Ich überquere gerade die Aare bei Untersiggenthal, als mein Handy klingelt. Mein Onkel ist dran. «Wann bist du in Würenlos? Ich begleite dich ab dort», sagt er. Ich rechne kurz und sage 14.30 Uhr. Später wird's 14.45 Uhr. Am Ende bin ich um 15.15 Uhr in Würenlos. Statt meinen Rechnungskünsten gebe ich dem Gegenwind die Schuld. Mein Onkel nickt verständnisvoll.
Er hat sein Handbike mitgenommen, denn seit Jahren sitzt er im Rollstuhl. Dies hindert ihn aber nicht, mich zu begleiten. Eigentlich hat es ihn noch nie daran gehindert, irgendetwas zu machen. Es ist bewundernswert. Ich stelle diese positive Einstellung oft bei Menschen im Rollstuhl fest. Sie – und mein Onkel insbesondere – sind eine grosse Motivation für mich. Gerne schneide ich mir davon eine Scheibe ab. Ich könnte mir keinen besseren Mitfahrer für die letzten 20 Kilometer zur watson-Redaktion vorstellen.
Unterstützung gibt's in Zürich dann noch mehr. Dimi, Johannes, Laurent, Martina, Gina, Urs und Alois begleiten mich auf den letzten Metern zur Redaktion. Dort wartet eine weitere Schar. Aus dem Zürcher Oberland sind sie gekommen, vom linken und rechten Seeufer. Aus Baden, Rheinfelden und gar Derendingen bei Solothurn. Was soll ich da auch noch gross sagen: einfach fantastisch. Wir Grillieren, Plaudern, Fachsimpeln.
Alle diese Leute sind nur darum hierher gekommen, weil ich die verrückte Idee hatte, mit dem Velo in jede der 2324 Gemeinden der Schweiz zu radeln. Es ist die Motivation, die gut tut. Vermutlich können sie sich gar nicht vorstellen, wie sehr sie mit ihrem Kommen beitragen zu einem erfolgreichen Projekt.
Denn langsam merke ich die Anstrengungen der letzten Monate: Die kalte Bise nagt; die Höhenmeter fallen ins Gewicht; am Morgen ist's länger dunkel; das Wetter ist zwar weiterhin gut, aber wärmer wird's nicht mehr. Und regnen wird's bestimmt noch in den letzten Wochen. In 100 Etappen wollte ich durch die Schweiz. Aktuell habe ich nach 74 Teilstücken einen kleinen Vorsprung. Eventuell reichen noch 24 weitere Tage. Aber da sind noch zu viele Variablen unsicher.
Auf jeden Fall beginnt heute mit der 75. Etappe nach Schwyz offiziell das letzte Viertel der Tour. Es wird mit grosser Wahrscheinlichkeit der härteste Monat der Tour. Noch stehen 627 Gemeinden an und rund 2500 Kilometer. Das entspricht der Distanz von der Schweiz nach Moskau. Für mich noch immer irgendwie unvorstellbar, wie man innerhalb der Schweiz so weit fahren kann. Vielleicht kann ich dies Ende des Monats.