun.
Leider sei die Swiss nicht gewillt, Massnahmen zu verabschieden, welche die Attraktivität des Pilotenberufes steigern würden, sagt Steffen. «So verschärft sich der bereits bestehende Personalmangel im Cockpit durch die Absenzen weiter und es bleibt der Geschäftsleitung nichts anderes übrig, als Flüge zu streichen.»
Swiss-Sprecher Michael Stief sagt, man werde die Hintergründe dieser überdurchschnittlichen Häufung der Langzeitabwesenheiten sorgfältig analysieren. Gleichzeitig relativiert er den Babyboom- und Unfall-Verweis. Diese Zahlen würden «in bestimmten Gruppen» und «je nach Dienstgrad oder Flugzeugtyp» bis zu dreimal höher als ursprünglich erwartet liegen. Und: «Das fällt natürlich auf.» Ein systematisches oder strukturelles Problem habe man aber nicht ausgemacht. Aber bereits vier oder fünf zusätzliche Ausfälle in einer kleinen Einheit hätten spürbare Auswirkungen auf den Betrieb.
Und weshalb bezeichnete die Swiss noch im Dezember die Personalsituation im Cockpit als «solide» und liess verlauten, die Flüge könnten wie geplant durchgeführt werden? Die Einschätzung habe auf damals realistischen Annahmen basiert, die sich in den letzten Monaten nicht bewahrheitet hätten, sagt Stief.
Nebst den Krankheitsquoten verweist der Sprecher auf die Verfügbarkeit der Flotte, die durch anhaltende Lieferkettenprobleme bei Triebwerken reduziert sei. «Auf der Kurzstreckenflotte erfahren wir erst wenige Wochen vorher vom Hersteller Pratt & Whitney, für welche und für wie viele Flugzeuge wir rechtzeitig Ersatztriebwerke erhalten.»
Ein weiteres Problem ist die verspätete Ankunft der neuen Airbus-A350-Langstreckenflugzeuge. Diese werden wohl erst ab Frühherbst eingeflottet. «Das hat zur Folge, dass wir Pilotinnen und Piloten während der betriebsintensiven Sommermonate umschulen müssen.» Eine Umschulung dauere mindestens ein halbes Jahr, je nach Position sogar bis zu zwei Jahren. All diese Faktoren würden die Produktionsplanung «komplex und störanfällig» machen.
Wie viel an Umsatz der Swiss durch die Annullationen flöten geht und wie viele Zusatzkosten durch Rückerstattungen oder Umbuchungen entstehen, verrät die Airline nicht. Bekannt ist, dass Betriebschef und Geschäftsleitungsmitglied Oliver Buchhofer – selbst Pilot – im Sommer häufiger als sonst im Cockpit sitzen wird, nach dem Motto «alle Mann an Deck». Sein Chef, CEO Jens Fehlinger, der bei seinem Amtsantritt angekündigt hatte, nebenbei als Swiss-Pilot fliegen zu wollen, bleibt laut Sprecher Stief vorerst am Boden. Dort wird ihm die Arbeit jedenfalls nicht ausgehen. (bzbasel.ch)
Wenn eine Umschulung zwei Jahre dauert, kann man aber nicht mehr auf eine solch kurzfristige Verspätung reagieren, da die Umschulung bereits seit Jahren laufen muss 😉