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Technik

In Arbon fährt ein Linienbus autonom durch die Altstadt

Probefahrt mit dem autonom fahrenden Bus durch die Altstadt von Arbon.
Probefahrt mit dem autonom fahrenden Bus durch die Altstadt von Arbon.bild: Manuel P. Nagel

Europaweit einmalig: In Arbon fährt ein Bus autonom durch die Altstadt

Noch ist eine Sicherheitsfahrerin an Bord. Doch bald soll der autonome Linienbus ohne Frau am Steuer durch die Arboner Altstadt kurven. Eine Probefahrt.
25.12.2025, 19:5225.12.2025, 19:52
Bruno Knellwolf / ch media

Da steht er, der selbstfahrende Bus namens «Artour»: 10.36 Uhr geht es los: Der Linienbus startet fahrplanmässig beim Bahnhof Arbon. Also nichts wie hinein in den Eurobus, der 19 Passagieren Sitzplätze bietet. Im Innern ist man allerdings nicht allein mit der Maschine. Vor dem Steuerrad sitzt eine Sicherheitsfahrerin, rechts davon hinter einem riesigen Bildschirm ein Teleoperateur der Software-Firma Adastec.

Es ist warm im Bus, 22,7 Grad werden auf einer der vielen Bildschirme angezeigt. Zu zweit sitzen wir hinter dem Operator, fotografieren und filmen, was das Zeug hält. Der Bus fährt los, das Steuerrad dreht sich ohne menschliches Zutun, um den Bahnhofsplatz zu umrunden und auf die Hauptstrasse einzufahren. Also, schnell aufstehen, um ein Video der «Geisterfahrt» zu machen. Doch genau in dem Moment bremst «Artour» abrupt. «Bitte hinsetzen und anschnallen», sagt die Sicherheitsberaterin zum neugierigen Gast.

Anschnallen ist im autonomen Bus obligatorisch

Der voll-elektrische Bus der türkischen Firma Karsan mit der Automatik der amerikanisch-türkischen Firma Adastec hat allerdings nicht gestoppt, weil der Fotograf nicht angegurtet war, wie die Sicherheitsfahrerin nach dem Ende der 15-minütigen Rundfahrt sagen wird. Das Angurten ist Vorschrift – aus Sicherheitsgründen. Gestoppt hat der autonom fahrende Bus, weil ein Handwerker-Auto im Wege stand.

Probefahrt mit Artour, dem selbstfahrenden Bus in Arbon.
Probefahrt mit Artour, dem selbstfahrenden Bus in Arbon.bild: Bruno Knellwolf

Solche Hindernisse erkennt Artour dank fünf Lidars, elf Kameras und sechs Radare. «Hauptsächlich fahren wir mit den Lidars», sagt Projektleiter Hansueli Bruderer von der Technischen Gesellschaft Arbon. Lidar steht für «Light Detection and Range», das ist ein Messgerät, das wie ein Radar die Entfernung zu einem Objekt bestimmt. Allerdings mit Laserlicht und nicht mit Radiowellen wie ein Radar. Diese Lidars sind die wichtigsten Augen des Busses.

Weiter geht die Fahrt, haarscharf an parkierten Autos vorbei, die beim Arboner Hafen stehen, dann weiter durch die engen Gassen der Altstadt. Ganz alleine steuert «Artour», doch plötzlich greift die Sicherheitsfahrerin ein und nimmt das Lenkrad kurz in die Hand. «Einmal musste ich eingreifen», sagt sie am Ende der Fahrt. Sie musste einen Lieferwagen umfahren, der Bus hätte sonst gestoppt und gewartet, bis das Hindernis weg gewesen wäre.

Mit bis 23 km/h durch die Altstadt

Weiter geht die bequeme Fahrt, der Bus der Technischen Gesellschaft Arbon, betrieben von der Firma Eurobus beschleunigt bis 23 Kilometer pro Stunde – 30 km/h wären in der Altstadt erlaubt. Der Bus wäre auch auf höhere Geschwindigkeiten ausgelegt, wenn er in späteren Jahren autonom auf einer Autobahn oder Hauptstrasse zum Einsatz käme.

«Artour» fährt derweil noch weitere Haltestellen an, einsteigen will diesmal aber niemand. «Doch, doch, der Bus wird schon genutzt, gerade auch um die Mittagszeit herum», sagt die Sicherheitsfahrerin. Schliesslich fährt «Artour» wieder auf den Bahnhofsplatz zur Haltestelle und schliesst die Runde auf der Altstadt-Linie ab. Aussteigen bitte! In knapp einer Stunde fährt er wieder los.

