Es regnete Strafbefehle in den letzten Monaten. In Basel etwa: Da erhielten 63 Klimaaktivisten Bussen für eine Blockade der UBS vom 8. Juli. Oder in Zürich: Aktivisten blockierten am selben Tag den Eingang der Credit Suisse (CS). Die Staatsanwaltschaft verschickte 55 Strafbefehle.
Vor allem aber in Lausanne. Als 200 Aktivisten am 20. September die Pont Bessières über Stunden blockierten, sprach die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt 117 Strafbefehle aus.
Es sind mehrere hundert Strafbefehle, welche die Staatsanwaltschaften von Basel-Stadt, Zürich, Genf und Waadt verschickt haben. Das zeigen Recherchen von CH Media. Mit diesen Strafbefehlen werden Aktivisten im Schnellverfahren verurteilt für Tatbestände wie Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Nötigung. Immer enthalten Strafbefehle bedingte Tagessätze, meist auch Bussen. Anhörungen gibt es keine.
Genau das ist den Aktivisten ein Dorn im Auge. Abgesehen von wenigen Ausnahmen erheben sie systematisch Einsprache gegen die Strafbefehle. Sie wollen ihre schnellen Verurteilungen nicht in der Anonymität versanden lassen, sondern sie öffentlich zum Thema machen. Ein erster grösserer Prozess endete am 13. Januar in Renens (VD) mit einem spektakulären Freispruch für zwölf Aktivisten, die in einer Filiale der Credit Suisse Tennis gespielt hatten. Begründung: «rechtfertigender Notstand».
Gerichte sollen die Frage klären, wer im Unrecht ist: die Aktivisten, die mit zivilem Ungehorsam auf die Klimakrise aufmerksam machen? Oder die Banken, die in Unternehmen investieren, die mit fossilen Energien handeln? «Die Grundidee besteht darin, Strafbefehle anzufechten, um in Prozessen die Frage zu thematisieren, wo bei Aktionen des zivilen Ungehorsams zur Klima- und Biodiversitätskrise das Recht liegt und wo das Unrecht», sagt Alexandra Gavilano, Sprecherin des Schweizer Arms der globalen Bewegung Extinction Rebellion.
Die radikale Bewegung hatte mit Strassenblockaden in London, Berlin und Paris für Schlagzeilen gesorgt. Sie zählt in der Schweiz rund 5000 Aktivisten in 15 Gruppen. Demnächst werden weitere Gruppen im Tessin, in St.Gallen und in Olten gegründet.
Extinction Rebellion spricht von rund 200 Strafbefehlen und 200000 Franken Busse, die sie erhalten habe. Diese Zahlen seien sogar «eher untertrieben», sagt Gavilano. Es dauere rund drei Monate, bis Strafbefehle einträfen. Sie betreffen stets gewaltfreie Aktionen.
«Ziviler Ungehorsam ist grundsätzlich eine Strategie, welche die Gerechtigkeit gewisser Gesetze zu Gunsten des Gemeinwohls hinterfragt», sagt Gavilano. Wie etwa «Investitionen in fossile Energien und Raubbau im globalen Süden». Als Bibel von Extinction Rebellion gilt das Buch «Why Civil Resistance Works» (Weshalb ziviler Ungehorsam funktioniert) von Erica Chenoweth, einer Professorin für öffentliche Ordnung. Sie schreibt, friedliche Proteste seien doppelt so erfolgreich wie gewalttätige Proteste. Es sei «absolut zentral, dass unsere Proteste gewaltfrei erfolgen», sagt Gavilano.
Extinction Rebellion erhielt seine Strafbefehle bei Aktionen in Lausanne, Bern, Zürich und Luzern. Nebst der Brücken-Blockade von Lausanne sind es vor allem die Blockaden der Eingänge der Credit Suisse in Zürich und der UBS in Basel, die eine Serie von Strafbefehlen auslösten. In Basel ist von den 63 Strafbefehlen vor allem Collective Climate Justice (CCJ) betroffen. Sie ist Teil der internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Gegen alle seien Einsprachen erhoben worden, sagt Peter Gill, Kriminalkommissär der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt. Es kommt zu einem Prozess.
