Expertenbericht, externe Gutachten, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – und bald auch eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK)? In der durchgeschüttelten Waadtländer Politik werden gerade alle möglichen Untersuchungen gestartet. Zwei Monate ist es her, seit Finanzdirektorin Valérie Dittli (Mitte) vom übrigen Staatsrat entmachtet wurde. Ein Expertenbericht wirft ihr vor, das Amtsgeheimnis verletzt und die Annullierung ausgestellter Steuerveranlagungen von Top-Steuerzahlenden verlangt zu haben.
Seither laufen auf strafrechtlicher und parlamentarischer Ebene weitere Abklärungen zur gebürtigen Zugerin. Im politischen Alltag wird die Affäre dagegen zunehmend von Kritik an Dittlis Vorgänger Pascal Broulis überlagert. Der FDP-Mann, der seit 2023 im Ständerat sitzt und zuvor zwanzig Jahre als Finanzdirektor politisierte, ist in der Waadt eine Institution. Doch nun steht die Frage im Raum: Musste Dittli einen Scherbenhaufen übernehmen?
Die Zeitung «Le Temps» berichtete, dass die reichsten Waadtländerinnen und Waadtländer zwischen 2009 und 2021 zu tief besteuert worden sein sollen. Es gehe potenziell um Dutzende Millionen Franken. Grund dafür ist die offenbar gesetzeswidrige Anwendung der Vermögenssteuerbremse, die 2009 eingeführt wurde.
Die Bremse deckelt die Steuerlast der vermögendsten Einwohnenden auf maximal 60 Prozent ihrer Einkünfte. Die genaue Berechnung ist komplex. So komplex, dass der Fiskus bei der Berechnung nicht alle Formen von Einkünften (Einkommen, Vermögenserträge) einschloss, die das Gesetz verlangt hätte. Die Praxis wurde demnach erst per 2022 korrigiert – kurz bevor Broulis den Stab an Dittli übergab.
«Le Temps» stützte seine Enthüllungen auf zwei übereinstimmende Rechtsgutachten von 2024. Finanzministerin Dittli hatte diese extern in Auftrag gegeben. Die unter ihrem Vorgänger initiierte Korrektur führte nämlich dazu, dass manche Vermögende ab 2022 mehr Steuern bezahlten, als sie Einkünfte hatten. Die Vermögenssteuerbremse wurde also wiederum falsch angewendet. Nun zum Nachteil der Top-Steuerzahler. Valérie Dittli musste diese Situation beheben – überschritt dabei nach Auffassung des restlichen Staatsrates aber ihre Kompetenzen.
Für Hadrien Buclin von der Linksfraktion Ensemble à Gauche/Partei der Arbeit ist aufgrund der Vorgeschichte der Unstimmigkeiten klar, dass die zu Dittli laufenden Untersuchungen auf die Jahre unter ihrem Vorgänger ausgeweitet werden müssen. Er deponierte Anfang Mai im Parlament die Forderung nach einer PUK. Die Motion wurde von 55 Abgeordneten aller Parteien ausser der FDP mitunterzeichnet.
Bevor es zur Abstimmung kommt, muss die Regierung in einem Bericht Stellung beziehen. Sie verkündete letzten Freitag, dass sie ein externes Gutachten in Auftrag gibt, um die Faktenlage bis ins 2009 zurück zu erarbeiten.
«Das ist ein erster positiver Schritt. Denn das Ziel meiner Motion war es auch, die Regierung wachzurütteln», sagt Buclin. Er wolle nun die Resultate abwarten, bevor er entscheide, ob er an der Forderung nach einer PUK festhalte. Wichtig sei mitunter, dass bei Broulis genau hingeschaut werde. «Er ist eine mächtige Figur in der FDP, und die FDP ist mächtig im Kanton Waadt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass ihn gewisse Kreise schützen – während Frau Dittli härter behandelt wurde, auch wenn sie Fehler gemacht hat.»
Broulis selbst schwieg wochenlang – bis am Donnerstag. In einem Interview mit der Zeitung «24heures» bestreitet er die kolportierten Steuerausfälle in Millionenhöhe. Die Vermögenssteuerbremse habe dazu beigetragen, wichtige Steuerzahler im Kanton zu behalten, so der FDP-Politiker. Er betont, dass zwischen Gesetz und Praxis «immer» eine Diskrepanz möglich sei. Die nötigen Anpassungen habe man – nach Bekanntwerden der Situation durch ein Bundesgerichtsurteil 2018 und covidbedingter Verzögerungen – so zeitnah wie möglich vorgenommen.
Und die Explosion mancher Steuerrechnungen nach 2022? Sei aufgrund der individuellen Konstellationen nicht vorhersehbar gewesen, meint Broulis. Affaire à suivre. (aargauerzeitung.ch)
Boah, wie mich diese Arroganz unserer politischen "Elite" anwidert.
Hmm, wie genau muss ich das nun verstehen?
Das Gesetz ist schon gut, aber wenn es den eigenen (FDP und/oder Reichen) nützt, dann passt man eben die Praxis an. Eigentlich würde ich dieses Gebaren in den Kanton Wallis schieben, aber anscheinend gilt dies für alle Kantone W....
Blöd ist einfach, wenn eine junge unverbrauchte Politikerin mal den Deckel vom Misthaufen nimmt, dann stinkt es gewaltig im Kanton.