«Das Internet? Gibt es diesen Blödsinn immer noch?», fragt Homer Simpson in einer Folge der gleichnamigen Fernsehserie aus dem Jahr 1999. Mittlerweile müsste er umgekehrt fragen: «Lineares Fernsehen? Gibt es das immer noch?». Denn das klassische Fernsehen hat in den letzten Jahren gelitten. Besonders jüngere Menschen nutzen lieber Streaming-Dienste wie Netflix oder Online-Plattformen und Apps wie Youtube und Tiktok.
Nun zeichnet sich ein überraschendes Comeback des linearen Fernsehens ab. Das zeigt der alljährliche Report des Streaming-Anbieters Zattoo, für den das Marktforschungsunternehmen Kantar Anfang Jahr 800 Internetnutzerinnen und -Nutzer in der Schweiz befragt hat.
So gaben 42 Prozent der Befragten an, Live-Fernsehen über das Internet zu konsumieren. Das sind 2 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr und 8 Prozentpunkte mehr als im Jahr 2020. «Die Zunahme der Live-TV-Nutzung in den letzten beiden Jahren wirkt entgegen dem abnehmenden Trend, der noch vor der Corona-Pandemie zu erkennen war», heisst es in der Studie.
Eine Erklärung wird nicht geliefert. Die Zunahme könnte zumindest teilweise darin begründet sein, dass immer mehr Menschen kein klassisches Fernsehabo mehr haben und deshalb übers Internet fernsehen. Das zeigt sich auch bei der Entwicklung der genutzten Empfangswege.
So nutzten Anfang Jahr bereits 61 Prozent das Internet als Empfangsweg fürs Fernsehen, wozu neben Apps wie Zattoo oder Teleboy auch IPTV-Angebote wie jene der Swisscom («blue TV») oder Sunrise TV gehören.
Der Fernsehempfang via Kabel verlor erneut deutlich an Bedeutung und wird noch von 40 Prozent der Befragten genutzt. Im Vorjahr waren es 51 Prozent. Der Empfang über Satellit und digitales terrestrisches Fernsehen (DVB-T) kamen auf nur noch 7 respektive 3 Prozent.
Dass lineares Fernsehen wieder an Beliebtheit gewinnt, heisst nicht, dass der Boom von Netlflix & Co. vorüber wäre. Im Gegenteil: Mit 23 Prozent nutzt bereits fast jeder vierte Online-Nutzer einen dieser Video-On-Demand-Dienste. Den Markt dominiert Netflix, das um elf Prozentpunkte zulegen konnte und mit einem Anteil von 79 Prozent das beliebteste Angebot bleibt. Um 7 Prozentpunkte zulegen konnte das Angebot Disney+, das im Jahr 2020 in der Schweiz lanciert wurde und bei den Nutzern von solchen Diensten bereits auf einen Anteil von 27 Prozent kommt.
Die Angebote der Swisscom («Blue Play») und der SRG («Play Suisse») vermögen weniger Menschen zu begeistern: Sie werden von 15 respektive 18 Prozent genutzt. Diese Werte sind erstaunlich tief, denn Play Suisse ist für alle und Blue Play für Swisscom-Fernsehabonnenten kostenlos nutzbar.
Weniger eindeutig sind die Resultate in Hinblick auf die Beliebtheit der Mediatheken der Fernsehsender. Jene des SRF («Play SRF») wurde Anfang 2022 von 53 Prozent genutzt und legte damit um zwei Prozentpunkte zu. Die Mediathek der ARD wurde hingegen nur noch von 30 Prozent genutzt. Im Vorjahr waren es 38 Prozent gewesen. Auch die Mediatheken von ProSieben und Sat.1 verloren und wurden noch von 21 respektive 18 Prozent frequentiert.
Das erstaunt nur auf den ersten Blick. Denn die Replay-Funktion, welche mittlerweile fast alle Verbreiter anbieten, bietet dieselben Annehmlichkeiten wie die Mediatheken - und zwar sowohl bei Internet-Angeboten wie Zattoo als auch auf klassischen TV-Boxen von Swisscom, Sunrise oder Salt. Replay TV ermöglicht das Anschauen von Sendungen bis zu 14 Tage aus der Vergangenheit, ohne diese aufgenommen zu haben
Diese Funktion dürfte auch massgeblich dazu beitragen, dass lineares Fernsehen noch immer sehr beliebt ist und sogar zulegen konnte. Unter den Nutzern von TV-Streaming-Angeboten nannten in der Befragung gar 42 Prozent das Replay als wichtigsten Vorteil – sechs Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Für sie gibt es allerdings schlechte Nachrichten.
Denn die Funktion wird stark eingeschränkt. Einerseits darf sie neu nur noch maximal 7 statt wie bisher 14 Tage angeboten werden. Andererseits wird sie teurer. Verbreiter wie die Swisscom, Zattoo oder Sunrise müssen neu maximal 7 Franken pro Nutzer und Monat für den gleichen Funktionsumfang an die Sender abliefern. Bisher waren es 2 Franken gewesen.
So soll die gesunkene Reichweite für Werbespots kompensiert werden, die von Nutzern häufig übersprungen werden. Geregelt ist das in einer Vereinbarung zwischen den Verwertungsgesellschaften und Nutzerverbänden. Darauf gedrängt haben Fernsehsender wie jene der SRG, die deutschen Privatsender wie Pro7 und RTL, aber auch jene von CH Media wie 3+, zu dem auch dieses Portal gehört.
Eine geringere Gebühr wird fällig, wenn Werbespots eingebaut werden, die von den Nutzern nicht überspult werden können. Das macht das Angebot aber deutlich weniger attraktiv - und ist technisch so komplex, dass sich die Einführung der neuen Regeln laut einer Aussage von Sunrise-Chef André Krause gegenüber der Agentur AWP um einige Monate verzögert.
Mit den Anbietern Init7 und Salt haben erste Anbieter bereits bekannt gegeben, die höheren Kosten auf die Kundschaft zu überwälzen. Weitere könnten folgen. Ob die Fernsehsender mit den Mehreinnahmen durch die neue Gebührenordnung langfristig mehr Geld einnehmen, als sie verlieren, weil sie Kunden vom Fernsehen vergraulen, ist eine offene Frage.
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Mike7788
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