Climate Justice kann auf einen harten Kern von einigen Dutzend Aktivisten zählen und war auch bei der Blockade in Zürich involviert, mit Greenpeace und einer Gruppe des Genfer Kollektivs Break Free. 61 Personen wurden an jenem 8. Juli festgenommen. Sie verbrachten 48 Stunden in Haft.
Von diesen 61 Personen seien inzwischen 42 per Strafbefehl rechtskräftig verurteilt, sagt Erich Wenzinger, Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Gegen 15 Strafbefehle seien Einsprachen erhoben worden, zwei Verfahren seien eingestellt, ein Verfahren an einen anderen Kanton abgetreten worden, ein Verfahren hängig.
In Zürich waren auch einzelne Mitglieder der Bewegung Klimastreik von Strafbefehlen betroffen, bisher ein Ausnahmefall. «Wir geben uns als Klimastreik-Bewegung Mühe, familienfreundliche Anlässe zu gestalten, und haben vor und während der Demos und Streiks Kontakt mit der Polizei», sagt ein Mitglied. «Die Routen und Aktionen werden meist vorher abgesprochen, um die Sicherheit aller gewährleisten zu können.»
Der Klimastreik ist mit 100000 Demonstrierenden und einem harten Kern von 500 Personen die mit Abstand grösste Klima-Bewegung der Schweiz. Dass die Grenzen zwischen Demos und zivilem Ungehorsam immer wieder ein Thema sind, bestätigt das Mitglied des Klimastreiks: «Die Frage, wie weit Aktivismus gehen kann, darf, sollte – und wie wir als Klimastreik damit umgehen, beschäftigt uns immer wieder.»
Was es heissen kann, als Klimajugendliche plötzlich selbst im Fokus der Polizei zu stehen, erlebte B.S. (Name der Redaktion bekannt). Sie liess sich an der CS-Blockade in Zürich anketten. «Die Situation wurde sehr bedrohlich, als sich uns Polizisten in Vollmontur und Schweissgeräten näherten», erzählt sie. In den 48 Stunden Haft seien sie immer wieder schikaniert worden. Die Klimajugendliche machte keine Einsprache gegen den Strafbefehl. Sie will keinen öffentlichen Prozess.
Das nächste Gerichtsverfahren gegen einen Klimaaktivisten findet am 18. Februar in Genf statt, gegen ein Mitglied von Break Free. Das Genfer Kollektiv erwartet in fünf Fällen weitere Strafbefehle. Etwa für das Tennis-Spiel, das es neben Lausanne auch in Genf durchführte. Olivier de Marcellus ist einer der Break-Free-Aktivisten. Er ist 76 Jahre alt und seit 1968 als Aktivist unterwegs. Seit 2016 immer wieder mit Aktionen gegen die CS. Sie habe diese zunächst toleriert, dann aber auf Repression geschaltet, sagte de Marcellus in der Zeitschrift «Antidot.Inclu».
Nach dem Urteil von Lausanne habe die CS die Strategie erneut geändert: CEO Tidjane Thiam lud die Lausanner Aktivisten zum Gespräch. «Die CS hat uns öffentlich geantwortet, weil sie in die Defensive geraten ist und es als nötig erachtet, ihr Image zu verbessern», sagt de Marcellus. Break Free sei einverstanden mit einem Dialog. «Doch er muss öffentlich stattfinden.»
Die Demonstrationen in dieser Art (Hausfriedensbruch usw..) sind allerdings illegal und somit zu bestrafen.
Ausserdem störe ich mich auch sehr an der ACAB-Beschriftung. Dies mag nur eine einzelne Aktivistin sein, unsere Polizistinnen und Polizisten leisten jedoch sehr gute Arbeit und haben grossen Respekt verdient. Eine solche Beleidigung darf auf keinen Fall akzeptiert werden - völlig unabhängig vom Klima.