«Muss Michael Hermann jetzt zurücktreten?» Der Tweet eines «WoZ»-Journalisten an die Adresse des Umfrage-Papstes war wohl nicht ernst gemeint, doch er bekam zahlreiche Likes, einen auch von SP-Kampagnenspezialist Marco Kistler. Sämtliche nationalen Umfragen lagen bei diesen Wahlen in drei Punkten auffällig stark daneben:
Michael Hermann, der mit seinem Forschungsinstitut Sotomo für die SRG nationale Umfragen durchführte, räumte gestern Abend gegenüber der Redaktion von CH Media ein, dass es überraschende Abweichungen gab.
Doch er relativiert: «Beim Gesamtanteil von Rot-Grün lagen wir gut. Verschiebungen innerhalb eines Lagers sind immer schwer zu beurteilen», sagt Hermann.
Dass die Grünen besser mobilisiert hätten als prognostiziert und dass viele SP-Sympathisanten zu Hause geblieben seien – davon geht Hermann nicht aus: «Es gab innerhalb der linksgrünen Seite einfach mehr Wechselwähler als angenommen», sagt er. «Vor allem bei der jungen Generation schnitten die Grünen sensationell ab.»
Für Politgeograf Hermann ist das Abschneiden der CVP am überraschendsten. Noch vorgestern sagte er in der «Schweiz am Wochenende», es werde bei den Christdemokraten wohl lange Gesichter geben. In den Umfragen schwankte die CVP um die 10-Prozent-Marke, effektiv hat sie sich nun aber stabilisiert (bei gut 11 Prozent).
Das hatte kein Umfrageinstitut auf der Rechnung, auch Sotomo nicht. «Die CVP schnitt unerwartet ab», sagt Michael Hermann. Auch CVP-Präsident Gerhard Pfister wies in der Elefantenrunde von SRF darauf hin, dass seine Partei besser abschnitt als vorhergesagt.
Und noch ein Irrtum unterlief Politologen, aber auch Medien und Politikern: Die Wahlbeteiligung war weit weg von den erhofften 50 Prozent. Im Jahr der Klima- und Frauenstreiks könnte sie erstmals seit 1975 wieder über diese Marke steigen, hiess es im Wahlkampf immer wieder.
Effektiv lag sie gemäss Hochrechnungen nun bei gut 47 Prozent, was gegenüber den Wahlen 2015 sogar ein Minus bedeutet. Michael Hermann sagt dazu: «Die 50 Prozent waren eine Fabelhoffnung.» Vor allem auf dem Land sei eine schwache Beteiligung absehbar gewesen.
Hätte man mit dem grossen Zuwachs der Grünen gerechnet, hätte man auch die Verluste der SP einkalkulieren müssen, denn ab einem Plus von 2-3% für die Grünen, ist es klar die SP die Federn lassen muss.