Die Selbststeuerung funktioniert gut, zu 98 bis 100 Prozent lenkt Artour selbst. Einen einzigen menschlichen Lenkrad-Eingriff hat es gebraucht. Im Laufe des dreijährigen Pilotprojekts wird auf Eingriffe eines Sicherheitsfahrers verzichtet werden. Jetzt steht das 3,5-Millionen-Projekt in Phase 2. Zuvor wurde noch ohne Passagiere getestet. In Phase 3 wird im kommenden Jahr das Teleoperating eingerichtet und getestet. In Phase 4 ab dem Jahr 2027 wird dann die Sicherheitsfahrerin wegfallen und der Teleoperateur nicht im Bus sitzen, sondern in einem Büro mit einem Leitsystem.

Der autonome Bus Artour in Arbon. Abendfahrt beim Käppeli.
Der autonome Bus Artour in Arbon. Abendfahrt beim Käppeli.bild: zvg

«Am Schluss des Projekts kann der Bus fernüberwacht fahren und durch den Teleoperator ferngesteuert werden», sagt Bruderer. Wenn Artour ein Hindernis erkennt, «schaut» sich der Bus an, ob er überholen kann. Ist es zu eng, verlangt er nach Hilfe – jetzt noch durch die Sicherheitsfahrerin, später durch den Teleoperateur.

Das Gesetz verlangt die Möglichkeit der Fernsteuerung

Das Schweizer Gesetz verlangt die Möglichkeit der Fernbedienung für Notlagen. Dies gilt für autonome Linienbusse wie auch für Robotaxis. In naher Zukunft soll ein Fernüberwacher gleichzeitig mehrere selbstfahrende Busse überwachen und im Notfall eingreifen können.  «So braucht es dann statt neun Busfahrer, zwei bis drei Fernüberwacher in einem Büro», sagt Projektleiter Bruderer.

Dieses Innovationsprojekt SCCL (Self Controlled City Liner) interessiert Verkehrsbetriebe aus aller Welt, wie Bruderer erzählt. Aus Tokio und Wien kamen Gäste, die sich das Pilotprojekt ansehen wollten, das vom Kanton Thurgau, dem Förderprogramm für Innovationen im öffentlichen Personenverkehr des BAV finanziert wird.

Die internationalen Gäste sehen ein europäisches Pilotprojekt. Zwar gab es auch schon Testfahrten autonomer Fahrzeuge in Sion und Schaffhausen. «Das waren kleine Shuttles. Das hier ist erste ferngesteuerte autonome Linienbus in der Schweiz und Europa», sagt Bruderer. Solche selbstfahrenden Busse sind im Moment nur noch in Singapur und China unterwegs, in den USA fahren vor allem Robo-Taxis.

SBB und PostAuto planen mit Shuttles

In der Schweiz plant die SBB im Zürcher Furttal auch einen autonomen ÖV, allerdings mit Robotaxis. Im Moment wird die Gegend für das Projekt «iamo» kartiert. Im Laufe des Jahres 2026 sollen die ersten autonomen Fahrzeuge mit bis zu 80 km/h im Furttal unterwegs sein.

Auch PostAuto ist aktiv. «Aktuell läuft unser Projekt AmiGo in der Ostschweiz. Es handelt sich um das europaweit grösste Projekt dieser Art», schreibt Katharina Merkle von PostAuto. Ein Testbetrieb mit Kartografierungsfahrten startet im Januar 2026 mit ersten Fahrzeugen und Sicherheitsfahrerinnen und Sicherheitsfahrern im St.Galler Rheintal. Am Schluss ist ein Einsatz von bis zu 25 elektrischen, automatisierten Fahrzeugen, die jeweils Platz für bis zu vier Fahrgäste bieten, geplant.

Nach intensiven Testphasen soll «AmiGo» als dauerhaftes «On-Demand»-Angebot im Jahr 2027 ohne Sicherheitsfahrerinnen und Sicherheitsfahrern eingeführt werden. Die selbstfahrenden Fahrzeuge werden auf Abruf verfügbar sein. Sie können von den Kunden per App gebucht werden.

Fahren zur gleichen Zeit andere Nutzerinnen eine ähnliche Strecke, wird das System die Fahrten zudem zusammenlegen können, das sogenannte Ridepooling. Finanziert wird das Projekt durch die Ostschweizer Kantone, den Bund und den TCS. Die Technik des automatisierten Fahrens stammt von der chinesischen Firma Apollo Go. (aargauerzeitung.ch)

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