Der Mensch und der Wolf führen seit Jahrhunderten eine schwierige Beziehung. Früher stellte man dem Konkurrenten um Wild mit Gift und Fallen nach und trieb das Tier in Westeuropa an den Rand der Ausrottung. Heute ist der Wolf in der Schweiz vor allem eine Bedrohung für Nutztiere – und eine Projektionsfläche für den Konflikt zwischen Stadt und Land.
Vor diesem Hintergrund ist jüngst der Gefühlsausbruch des Bündner Regierungspräsidenten Marcus Caduff auf Twitter zu verstehen. Scharf kritisierte er das zuständige Bundesamt für Umwelt (Bafu), zu wenig gegen den Wolf zu tun. «Ein Beverinrudel müsste längst unschädlich gemacht werden», schrieb er, nachdem innert kurzer Zeit Wölfe zweimal eine Mutterkuh angegriffen und tödlich verletzt hatten. Seit Jahren fordert der Kanton erfolglos den Abschuss dieses Rudels – erfolglos auch deshalb, weil die Schweizer Gesamtbevölkerung durchaus Sympathien hat für das derzeit grösste Raubtier des Landes.
Auch wenn einzelne Tiere auf Abschusslisten landen: Die Schweiz hat in der jüngeren Vergangenheit vor allem den Herdenschutz ausgebaut.
Speziell für diese Sömmerungszeit steht viel Bundesgeld zur Verfügung: 9.4 Millionen, 5.7 Millionen mehr als üblich. Damit soll in diesem Sommer die Zeit überbrückt werden, bis ein neues Jagdgesetz den Umgang mit dem Wolf regelt.
Das Bafu kommunizierte die Sofortmassnahmen am 19. Mai. Drohnen, Pfeffersprays und sogar eine Transportpauschale für Helikopter – 2000 Franken pro Flug – sollten das Instrumentarium der Hirtinnen und Hirten gegen den Wolf ergänzen. Die aussergewöhnlichen Subventionen gehen auf Vorstösse aus dem Parlament zurück.
Nur: Das Geld bleibt womöglich in Bern liegen. Von den knapp zehn Millionen Franken wurde bislang lediglich rund die Hälfte «durch Kantone und Dritte beansprucht», wie ein Sprecher auf Anfrage dieser Zeitung bestätigt: fünf Millionen.
Der Grund dafür ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Vonseiten der Alpwirtschaft ist vielfach der Vorwurf zu hören, die Bauern hätten sämtliche Schutzmassnahmen ergriffen, nun könnten nur noch Abschüsse helfen. Naturschutzverbände hingegen stellen sich gerne auf den Standpunkt, der Bund müsse die Subventionen hochschrauben.
Sicher ist: Herdenschutz wirkt, das beweist ein Blick in die Statistik. Die Risse in von Hunden beschützten Herden machen nur einen ganz kleinen Teil der 867 durch den Wolf getöteten Nutztiere aus: sechs Prozent. Im Jahr davor waren es sogar nur zwei Prozent gewesen. Dies geht aus dem Jahresbericht von Agridea hervor. Die landwirtschaftliche Beratungszentrale der kantonalen Fachstellen koordiniert im Auftrag des Bafu den Herdenschutz.
Einer der Verantwortlichen bei Agridea heisst Daniel Mettler. Auch er glaubt nicht, dass bis zum Ende der diesjährigen Alpsaison das volle Geld für den Herdenschutz ausgeschöpft würde. Mettler macht den Zeitdruck verantwortlich, unter dem der Sondertopf für die Hirtinnen und Hirten bereitgestellt wurde: ««Die Absichten des Parlaments waren gut. Aber insgesamt ist die Übung zu sportlich. Bis die Planung und Umsetzung der Notfallmassnahmen richtig in Gang kommen, ist der halbe Alpsommer bereits vorbei», sagt er.
Zwar habe das Interesse für Schutzmassnahmen merklich zugenommen. So seien es dieses Jahr fast neunzig Hunde, die den Eignungstest zum Herdenschutzhund absolvieren. Aber: «Herdenschutz funktioniert dann gut, wenn man ihn richtig einsetzt und rechtzeitig plant», sagt Mettler. «Zum Teil haben es Bauern auch verdrängt, sich rechtzeitig für den Wolf vorzubereiten, den es ja bereits seit 25 Jahren in der Schweiz gibt.»
Sarah Wehrli von Pro Natura würde sich deshalb mehr Geduld wünschen, die neuen Massnahmen zu beurteilen. «Ich fände es gut, wenn das Geld auch nächstes Jahr in diesem Umfang bereitstünde.» Für Wehrli steht fest: «Herdenschutz darf kein Verlustgeschäft sein.»
Dafür muss man die bereitgestellte Hilfe aber auch nutzen.
Raubtiere haben keine Lobby im Land.